sitzt und vor sich hin starrt, mit dem Kind allein ist.
Anfangs ist sie, wie allem gegen-über, ohne Teilnahme, doch nach und nach, vor allem, wenn das Kind einmal zu weinen beginnt, neigt sie
sich über das Kinderköpfchen und spricht leise, beruhigend auf das Kind ein.
Stefanie atmet heimlich auf. Sollte Maritta langsam wieder Interesse für ihre Umgebung gewinnen?
Stefanie ist nur auf einen Sprung hinüber ins Sanatorium gegangen. Als sie zurückkehrt, findet sie Maritta ohnmächtig vor dem Bett ihres Kindes.
Sie alarmiert das ganze Haus, ruft Philipp herbei, und man bettet Maritta bequem. Noch liegt sie in tiefer Bewußtlosigkeit. Stefanie empfindet tiefes Mitleid mit der Freundin, die sich ohne Thomas nicht mehr im Leben zurechtfinden kann. Und sie war doch einmal ein lebenssprühendes Geschöpf.
Wieder wird der Arzt gerufen, der schon einmal bei Stefanie geholfen hat.
Man läßt ihn mit Maritta allein. Er bringt sie schnell ins Leben zurück. Abwartend sitzt er neben ihr, bis sich die Lider heben. Verständnislos irren Marittas Augen umher.
Sie war doch gefallen, tief, immer tiefer. Und nun ist sie wieder zu diesem verhaßten Leben erwacht.
»Warum haben Sie mich nicht sterben lassen?« fragt sie klanglos.
»An einer Ohnmacht stirbt man nicht«, erwidert der Arzt eindringlich. »Außerdem müssen Sie leben.«
»Ich habe aber keine Lust mehr dazu«, stößt sie erbittert hervor.
»Und das Kind?«
Wie elektrisiert sitzt sie aufrecht. Die Augen weitgeöffnet.
»Welches Kind?«
»Nun, das Kind, dem sie das Leben geben werden.«
Der Arzt fühlt seine Hände gepackt. In das farblose Gesicht steigt glühende Röte. Wie im Fieber wird die schmale Gestalt geschüttelt.
»Ist das die Wahrheit? Bitte, Herr Doktor, bekomme ich wirklich ein Kind?«
»So gewiß, wie zwei und zwei vier sind«, bestätigt der Arzt trocken.
Da läßt sich Maritta zurücksinken. Die Lider schließen sich, und Tränen quillen unter den Wimpern hervor. Leise entfernt sich der Arzt und informiert draußen Stefanie. Leise tritt sie ein, nimmt den Platz des Arztes in Beschlag.
»Maritta!« mahnt sie die vor sich hin Schluchzende.
»Stefanie«, sagt Maritta, vom Weinen geschüttelt, »ich bekomme ein Kind, und Thomas darf das nicht erleben.«
Tief neigt Stefanie sich zu der Freundin hinab und küßt sie auf die Wange.
»Liebes, jetzt weißt du, warum du leben mußt, hörst du, für dein Kind. Thomas hat dir ein Vermächtnis hinterlassen, wie es schöner nicht sein kann. Willst du nun nicht mehr ans Sterben denken, sondern für dein Kind gesund werden – und wieder fröhlich? Was würde Thomas sa-
gen?«
»Er würde sagen: Hast du es endlich gemerkt? Das war nämlich sein Lieblingsausdruck.«
Sie faßt nach Stefanies Händen und drückt sie ganz fest.
»Ja, Stefanie. Ich werde leben für mein Kind und mir an dir und deiner Familie ein Beispiel nehmen. Ihr seid alle so tapfer.«
Als sich Maritta beruhigt hat und eingeschlummert ist, läuft Stefanie zu Philipp.
Stürmisch fällt sie ihm um den Hals und birgt ihr heißes Gesicht an dem seinen.
