Gerhard Jelinek

Schöne Tage 1914


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trübe und kühle Wetter an. Es schneit. Und wie: »Infolge der Schneefälle kam es auf der Strecke Mostar–Sarajewo zu Lawinenstürzen, wodurch in der Nähe der Station Prenji ein Lastzug vom Schnee verschüttet wurde, so daß nur noch der Rauchfang der Lokomotive sichtbar war. Alle Bemühungen des Bahnpersonals, den Zug zu befreien, waren vergeblich. Selbst drei Lokomotiven konnten ihn nicht fortbringen. Es wurde Militär requiriert, welches in vierundzwanzig Stunden den Schnee wegschaufelte, so daß nach eintägiger Unterbrechung der Verkehr wieder aufgenommen werden konnte.« Auch in Kroatien verursacht der Wintereinbruch Störungen. Aus Agram wird telegrafisch berichtet: »Seit sechsunddreißig Stunden herrscht heftiger Schneesturm. Der Schnee liegt bis zu einem halben Meter hoch, stellenweise sogar bis eineinhalb Meter. Die Züge aus Fiume erleiden Verspätungen von vier Stunden. Ein Zug ist nur mit der Lokomotive und zwei Waggons angekommen; die übrigen hatte er auf den Stationen der Strecke zurückgelassen.«

      15. Jänner 1914 »Besprechung zum Bau der Wiener Untergrundbahnen«

      In Wien treffen einander Vertreter der Pariser Großbank »Société Centrale des Banques de Province«, der Omnium-Lyonnaise, der Siemens & Halske Aktiengesellschaft und der Union-Elektrizitätsgesellschaft beim Generaldirektor der Wiener Länderbank, August Lohnstein. Die Tagesordnung enthält nur einen Punkt: »Besprechung zum Bau der Wiener Untergrundbahnen«. Am Beginn des Jahres 1914 soll das größte städtebauliche Vorhaben der wachsenden Millionenstadt in Angriff genommen werden. Es geht um die Linienführung der Wiener U-Bahn und um technische Einzelheiten. Die Siemens & Halske Aktiengesellschaft will dann gemeinsam mit den finanzierenden französischen Banken ein Offert legen.

      Die deutsche Firma Siemens & Halske war erst relativ spät mit dem Projekt einer »electrischen Sekundärbahn« an die Politiker im Rathaus herangetreten. Das Siemens-Konzept sah zum ersten Mal die Untertunnelung der Innenstadt und drei Linien in Form eines Ypsilons vor.

      Der Banker Lohnstein zählte zum engsten Kreis des verstorbenen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger und half dem christlichsozialen Politiker bei der Finanzierung der verstaatlichten Kommunalbetriebe. Die Reichs- und Residenzstadt Wien hatte unter christlichsozialer Führung eine Art »kommunalen Sozialismus« eingeführt und die gewaltigen Investitionen in eine moderne städtische Infrastruktur über meist im Ausland gezeichnete Anleihen finanziert. In den ersten Jahren erwies sich diese Art des kommunalen Wirtschaftens als sehr erfolgreich. Mit dem Betrieb von Straßenbahnen machte die Gemeinde Wien ein außerordentlich gutes Geschäft.

      In zehn Jahren fuhr die Tramway einen Umsatz von 330 Millionen Kronen ein und machte dabei einen Reingewinn von 104 Millionen Kronen. Das Budget der Hauptstadt ließ sich so zu einem Gutteil aus den Gewinnen der kommunalen Betriebe finanzieren. Außerdem konnten Lueger und sein Nachfolger, Richard Weiskirchner, auch viele Parteigänger in den städtischen Betrieben »unterbringen« und sich damit eine treue Anhängerschaft sichern. Das System Luegers bewährte sich dermaßen, dass es Krieg und Machtwechsel im Rathaus überlebte.

      Obwohl die Gespräche positiv verliefen und am 16. Jänner fortgesetzt wurden, sollte es dann bis zur Eröffnung der ersten Wiener U-Bahn-Linie noch ein wenig dauern: exakt 64 Jahre.12

      15. Jänner 1914 »In Berlin werden die Spiele der VI. Olympiade für 1916 vorbereitet«

      Die Idee ist gut. Die friedensstiftende Kraft des olympischen Gedankens erweist sich freilich als sehr schwach.

      Alexandria, Amsterdam, Brüssel, Budapest und Cleveland hatten sich um die Austragung der Olympischen Spiele des Jahres 1916 beworben. Nach dem großen Erfolg des Sportereignisses in Stockholm, das 1912 die ersten wirklich weltweiten Spiele organisiert hatte, setzte IOC-Präsident Pierre de Coubertin große Erwartungen in Berlin. Der Franzose hoffte, die Vergabe der Spiele könnte sich positiv auf die innenpolitische Situation im deutschen Kaiserreich auswirken und auch einen Beitrag zur Entspannung in Europa leisten. Vorerst jedoch herrschte dort Streit um die Finanzierung der Spiele. Die Länder weigerten sich, Geld für Berlin lockerzumachen. Auch eine Spendenaktion wurde zum Fehlschlag. Am 15. Jänner lehnte der Budgetausschuss des deutschen Reichstages in Berlin die Bewilligung einer ersten Rate von 46 000 Mark zur Vorbereitung der Olympischen Spiele 1916 in Berlin ab. Abgeordnete des Zentrums verwiesen dabei auf die Zuständigkeit der einzelnen deutschen Länder, während die Sozialdemokraten die Unterdrückung des Arbeiterturnens kritisierten.

