Keller, im Bewußtsein, Marittas Liebe zu besitzen, ist enorm angeregt. Mit Feuereifer geht er daran, Ulla Döhner zu porträtieren.
Die Frau mit den dunkelglühenden Augen läßt alle fraulichen Reize spielen, um seine Aufmerksamkeit als Mann auf sich zu lenken. Schnell hat er ihr Manöver durchschaut. Er lächelt still in sich hinein. Seine Liebe zu Maritta hat ihn gegen solche Angriffe unverletzlich gemacht.
»Sie arbeiten wie ein Besessener«, unterbricht Ulla Döhner die Stille, während sie die Pose eingenom-
men hat, die Keller wünschte. »Können Sie nicht einmal eine Pause einlegen?«
»Könnte ich«, entgegnet er, arbeitet aber immer weiter, »will ich aber nicht.«
»Aber ich«, sagt sie im Ton eines verzogenen Kindes, »langsam schlafen mir die Glieder ein.«
»Verzeihen Sie.« Keller springt auf und hilft ihr aus dem Sessel. Milchen hat ihm die Sonnenveranda zur Arbeit zur Verfügung gestellt, wofür er sehr dankbar ist.
»Möchten Sie eine Erfrischung zu sich nehmen?« erkundigt sich Keller zuvorkommend.
»Wenn Sie mir dabei Gesellschaft leisten, gern!«
»Moment bitte.«
Thomas Keller verschwindet und sucht Milchen auf. Er findet Maritta bei ihr. Sie sitzt auf einem Küchenstuhl und unterbricht bei seinem Eintritt ihre Unterhaltung mit der Al-
ten.
»Frau Döhner möchte eine Erfrischung. Was soll ich ihr anbieten?« wendet er sich an Maritta.
»Vielleicht einen Orangensaft?« schlägt Maritta vor, nimmt seine Hand und schmiegt ihre Wange hinein. »Oder ist sie für alkoholische Getränke?«
»Da müßte ich sie erst mal fragen.«
Maritta lacht.
»Thomas, was bist du für ein schlechter Gastgeber. Weißt du was, Milchen bringt dir ein Tablett mit verschiedenen Sachen. Soll sie sich das Richtige aussuchen.«
»Maritta, du bist ein Engel«, stellt er befriedigt fest und drückt ihr einen Kuß auf die Lippen.
Milchen läßt vor Überraschung beinahe die Flaschen fallen, die sie aus der Vorratskammer geholt hat.
»Was war denn das?« fragt sie verdutzt, und ihre Augen wandern von Maritta zu dem Professor.
Keller tut ganz unschuldig.
»Wußten Sie das noch nicht, Milchen? Wir haben nämlich die Absicht zu heiraten –«
»Wenn ich es mir vorher nicht anders überlege«, fällt Maritta ihm schnell in die Rede.
»Na, so was!« Milchen ist sprachlos.
Keller zieht Maritta am Ohrläppchen.
»Sagte ich vorhin etwas vom Engel?«
»Ich glaube, etwas Ähnliches ge-hört zu haben«, erwidert Maritta und schiebt seine Hand von sich.
»Merkwürdig.« Keller legt den Finger an die Nase. »Manchmal verwandeln sich deine Flügel in niedliche Hörner. Was übrig bleibt, ist ein süßer Teufel.«
»Nun aber raus«, kommandiert Maritta, doch Keller schüttelt heftig den Kopf. »Du wirst so lieb sein und den ganzen Kram in die Veranda tragen. Oder willst du mich mit dieser verführerischen Frau allein lassen?« Er funkelt sie übermütig an.
Maritta zuckt die Achseln, erhebt sich, nimmt das Tablett, auf dem Milchen Gläser und Flaschen bereitgestellt hat, und geht zur Tür.
»Sehen Sie sich diesen Despoten an, Milchen«, sagt sie von der Tür her. »Aber ehe ich ihn mit dieser Frau allein lasse, opfere ich mich lieber – und wenn ich an Alkoholvergiftung sterben sollte.«
Lachend schließt Keller die Tür hinter sich. Milchen hat sich noch nicht recht erholt. Maritta, die schöne blonde Frau, und der Professor? Und das Glück lacht ihnen aus den Augen.
Ihre Gedanken suchen ihren Liebling. Stefanie! Alle Menschen scheinen glücklich zu sein, während du der Finsternis entgegengehst.
