Richtig – sie mußte das Gespräch am Büfett anmelden. Schon wollte sie die Zelle wieder verlassen, als ihr Blick auf ein Reklameschild fiel.
›Andersen-Bank‹, stand darauf.
Ein Stöhnen kam aus ihrer Brust. Ihre große Hoffnung, dahin – zerschlagen!
Plötzlich begann sie fieberhaft nach einer Nummer zu suchen. Hier: Andersen-Bank.
Kurz entschlossen wählte sie die Nummer und ließ sich mit der Sekretärin verbinden.
Ein Knacken im Apparat, dann eine Frauenstimme:
»Hier ist die Sekretärin von Herrn Andersen.«
»Hier Jutta Dahlen, verzeihen Sie bitte –«
»Ach, Fräulein Dahlen, warum sind Sie davongelaufen?« klang die Stimme ein wenig ärgerlich. »Gerade, als Sie hinaus waren, ist Herr Andersen gekommen. – Hallo – sind Sie noch da?«
Der Hörer war Juttas Hand entfallen. In ihren Ohren war ein Sausen und Brausen: »Soeben gekommen – soeben gekommen!«
Ganz bedächtig legte sie denHörer auf und begab sich an ihren Platz, bezahlte und ging.
Nach einer Viertelstunde stand sie abermals im Zimmer der Sekretärin Ullrich Andersens.
Offensichtliche Verlegenheit spiegelte sich in Anni Keßlers Zügen beim Anblick Jutta Dahlens.
Zögernd trat sie auf Jutta zu.
»Es tut mir wirklich leid, Fräulein Dahlen, aber im Augenblick kann ich Sie nicht melden! Herr Andersen wünschte nicht gestört zu werden.«
»Wann kann ich Herrn Andersen sprechen?« Tiefe Mutlosigkeit klang durch die wenigen Worte.
Anni Keßler zuckte die Achseln.
»Wenn Sie einstweilen Platz nehmen wollen?«
Jutta setzte sich, und die Sekretärin neigte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Bange Minuten vergingen – Jutta erschienen sie eine Ewigkeit. Endlich hielt sie es nicht länger aus.
»Bitte, Fräulein Keßler, versuchen Sie, ob mich Herr Andersen empfängt.« Und als die Sekretärin unentschlossen aufblickte, sagte sie noch: »Ich trage die Verantwortung.«
»Ich kann es ja mal versuchen«, antwortete sie und klopfte an die Tür des Chefzimmers. Zu ihrem größten Erstaunen wurde sie aufgefordert, einzutreten.
»Herr Andersen, eine Dame wünscht Sie zu sprechen!«
»Eine Dame?« kam es überrascht vom Fenster her, und dann, nach kurzer Pause: »Soll eintreten.«
Anni Keßler öffnete Jutta die Tür.
Jutta stand nun in dem großen Raum. Ihr Herz setzte aus – dort am Fenster, den Rücken dem Zimmer zugewandt, lehnte ein großer kräftiger Mann.
Jutta wagte kaum zu atmen – und da, langsam drehte sich Ullrich Andersen um.
Zunächst fesselten sie nur ein paar helle Augen, die in seltsamem Widerspruch zu der dunkelgetönten Hautfarbe standen; ein Zeichen, daß sich der Mann viel im Freien bewegte.
Jutta stand dem großen Andersen gegenüber.
*
Klaus Heimburg war, nachdem er Jutta aus den Augen verloren hatte, mißmutig in sein Hotel zurückgekehrt.
In seinem Wohnzimmer warf er sich in einen Sessel.
»Klaus Heimburg«, sagte er sich, »kaum bist du einige Tage in Deutschland, und schon bist du auf dem besten Wege, dich zu verlieben.«
Wenn er Glück hatte, lief sie ihm vielleicht noch einmal in den Weg, die zierliche blonde Frau. –
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Andersen zu Jutta. Nichts in seinem Gesicht verriet, daß er aus seinem Gleichgewicht gebracht war.
Sofort hatte er in Jutta die junge Dame erkannt, die in seinen Wagen gelaufen war. Auch sonst wäre es unmöglich gewesen, dieses schmale Mädchengesicht wieder zu vergessen – dafür sorgte schon die Vergangenheit. Aber gleichzeitig wappnete er sich mit eisiger Unnahbarkeit.
»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte er knapp.
