»Jawohl, gnädiges Fräulein!«
Klaus Heimburg verließ ebenfalls den Speisesaal. Er zögerte. Sollte er sich nach ihr erkundigen?
Wieder kam ihm da das Schicksal zu Hilfe.
»Fritz, trag die Rechnung zu Fräulein Dahlen, Zimmer vierzehn!«
Klaus Heimburg horchte auf.
»Dahlen? – Bestand ein Zusammenhang? – Er trat an den Tisch.
»Können Sie mir sagen, ob Fräulein Dahlen die Tochter des Fabrikbesitzers Bernhard Dahlen ist?«
»Wenn Sie die Dahlen-Werke in Narbach meinen, dann stimmt das, Herr Heimburg«, gab der Pförtner ihm zur Antwort.
Klaus dankte und suchte sein Zimmer auf.
Er sehnte sich plötzlich nach der Mutter; sie würde ihm raten, fand immer das Richtige! – Jetzt wußte er auch, woher die große Ähnlichkeit kam.
Mit einem Male kam ihm ein Gedanke. Und sofort handelte er. Er drückte den Finger auf die Klingel.
Das Zimmermädchen erschien.
»Schnell, meine Rechnung, ich reise in einer Stunde!«
In aller Eile warf er alles in den Koffer, verließ das Hotel und ließ sich nach dem Bahnhof fahren.
In letzter Minute loste er eine Fahrkarte nach Narbach – und bestieg den Zug.
Da – endlich sah er Jutta den Bahnsteig betreten! Den eleganten Lederkoffer in der Hand, bestieg auch sie den Zug.
Klaus Heimburg war hochbefriedigt. Er drückte sich in seine Ecke und vergrub sich hinter einer Zeitung.
Gesehen wollte er keinesfalls von ihr werden.
*
In Narbach angekommen, wartete Klaus, bis Jutta den Zug verlassen hatte. In kurzem Abstand folgte er ihr, sah, wie sie vor dem Bahnhof mit einem großen Wagen davonfuhr.
In das nächste Taxi steigen und nachfahren, war eins.
»Kennen Sie die Dame?« fragte Klaus den Chauffeur.
»Und ob – mein Bruder arbeitet doch in den Dahlen-Werken. Fräulein Dahlen ist der gute Engel der Arbeiter!« sagte er stolz.
In Klaus Heimburgs Augen trat ein Leuchten. Das paßte ganz zu dem Bilde, das er sich von Jutta gemacht hatte.
»Soll ich bis ans Tor fahren?« fragte der Chauffeur, als sie vor der Fabrik angekommen waren.
»Nein, ich fahre wieder mit zurück!« antwortete Klaus, ließ aber keinen Blick von dem weißgekleideten Mädchen, das er eben hinter dem großen Tor verschwinden sah. Und dann kam ihm ein neuer Gedanke.
»Können Sie mir sagen, wo ich hier in der Nähe ein Zimmer haben kann?«
Der biedere Mann ließ einen prüfenden Blick über Klaus Heimburg gleiten.
»Meine Schwägerin sprach neulich davon, ein Zimmerchen abzugeben – aber, ob Ihnen das genügen wird?«
»Wo liegt denn das Zimmer?« Klaus war sofort interessiert.
Der Chauffeur zeigte in die Richtung der Dahlen-Siedlung.
»Mein Bruder hat ein Häuschen in der Arbeiterkolonie. Es ist nur klein – doch gut aufgehoben wären Sie.«
»Wollen Sie das Zimmer für mich mieten? Ich gedenke mich nämlich in den Dahlen-Werken um eine Stellung zu bewerben«, sagte Klaus.
Wieder machte der Chauffeur große Augen.
»Gut«, sagte er dann. »Ich fahre schnell mal vorbei. Wohin kann ich Ihnen Nachricht geben?«
Sie wurden schnell einig. »So – der Anfang wäre gemacht«, sagte Klaus zufrieden vor sich hin.
*
»Guten Morgen!«
Bernhard Dahlen betrat das Frühstückszimmer.
