sehe«, jubelt sie. »Ich kann sehen! Oh, mein Gott!«
Philipp bringt sie zurück zu ihrem Sessel, und sie sinkt hinein, als hätte sie eine stundenlange Wanderung hinter sich. Die Spannung, unter der sie gelitten hat, löst sich. Tränen fließen. Auch damit hat Professor Hollweg gerechnet. Schnell ist er zur Hand und trocknet sie.
»Nicht weinen, Kind, bitte nicht weinen«, sagt er beschwörend. »Jetzt müssen Sie sich schonen und viel ruhen. Versprechen Sie mir das?«
Herr Professor!« Beide Hände reicht sie ihm, die er warm umschließt. »Ich bin so glücklich und
– dankbar. Sie haben Ihr Möglich-
stes getan, nein, Sie haben soviel
für mich getan, daß ich nicht weiß,
wie ich Ihnen das jemals vergelten soll.«
»Nicht der Rede wert, Kind. Auch ich bin glücklich, zweifach sogar.« Mit diesen etwas rätselhaften Worten läßt er die Liebenden allein.
*
Wie eine Bombe hat die Nachricht im »Haus Stefanie« eingeschlagen. Die Operation ist gelungen.
Professor Hollweg hat seinem Kind das Augenlicht wiedergegeben.
»Jetzt dürfen wir Stefanie besuchen.«
Am nächsten Tag schon werden alle Bewohner, außer Justus, der das Grundstück bewachen muß, in Marittas Wagen verfrachtet, und es geht nach München.
Hollweg empfängt sie. Er ist bestürzt. Sie kommen ihm alle mit so viel Herzlichkeit und Verehrung entgegen, daß er sich beschämt fühlt.
»Doktor Titanus ist bei Stefanie«, erklärt er, und jetzt sind die drei verblüfft.
»Wie kommt er denn hierher?« fragt Milchen endlich.
»Mit dem Flugzeug. Seine Anwesenheit hat viel zum Gelingen der Operation beigetragen«, versucht er seinen Anteil abzuschwächen.
»Dann ist alles gut«, murmelt Milchen, und Maritta nimmt den Arm des Geliebten.
So viel vermag die Liebe – denkt sie – aber den Hauptteil trägt doch dieser Mann, der sich unermüdlich um Stefanie bemüht hat.
»Weiß Stefanie, daß Sie…«
Sie stockt, und Hollweg hat sofort begriffen. Seine Stirn umwölkt sich.
»Noch nicht«, sagt er kurz und setzt erklärend hinzu: »Sie muß noch etwas Ruhe haben. Ich fürchte, die Aufregung könnte ihr schaden. Und wenn Sie jetzt mit mir kommen wollen?« lenkt er von sich ab.
Sie folgen ihm, Blumen und Geschenke im Arm. Behutsam öffnet Hollweg die Tür, läßt sie eintreten und schließt sie wieder.
Draußen geht er ruhelos auf und ab. Das Leid hat er bisher mit Stefanie getragen. Ob er auch einmal an ihrem Glück teilhaben kann?
Dr. Titanus hat für kurze Zeit wegen einer Besorgung die Klinik verlassen, und Hollweg ist bei Stefanie.
Jetzt trägt sie auch keine Gläser mehr. Alles ist licht und hell um sie. Sie liebkost jeden Gegenstand ihres Zimmers und findet, daß sie viel zu sehr verwöhnt wird.
Hollweg ist mit Stefanie sehr zufrieden. Bald kann sie entlassen werden, und er ist ihr immer noch nicht so weit nahegekommen, daß er sich erkennen zu geben wagt.
Der Zufall, der so oft im Leben der Menschen eine entscheidende Rolle spielt, kommt ihm zu Hilfe.
Schwester Renate, jung und über-eifrig, sucht verzweifelt Professor Bergmann. Sie kommt auch in Stefanies Zimmer, sieht den Professor sitzen und fragt hastig:
»Herr Professor, haben Sie Professor Bergmann nicht gesehen? Er wird dringend verlangt. Ich suche ihn im ganzen Haus.«
Ehe Hollweg ihr noch ein Zeichen machen kann, lacht Stefanie leise auf.
»Aber Schwester, hier sitzt er doch, den Sie suchen!«
Schwester Renate hat glühende Wangen. Ärgerlich sagt sie:
»Aber das ist doch Professor Hollweg.«
Weg ist sie. Die Tür gleitet ins Schloß.