»Ach, Philipp, wie bin ich glücklich und dankbar. Ich mußte erst durch tiefes Leid gehen, durch hoffnungsloses Dunkel. Maritta kämpft sich jetzt langsam aus ihrem Leid. So gibt es immer einen Ausgleich im Leben. Den einen trifft es so – den anderen so. Ich muß es dir einmal sagen«, flüstert sie verschämt an seinem Ohr: »Ich liebe dich, Phil. Ich liebe dich täglich mehr und in unserem Kind noch einmal.«
Stumm preßt Doktor Titanus Stefanie an sich.
Die beste aller Frauen habe ich bekommen – denkt er. In seiner Stimme ist unterdrückter Jubel.
»Siehst du, Liebes – es war doch Liebe!«
– E N D E –
Jutta Dahlen, die älteste Tochter des Besitzers der Dahlen-Werke, schritt ihrem Lieblingsplätzchen zu.
Der Weg lief steil hinan zu einer kleinen Anhöhe, von der aus man weit in die Umgegend sehen konnte.
Die Hand über die Augen gelegt, schaute sie um sich.
Nach einiger Zeit schritt sie gedankenverloren den Weg zurück, der zum Hause führte.
Ihrem Vater, dessen Wesen seit Tagen tiefernst und sorgenvoll war, galten ihre Gedanken.
Welche Sorgen drückten den Vater, geschäftliche – oder persönliche?
Plötzlich verhielt Jutta den Schritt. Tante Hermine trat aus dem Haus und schritt auf das Auto zu.
Schnell trat Jutta hinter das Gebüsch. Es wäre ihr unmöglich gewesen, mit der Tante zu reden.
Sie atmete auf, als Tante Hermine verschwunden war. Doch kaum hatte sie den Fuß vorwärts gesetzt, blieb sie abermals stehen.
Dicht vor ihr ging Bernhard Dahlen dem Hause zu. Sein Gang war wie der eines Schwerkranken.
Ein eiskaltes Gefühl kroch Jutta nach dem Herzen, als sie in kurzem Abstand der schwankenden Gestalt folgte.
In der dämmrigen Kühle, die in der hohen Halle herrschte, schöpfte er tief Atem. Dann schlug er den Weg zu seinem Arbeitszimmer ein, das im ersten Stockwerk lag.
Hart fiel die Tür hinter ihm ins Schloß, dann wurde ein Schlüssel umgedreht.
Wie vor einer unüberwindlichen Mauer stand Jutta vor der hohen Tür. In ihren blauen Augen stand das Entsetzen.
Etwas Furchtbares hatte den Vater tief erschüttert. Aber was? Sie mußte Gewißheit haben.
Voller Verzweiflung klopfte sie an.
Aber nichts rührte sich.
Jutta war wie von Sinnen. Wie sollte sie zu Vater gelangen?
Da kam ihr ein Gedanke: der Balkon, der das Billardzimmer mit Vaters Arbeitszimmer verband!
Sie riß die Tür zum Nebenzimmer auf und stand Sekunden später auf dem Balkon.
Ihre eiskalte Hand griff nach dem Drücker – unverschlossen!
Mit einem Satz war sie neben dem zusammengesunkenen Mann, umklammerte die wachsbleiche Hand, die den Browning umspannt hielt.
»Vater!«
Bernhard Dahlen erwachte aus seiner Erstarrung. Ein Zucken ging durch seinen Körper.
Jutta überwand das Grauen. Sie griff nach dem Revolver, sicherte ihn, warf ihn in das halbgeöffnete Schreibtischfach und legte in überströmender Liebe die Arme um den Hals des Vaters.
Ein Strahl unendlicher Liebe brach aus Bernhard Dahlens Augen.
»Ich danke dir, mein Kind!« Seine Stimme klang wie gesprungenes Glas. »Aber helfen kannst du mir – unmöglich!«
Nicht nur die Schönheit ihrer Mutter hatte Jutta geerbt, nein, auch den wertvollen Charakterzug, den Melitta besessen hatte. Melitta, die aus seinem Leben gegangen war und einen Teil seiner Lebenskraft mit sich genommen hatte.
Jutta, die des Vaters neue Fassungslosigkeit dem Vorhergegangenen zuschrieb, neigte sich zu ihm.
»Vater! Ich bitte dich herzlich, sprich dich aus!«
Das war auch ihre