Gerhard Jelinek

Schöne Tage 1914


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mit Medienbegleitung. Konteradmiral Miklos Horthy hatte an Bord seines Schiffes Viribus Unitis den Journalisten Egon Erwin Kisch gebeten. Er sollte für das Kriegspressequartier berichten und wurde so Augenzeuge der Katastrophe. Der Untergang der Szent Istvan wurde auch durch ein Filmteam an Bord der Tegetthoff auf Zelluloid gebannt, das die zu erwartenden Siege der Flotte hätte dokumentieren sollen.

      Das Admiralsschiff Viribus Unitis war am tödlich getroffenen Schwesterschiff vorbeigefahren, ohne der verzweifelten Mannschaft des »Dreadnaught« zu helfen. Zu groß war die Angst, ebenfalls von Torpedos »lanciert« (getroffen) zu werden. Egon Erwin Kisch beschreibt die Szene: »Unsere Offiziere schauen mit Feldstechern auf das Wrack, von dem wir uns lösen, ohne ihm beizustehen, und schütteln die Köpfe. ›Die ersaufen alle‹, murmelt der alte Maschinenmaat. Am Heck der Tegetthoff steht der Artillerieingenieur vor dem Filmapparat und kurbelt die schwankende Szent Istvan mit den verzweifelt hin und her rennenden Menschen.«

       Der Thronfolger als Familienmensch: Erzherzog Franz Ferdinand mit Ehefrau Sophie (geborene Gräfin Chotek) und den drei Kindern, Ernst, Maximilian und Sophie

      Am Vormittag des 14. Jänner 1914 war von bösen Omen noch nichts zu spüren gewesen. Der Militärbischof segnete das Schlachtschiff, die Erzherzogin machte ihre Sache gut. Und zum Abschluss des festlichen Dinners im Hotel »Europa« (»sehr gut, lang, reich, heiter«) verlas Großadmiral Anton Haus ein Glückwunschtelegramm des Kaisers. Es enthielt gerade jene Passagen, die Thronfolger Franz Ferdinand aus der Rede der Erzherzogin Maria Theresia gestrichen hatte: Lob für die Leistungsfähigkeit der Ungarn. Die hohen Herrschaften brachen in laute »Eljen«-Rufe aus. Wieder einmal hatte der alte Kaiser eine Bosheit seines Thronfolgers korrigiert. Das Fernbleiben von Franz Ferdinand war ohnehin kritisch (»feindselig«) bemerkt worden. Dafür war die ungarische Regierung mit Ministerpräsident Stephan Graf Tisza weitgehend vollständig erschienen.

      Die Feiern waren gelungen, doch der Stapellauf des Schlachtschiffes verlief keineswegs ohne Pannen. Beim Fallenlassen des Ankers riss sich das schlampig befestigte Kettenende aus der Befestigung. Das wild um sich schlagende Kettenende verletzte den 43-jährigen Bootsmann Giuseppe Pliscovac so schwer, dass er in der darauffolgenden Nacht im Spital verstarb. Einem anderen Werftarbeiter musste der Unterschenkel amputiert werden. Ohne Anker trieb das neue Schlachtschiff auf sein Schwesterschiff Tegetthoff zu und rammte beinahe einen Dampfer mit Hunderten Schaulustigen.

      Die abergläubische Küstenbevölkerung deutete die Pannen und Unfälle als schlechtes Vorzeichen. Noch ehe das Schiff in Dienst gestellt werden konnte, galt die Szent Istvan als Unglücksschiff. Die Wiener Zeitungen verschwiegen die Zwischenfälle. Die Neue Freie Presse dichtete patriotisch: »Noch ein Jahr und die Wimpel flattern auf allen vier Schiffen, die getreu dem Wahlspruch unseres erhabenen Monarchen mit vereinten Kräften ihren Dienst versehen werden, dem Vaterland zur Ehre, ein schwimmender Hort des Friedens.«

      Dem Thronfolger und dem Kaiser wurde das beste Gelingen des Stapellaufs per Telegramm mitgeteilt. Franz Ferdinand ließ tags darauf beleidigend knapp antworten: »Danke für die Mitteilung.« So verletzend konnte der Erzherzog sein, wenn ihm etwas so gar nicht gefiel wie ein ungarisches Schlachtschiff.16

      17. Jänner 1914 »Dass Du mir ja nicht auf den Unsinn mit Albanien hereinfällst!«

      Im albanischen Hafen Durazzo (heute: Durres) verlässt der Leibarzt des deutschen Prinzen Wilhelm Fürst zu Wied sein Schiff und begibt sich nach Valona (heute: Vlora), der provisorischen Hauptstadt des seit 1912 von der Türkei abgetrennten unabhängigen Fürstentums Albanien. Sein Auftrag: Er soll die hygienischen Verhältnisse im für den Prinzen bestimmten Palais überprüfen. Der Prinz von Wied hat es unterdessen nicht besonders eilig, nach Albanien zu reisen und dort die Staatsführung zu übernehmen. Das Palais muss erst eingerichtet werden und formal ist der deutsche Adelige noch gar nicht Herr über Albanien. Erst einen Monat später erscheint eine Delegation von 18 Albanern im Neuwieder Schloss – malerisch am Rhein gelegen – und trägt dem Prinzen die albanische Fürstenkrone an. Prinz Wilhelm nimmt die Würde, die hauptsächlich Bürde sein sollte, an. Immerhin sind bereits 400 »Coli« (Stückgut) mit Möbeln des Prinzen per Schiff nach Durazzo geliefert worden.