Atemlose Stille herrscht. Stefanies Augen hängen weitgeöffnet an des Arztes Mund. Gleich wird er sagen, daß es nicht wahr ist, gleich –
»Stefanie!« Dieser Ruf, beschwö-rend und bittend zugleich, trifft sie bis ins Herz.
Mit geschlossenen Augen legt sie den Kopf in die Kissen. Sie sieht beängstigend blaß aus, und Hollweg befürchtet eine Ohnmacht. Da schlägt sie die Augen auf.
»Sie sind – du bist…« Und dann gellt es förmlich von ihren Lippen: »Vater! Vater!«
Hollweg nimmt sie in seine Arme, streichelt über ihre Schultern, über ihr lockiges Haar.
Und Stefanie findet langsam, ganz langsam in die Gegenwart zurück. Ganz weit hat sich ihr Herz geöffnet, und die Liebe zu diesem prächtigen Menschen, der ihr Vater ist, strömt ungehindert ein.
»Stefanie«, Hollwegs Stimme ist heiser vor Erregung, »wie sollte ich mich dir anders nähern? Ich mußte dich überzeugen, daß ich nicht so bin, wie man es dir vielleicht geschildert hat. Glaube mir, Kind. Was zwischen mir und deiner Mutter war, war Liebe. Es war eine sehr große Liebe, und mein Fehler war, daß ich zu sehr an meiner Arbeit hing. Deine Mutter hatte nicht so viel Geduld. Ich will sie nicht anklagen. Sie hat mir ein kurzes, aber ein berauschendes Glück geschenkt. Allerdings hat sie mich dann in die größte Verzweiflung gestürzt, so daß ich abermals in meine Arbeit flüchtete. Bist du mir böse, daß wir diese Komödie vor dir spielten, in die Professor Bergmann mit verwickelt ist?«
»Vater!«
Weiter kann Stefanie nichts sagen. Sie spürt seine Güte, seine Selbstlosigkeit, die sie täglich umgeben haben, und sie weiß mit Gewißheit, einen edleren Menschen gibt es nicht. Philipp gleicht ihm. Sie wird es anders machen als ihre Mutter. Sie wird Philipp nicht nur Geliebte, sie will ihm auch Kameradin sein und sich mit seinem Beruf so vertraut machen, daß sie ihm auch helfen kann.
Als Titanus zurückkehrt, findet er Vater und Tochter immer noch in stummer, inniger Umarmung.
Er sieht von einem zum anderen.
»Nun werden wir eine glückliche Familie bilden«, spricht Stefanie. Leicht streift ihr Mund Hollwegs Wange. »Wir haben viel nachzuholen, Vater. Wir werden dich mit Liebe verwöhnen, nicht wahr, Phil?«
Die tiefblauen Augen, denen Hollweg das Licht geschenkt hat, glänzen vor Freude und Glück.
*
Milchen fegt durch das Haus. Sie ist wie aufgezogen. Stefanie, der Professor und ihr Verlobter werden erwar-tet.
Alles ist zum Empfang bereit. Sogar der Napfkuchen, mit recht viel Rosinen, so wie Stefanie ihn liebt, steht in der Küche zum Anschnitt bereit.
Diesmal kehrt der Professor nicht als lästiger Besucher ein. Diesmal kommt er als ein Mann, dem man Achtung und Verehrung entgegenbringt, hat er doch mit Liebe und Verständnis in nimmermüder Geduld um Stefanie und um ihr Augenlicht gerungen. Keiner wird ihm das jemals vergessen. Unter die Vergangenheit hat man einen dicken Strich gezogen.
Jeder hütet sich, sie auch nur mit einem Wort zu berühren. Man sieht, wie der Mann auflebt, wie sein Gang straffer wird, wie er von seiner großen Herzensgüte an andere abzugeben imstande ist.
Stefanie und Phil lieben und verwöhnen ihn unsagbar. Alle, die im Hause sind, wollen ihm etwas zuliebe tun. Am meisten natürlich Milchen, deren schlechtes Gewissen sie beinahe zu einem Kult treibt, so daß der Professor bremsen muß.
»Lassen Sie mich doch, Herr Professor, ich habe an Ihnen so viel gutzumachen«, jammert sie, wenn er sie mit ihrer übergroßen Fürsorge aufzieht.
Sehr ernst zieht er sie nahe zu sich heran.
»Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, Milchen, hören