Plötzlich schwang eine dunkle warme Stimme im Zimmer: »Ich bin Jutta Dahlen.«
Schwerfällig ließ sich Andersen hinter seinem Schreibtisch nieder und wandte keinen Blick von dem bleichen Antlitz. – Diese Stimme – die Stimme!
Juttas Herz klopfte zum Zerspringen. – Diesen Mann wollte sie um etwas bitten? – Ihr mühsam zurechtgelegter Plan brach zusammen wie ein Kartenhaus.
Sie hatte nur einen Gedanken: Ich muß fort – sonst breche ich in Tränen aus! Nur so kann ich mich noch mit Anstand aus der peinlichen Lage retten! Unwillkürlich machte sie einige Schritte rückwärts.
Da sprang Ullrich Andersen auf und stand nun vor Jutta. Wenn er erst nicht klug aus ihr geworden war – jetzt fühlte er: vor ihm stand ein Menschenkind, das Hilfe suchte. Die künstliche Maske der Verhärtung, die er getragen, fiel, und nichts war mehr übriggeblieben von dem seinen Willen durchsetzenden Andersen, als er jetzt Jutta zu dem Ledersessel führte, der seinem Platz gegenüberstand.
»So«, sagte er, »nun müssen Sie offen zu mir sein – womit kann ich Ihnen helfen?« Dann trat er weg von ihr, so daß er im Schatten stand.
Er merkte, daß seine Nähe sie ängstlich gemacht hatte. So gab er ihr Gelegenheit, sich zu sammeln.
Und Jutta sprach. Schon nach den ersten Sätzen hatte sie sich wiedergefunden. Nicht nur verstandesgemäß – mit ganzem Herzen trug sie ihr Anliegen vor.
Andersen beugte sich aufmerksam vor.
Da saß ein junges Mädchen vor ihm und sprach von einem Werk und einem Vater, der um dieses Werk zu halten, um Verlängerung seines Kredits nachsuchte. Und er hatte geglaubt – –?
Er schämte sich plötzlich seiner Gedanken. Wenn er nicht schon um dieses tapferen Mädels willen helfen würde, dann ganz bestimmt um eines Werkes willen, wie das Bernhard Dahlens, das Weltruf genoß und gehalten werden mußte.
Aber er würde sich erst einmal die Werke anschauen, ob da auch alles in Ordnung war.
Innerlich war er längst entschlossen, zu helfen, doch zögerte er, als wollte er sich noch ein paar Minuten gönnen, in das junge Gesicht zu schauen. – Und dann hing diese Frage doch in der Luft.
»Würden Sie mir den Mädchennamen Ihrer Frau Mutter nennen?«
Jutta riß die Augen auf. – Was hatte der Mann? Was ging ihn ihre tote Mutter an?
Leise antwortete sie:
»Meine Mutter war eine geborene von Erlstett – Melitta von Erlstett.« Sie wollte noch hinzusetzen: Sie ist schon lange tot, ich habe sie nicht gekannt. – Aber ein Stöhnen verschlug ihr die Worte; es schien von dort zu kommen, wo Ullrich Andersen stand.
Doch sie mußte sich geirrt haben. Andersens Gesicht war beherrscht wie immer, nur – die kräftige Hand lag jetzt zur Faust geballt auf der Schreibtischplatte. Unbeschreibliches ging in Andersen vor. Seine Ahnung, seine Ahnung!
Jutta Dahlens Mutter war seine einzige, große Liebe! Um ihretwegen war er einsam geblieben, und aus seiner Liebe zu ihr hatte er die Kraft geschöpft, zu seiner gegenwärtigen Höhe emporzusteigen – und nur sie sollte der Lohn sein, um den er gearbeitet hatte. Doch als er dann so weit war, sie zu holen, hatte sie dem anderen ihr Herz geschenkt – Bernhard Dahlen! In seiner Verzweiflung hatte er nicht nach dem Namen des Mannes gefragt, der ihm das Höchste entrissen. In diesem Augenblick war sie ihm verloren: die Liebe hatte den Sieg davongetragen, nicht sein vieles, schwer erarbeitetes Geld! In törichter Verblendung hatte er geglaubt, sich Melitta von Erlstett nur erringen zu können, wenn er ihr den kostbaren Rahmen geben konnte, der zu ihrer Schönheit gehörte. Das war sein großer Fehler gewesen, der ihn sein Lebensglück