      In Paris dachte man an jenem Tag ein wenig weiter. Ministerpräsident Gaston Doumergue sicherte eine finanzielle Unterstützung von 150 000 Francs für die französische Mannschaft zu.

      Während die deutschen Politiker um die Organisationskosten stritten, war das Berliner Olympiastadion schon fertig. In nur 200 Arbeitstagen hatte Architekt Otto March in der Kaiserstadt eine Arena für die Olympischen Spiele 1916 geplant und gebaut. Sie bot insgesamt für 40 000 Zuschauer Platz und hatte etwas mehr als 2 Millionen Mark gekostet. Das Areal um das »Deutsche Stadion« war bereits um die Jahrhundertwende von der Pferderennbahn Grunewald sportlich genutzt worden. Dementsprechend wirkte die Sportarena wie eine Pferdebahn. Länger als der Bau dauerte nur der Streit um den Namen. Ultrakonservative Sportfunktionäre wollten den griechischen Begriff »Stadion« vermeiden und plädierten für den Namen »Deutsche Kampfbahn«. Das klang selbst 1913 ein wenig zu martialisch. So blieb es beim »Deutschen Stadion«. Immerhin durften sich die Herren an einer mächtigen Eiche erfreuen, die das Stadion begrenzte. Die Sportanlage war von Kaiser Wilhelm persönlich eröffnet worden. Die »Berliner Zeitung« schrieb damals: »Um 10 Uhr bereits ist das ungeheure Gebiet von Menschenmassen überschwemmt. Unter dem aus Beton gefügten Tunnel hindurch wandert die Zuschauermenge zum riesigen Amphitheater.« Die Laufbahn war mehr als 600 Meter lang, das Schwimmbecken befand sich direkt neben den Leichtathletikanlagen, und erstmals war für 1916 auch eine olympische »Wintersportwoche« als Vorläufer der olympischen Winterspiele geplant.

      Die Spiele von Berlin wurden nie offiziell abgesagt, die deutsche Führung hoffte, den Krieg so schnell beenden zu können, dass das olympische Feuer 1916 in Berlin wie geplant entzündet werden könnte. Doch schon bald nach Kriegsbeginn musste das Stadion zu einem Kriegslazarett umfunktioniert werden. Bei den ersten Spielen nach dem Weltkrieg 1920 in Antwerpen waren deutsche Sportler noch strafweise ausgeschlossen.

      Die Olympischen Spiele in Berlin begannen mit einer 20-jährigen Verzögerung. Adolf Hitler beauftragte die beiden Söhne des Stadionplaners mit dem Bau einer wesentlich größeren Arena für die Olympischen Spiele 1936. Ein zuerst überlegter Umbau der ursprünglichen Sportstätte war von Hitler abgelehnt worden. Für »seine« olympischen Weihespiele wollte der NS-Reichskanzler einen pompösen Neubau.

      Am 27. und 28. Juni 1914 fanden im »Deutschen Stadion« die vorbereitenden Spiele für Olympia statt. Sie endeten am selben Tag, an dem in Sarajewo ein serbischer Gymnasiast den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie tötete.

      Es waren die »Startschüsse«, denen kein friedlicher Wettstreit der Besten folgte.

      15. Jänner 1914 »Panzerkreuzer Goeben im Hafen von Syrakus«

      Mitte Jänner geht der deutsche Panzerkreuzer Goeben im Hafenbecken der südsizilianischen Stadt Syrakus vor Anker. Das in Hamburg für 42 Millionen Mark gebaute Schiff ist Teil des ehrgeizigen deutschen Flottenbau-Programms. Die Goeben gehört zur sogenannten Moltke-Klasse, gilt als hochmodern und »unsinkbar«. Italien und das Deutsche Reich wollen mit diesem Flottenbesuch demonstrativ ihre militärische Verbundenheit betonen.

      Der Panzerkreuzer schreibt einige Monate später Kriegsgeschichte. Wenige Stunden nach der deutsch-französischen Kriegserklärung am 3. August legt die Besatzung des deutschen Schiffs den Hafen Philippeville an der algerischen Küste mit seinen Bordkanonen in Schutt und Asche. Der deutsche Konteradmiral Wilhelm Souchon kommandiert auf der Goeben eine Husarenaktion und liefert sich ein Wettrennen mit zwei britischen Kampfschiffen. Die Kessel werden dermaßen befeuert, dass vier deutsche Heizer an Hitze und Erschöpfung sterben. Souchon düpiert die englische und französische Mittelmeer-Flotte, entkommt mit der Goeben und rettet sich in den »neutralen« sizilianischen Hafen Messina. Die Gewässer der Mittelmeerinsel waren den deutschen Seeleuten ja gut bekannt. Die Jagd nach der Goeben wird zur Prestigesache. Die überlegene Marine der Entente will dem