      Der deutsche Kaiser Wilhelm II. sah die Fürstenwahl mit großer Skepsis. Er fürchtete, ein deutscher Prinz aus altem Adel könne das Deutsche Reich in die unübersichtlichen Intrigen und Machtkämpfe auf den Balkan hineinziehen. Daran hatte der Kaiser kein Interesse. Es musste reichen, wenn die verbündete Habsburgermonarchie am Balkan nach Einfluss und Macht strebte. Wilhelm II. warnte den Fürsten zu Wied: »Dass Du mir ja nicht auf den Unsinn mit Albanien hereinfällst!« Der Hohenzollern-Kaiser hätte dem Prinzen keinen Rat, eher einen Befehl erteilen sollen. Denn als Rittmeister diente der Fürst in der preußischen Armee.

      Ehrgeiz und Pflichtgefühl machten Wilhelm Fürst zu Wied zu einer Marionette der Großmächte. Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs im ersten Balkankrieg 1912/13 hatten sich die albanischen Stämme mit politischer und militärischer Hilfe von Österreich-Ungarn zu einem eigenen Staat aufgeschwungen. Österreich-Ungarn und Italien wollten sich weiteren Einfluss am Balkan sichern und dem Königreich Serbien einen direkten Zugang zur Adriaküste versperren. Nach langen Verhandlungen und Kriegsdrohungen wurde dieses albanische Fürstentum schließlich auf der Londoner Botschafterkonferenz anerkannt. Bei der Suche nach einem Staatsoberhaupt verständigten sich die beteiligten Mächte auf einen protestantischen Fürsten, der religiöse Neutralität garantieren sollte. Unter den mehr als ein Dutzend Fürstenkandidaten war Wilhelm zu Wied ursprünglich nicht genannt worden. Angeblich hat ihn seine Tante, Königin Elisabeth von Rumänien, ins Spiel gebracht.17

      18. Jänner 1914 »Überwältigt von stürmischer Begeisterung«

      Die Münchner Kriminalpolizei arbeitet auch am Sonntag. Ein Beamter in Zivil klopft am 18. Jänner 1914 bei Familie Popp im dritten Stock der Schleißheimer Straße 34. Der Kunstmaler Adolf Hitler wohnt zur Untermiete bei der Schneiderfamilie. Er und sein Freund aus Wiener Männerheimtagen, Rudolf Häusler, leben in einem kaum 12 Quadratmeter großen Zimmer. Die Miete ist bescheiden: 5 Mark zahlen die jungen Männer. Der Kriminalpolizist überreicht Hitler eine Vorladung: Er soll sich zwei Tage später in Linz zur Musterung für den Militärdienst melden. Vorsorglich wird der österreichische Staatsbürger Hitler unter Arrest gestellt, um später den Behörden seines Heimatlandes übergeben zu werden. Am Sonntag darf der geschockte Maler aber in seinem Zimmer bleiben. Die Münchner Polizei hat die Linzer Vorladung mehrere Tage lang liegen gelassen. So kann Adolf Hitler am Montag einem Beamten des österreichischen Konsulats in München glaubhaft versichern, er schaffe es unmöglich, schon am nächsten Tag in Linz zu erscheinen. Sein verwahrlostes Äußeres unterstreicht die Behauptung, er habe kein Geld, um die Fahrt in die oberösterreichische Heimatgemeinde zur Musterung für den Militärdienst zu bezahlen. Hitler schickt noch am gleichen Tag ein Telegramm an den Linzer Magistrat und bittet, den Termin auf Februar zu verschieben. Die Stadtbeamten reagieren postwendend und ablehnend. Das Telegramm erreicht das Münchner Konsulat allerdings erst nach Dienstschluss. Und wieder dauert der Amtsweg. Hitler erfährt von der Ablehnung seines Gesuchs erst einen Tag, nachdem er in Linz zur Musterung hätte antreten sollen.

      Hitler hat Angst, zu einer Geld- oder gar Haftstrafe verdonnert zu werden. Die deutschen Behörden hätten ihn dann wohl nach Österreich überstellt. Genau das will er vermeiden. Hitler hat im Herbst 1913 Wien verlassen, weil er im Deutschen Reich sein Glück machen und dem Wehrdienst entgehen will. Aufforderungen zur Stellung hat der verhinderte Kunststudent schon mehrfach ignoriert. Die k. u. k. Militärbehörden hatten es allerdings auch nicht eilig, den Braunauer unter die Fahnen zu rufen. Immerhin war er ordnungsgemäß im Männerheim in der Wiener Meldemannstraße registriert gewesen.

      Diese Schlampereien der Militärbehörde überzeugen schließlich auch den Linzer Magistrat. Adolf Hitler darf im Februar zur Musterung nach Salzburg fahren. Die Reisekosten zahlt das Konsulat. Es ist vergeudetes Geld. Denn der Postkartenmaler entgeht dem Wehrdienst in der österreichisch-ungarischen Armee. Die Militärärzte befinden, Hitler sei zu schwach dafür. Er wird nach München zurückgeschickt.