»Guten Morgen«, grüßte Hermine zurück und erschrak heftig – der Schwager hatte über Nacht fast weißes Haar bekommen.
Hatte er finanzielle Sorgen? Sie mußte sofort mit Pegau sprechen, erwar doch in alles eingeweiht.
Während Dahlen ihr die Tasse aus der Hand nahm, die sie gefüllt hatte, bemerkte sie das Zittern seiner Hände.
»Du bist mir hoffentlich nicht böse, Hermine, daß ich dich gestern nicht sprechen konnte – ich hatte wirklich sehr viel Arbeit«, sagte Dahlen dann.
Wie er lügt! dachte Hermine, meinte aber nach einigem Nachdenken:
»Ich weiß nicht, ob du gerade jetzt in Stimmung bist, mich anzuhören.«
»Aber bitte!« Überstürzt hastig forderte er sie auf.
»Ich hatte dich kürzlich darauf aufmerksam gemacht, daß wir unsere diesjährige Gartengesellschaft noch zu geben haben; es wäre an der Zeit.«
»Ja, wenn es sein muß – nur – –«
»Was – nur?« fiel sie ihm ins Wort.
Er zögerte. Juttas Worte fielen ihm ein: »Wir müssen uns in unserer Lebenshaltung einschränken.«
Er wußte, jetzt mußte er ›nein‹ sagen, aber er brachte es nicht fertig, sich mit ihr in Auseinandersetzungen einzulassen.
»Ich überlasse alles dir, Hermine«, sagte er ergeben. »Wann soll das ungefähr sein?«
»Ich spreche noch einmal mit dir darüber«, sagte sie, ein kleines triumphierendes Lächeln um den Mund. »Aber noch etwas hätte ich mit dir zu besprechen.«
»Ja – und das wäre?«
Sie lehnte sich behaglich zurück.
»Hast du noch nie den Gedanken erwogen, Jutta zu verheiraten?« fragte sie.
»Jutta verheiraten?« stammelte er fassungslos. »Nein, daran habe ich noch nicht gedacht.«
»Jutta hat das Alter dazu«, beharrte Hermine.
»Aber das muß doch von Jutta ausgehen! Wenn es ihr Wille ist, kann ich schließlich nichts dagegen sagen. Aber ich – ich sollte für Jutta einen Mann bestimmen? Das kannst du doch nicht ernstlich gemeint haben!«
»Warum nicht?« lächelte sie scheinbar harmlos.
»Du sprichst wie von einer feststehenden Tatsache, Hermine. Bist du etwa in Juttas Herzensgeheimnisse eingeweiht?«
In seinen Augen lag die Furcht vor einem »Ja«.
»Herzensgeheimnis?« spöttelte sie. »Ich spreche von einer Vernunftehe, die Jutta im Interesse des Werkes eingeht.«
»Und – wer soll der Mann sein, den du dir für mein Kind gedacht hast?« Voll Spannung wartete er auf Antwort.
»Reinhold Pegau.«
Nun war der Name gefallen. Was hatte Hermine nur immer mit diesem Manne? Bei jeder Gelegenheit schob sie seine Person in den Vordergrund.
Entschlossen richtete er sich auf.
»Wenn Jutta ihn liebte, würde ich ihr kein Hindernis in den Weg legen; ich schätze tüchtige Männer. Aber er ist nicht der richtige Mann für sie.« Ganz bestimmt kam das aus seinem Munde.
»Ich glaubte, damit dem Werk zu dienen. Pegau würde noch mehr leisten, wenn er dein Schwiegersohn wäre.«
»Verzeih, Hermine. Bisher hast du dich immer ferngehalten von allem, was mit der Fabrik zusammenhängt. Nur Pegau legtest du mir immer wieder warm ans Herz. Eine Mutter kann wahrhaftig nicht besorgter sein!«
Er hatte es in gutem Sinne gemeint und war überrascht über die Wirkung seiner Worte.
Hermine lehnte mit farblosem Gesicht im Sessel.
»Ich meinte es nur