Die Sehnsucht will sie schier überwältigen. Fieberhaft überlegt sie. Sie kennt die Adresse von diesem Professor Bergmann. München ist nicht aus der Welt. Wenn sie auch in den letzten Jahren über den Ort nicht hinausgekommen ist. Für Stefanie würde sie gut und gern bis ans Ende der Welt laufen.
Ohne ihren Entschluß laut werden zu lassen, sucht sie Justus auf. Sie findet ihn im Gespräch mit Ulla Döhners Chauffeur.
»Wann fahren Sie nach München zurück?« erkundigt sie sich bei dem jungen sympatischen Fahrer.
»Sobald die gnädige Frau es wünscht.« Er schaut auf die Uhr. »Die Sitzung muß bald zu Ende sein.«
»Danke!« Milchen geht wieder ins Haus zurück. Sie steigt hinauf in ihr Mansardenstübchen, hantiert im Schrank und in der altmodischen Kommode. Aus einer riesigen Hutschachtel zaubert sie einen Hut hervor, der ein wahres Ungetüm ist, mit Blütenranken und Schleifchen versehen. Den sie aber wie ein Heiligtum gehütet hat. Sorgsam legt sie sich alles zurecht und beginnt, sich umzuziehen.
Als Ulla Döhner ihren Chauffeur rufen läßt, taucht eine komisch wirkende Gestalt vor ihr auf.
»Milchen – Sie?«
Ulla Döhner muß ein Lachen verbeißen, doch sofort überkommt sie Rührung, als sie in die flehenden Augen der Alten sieht.
»Bitte, gnädige Frau, nehmen Sie mich nach München mit. Ich muß zu meiner jungen Herrin. Sie wissen ja, daß sie bei Professor Bergmann ist.«
»Kommen Sie«, fordert Ulla Döhner sie auf und hilft ihr noch in das Innere.
Sie selbst nimmt neben dem Fahrer Platz.
»Fahren Sie Fräulein Milchen in die Augenklinik zu Professor Bergmann«, raunt sie ihrem Chauffeur zu. »Warten Sie und bringen Sie sie wohlbehalten wieder hierher zurück.«
In Milchen ist unbändige Freude. Sie wird Stefanie wiedersehen. Keiner weiß, wohin sie fährt. Sie freut sich wie ein Kind auf das Wiedersehen und setzt sich bequem in dem eleganten Wagen zurecht. –
Milchen weiß nicht, welches Aufsehen sie in ihrem putzigen Aufzug, mit dem riesigen Wagenrad von Hut, der Reisetasche aus Urgroßvaters Zeiten und dem langwallenden schwarzseidenen Mantel in Bergmanns Klinik erregt.
»Ich möchte zu Fräulein Stefanie Hollweg«, sagt sie in der Aufnahme zu der jungen, das Lachen verbeißenden Schwester.
»Hollweg? Hollweg?« Schwester Renate kann sich nicht besinnen. Gewissenhaft sucht sie aber in ihrem Buch nach dem Namen und schlägt es nach einer Weile kopfschüttelnd zu. »Eine Frau Hollweg –«
»Fräulein«, verbessert rasch die Alte.
»Ein Fräulein Hollweg ist nicht bei uns.«
Schwester Renate will sich schon wieder abwenden, als Milchen energisch ans Fenster klopft.
»Sie muß aber hier sein, Schwester«, drängelt Milchen.
»Sie ist aber nicht hier.« Die junge Schwester wird ungeduldig.
»Hören Sie mal, Schwester.« Milchen trommelt erregt gegen das Glasfenster. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen? Rufen Sie Professor Bergmann an und erkundigen Sie sich dort. Fräulein Hollweg muß hier sein.« Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Aufregung.
Schwester Renate hebt die Schultern und telefoniert.
»Na also«, murmelt Milchen vor sich hin. Ihre in unzählige Falten gebetteten Augen verfolgen jede Bewegung der jungen Schwester.
»Professor Bergmann ist nicht zu erreichen.« Die junge Schwester steckt ihren Kopf durch das Fenster. »Gehen Sie durch die Glastür und den Gang entlang. Ganz am Ende ist das Zimmer von Schwester Elisabeth. Die wird Ihnen Auskunft geben können.«
»Danke schön.«
Resolut