Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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der Schwester. Wie die sich das gedacht haben, als wenn man sie, Milchen, aufhalten könnte, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und noch dazu, wo es sich um ihren Liebling handelt.

      Sie wappnet sich bereits gegen neue Schwierigkeiten und drückt die Klinke der Tür nieder, die man ihr beschrieben hat.

      Sie steht in einem schönen Raum, der wenig von einem Krankenzimmer an sich hat. Blumen duften in schönen Vasen. Bunte Vorhänge schmücken das breite Fenster und die Tür, die anscheinend auf einen Balkon führt. Eine hellgrüne Sesselgruppe, ein gleichfarbiger Teppich machen den Raum wohnlich und warm.

      Und vor dem Fenster, in einem fahrbaren Stuhl, sitzt Stefanie.

      Milchen stockt der Atem. Alles hat sie erwartet, aber nicht, Stefanie so schnell gefunden zu haben.

      »Sind Sie es, Schwester Elisabeth?« hört sie Stefanies Stimme sagen.

      Lautlos gleitet Milchen tiefer in das Zimmer. Sie würgt es im Halse vor übergroßer Freude. Leise setzt sie ihre Reisetasche ab und neigt sich über Stefanie.

      »Stefanie, Liebling!« flüstert sie.

      Stefanies Kopf ruckt herum.

      »Milchen!«

      Das ist ein Aufschrei, und schon hat die Alte die Arme um die schmale Gestalt gelegt, und Stefanies Kopf ruht an ihrer Schulter. Tränen der Freude fließen.

      »Oh, Milchen!«

      Immer wieder flüstert Stefanie dieses Wort, mit dem sich ihre schönsten Kindheitserinnerungen verknüpfen.

      »Stefanie, mein liebes Kind!«

      Mit zärtlicher Geste wischt Milchen die Tränen von Stefanies Wangen. Dann bückt sie sich zu ihrer unförmigen Reisetasche.

      »Ich habe dir etwas mitgebracht, Stefanie«, sagt sie mit der Freude eines Kindes, und sie packt aus. Äpfel aus dem Garten, Eier, die sie ganz frisch aus dem Hühnerstall geholt hat, eine Flasche Rotwein. Alles legt sie in Stefanies Schoß. Schier unergründlich ist der Inhalt der Tasche.

      Stefanies Hände tasten über die Geschenke hin.

      »Willst du einen Apfel essen, Kind? Hier, nimm diesen.«

      Milchen sieht, wie Stefanie zögernd umhergreift – und hat mit einem Schlag begriffen. Sie ist so erschrocken, daß sie glaubt, ihr Herz setze aus.

      Stefanie – lieber, gütiger Himmel – Stefanie kann nicht mehr sehen. Neben dem Stuhl bricht sie in die Knie und weint fassungslos. Jetzt ist es Stefanie, die die Treue trösten muß.

      »Weine doch nicht, Milchen, bitte, weine nicht«, fleht sie. »Das geht vorüber. Nach der Operation werde ich wieder sehen können wie du.«

      Mit ihren schwachen Kräften versucht sie, Milchen emporzuheben.

      »Verzeih, Stefanie.« Milchen taumelt und muß sich an Stefanies Stuhl festhalten. Wie konnte sie das Kind so erschrecken und so aufregen? Deshalb also durfte keiner zu ihr.

      Sie sieht sich hilfesuchend in dem Zimmer um. Vielleicht hat sie mit ihrem Besuch eine riesengroße Dummheit begangen?

      »Komm, Milchen«, hört sie Stefanie leise raunen. »Hol dir einen Stuhl herbei und erzähle. Ich freue mich ja so sehr. Wie geht es draußen im Haus?«

      Allmählich fängt Milchen sie wieder. Noch ehe sie erzählen kann, öffnet sich die Tür – sie preßt die Hand gegen den Mund – um den Aufschrei zu unterdrücken.

      Professor Hollweg! Wie kommt der Mann hierher? Sie starrt ihn aus rotgeweinten Augen an und bemerkt, wie er den Finger an den Mund legt. Sofort hat sie begriffen, wenngleich alles in ihr durcheinanderwirbelt.

      »Herr Professor?« Lauschend hebt Stefanie den Kopf und sinkt mit einem schwachen Lächeln zurück. Sie tastet nach Milchens Hand. »Das ist Professor Bergmann, Milchen. Er wird mir mein Augenlicht zurückgeben.«

      Wieder trifft sie ein flehender Blick aus Hollwegs Augen und das beschwörende Zeichen mit dem Finger. Kaum merklich nickt Milchen.

      »Guten Tag, Herr Professor.« Scheu streckt Milchen dem Mann, den sie zu hassen meinte, die Hand entgegen. Sie kann es nicht fassen, was sie aus Stefanies Mund hören muß.

      »Du glaubst nicht, wie lieb der Herr Professor zu mir ist, Milchen«, erzählt Stefanie erregt und glücklich zugleich. »Er widmet mir seine ganze Zeit –«

      »Die halbe –«, versucht Hollweg zu scherzen. Eine große Last ist von seinem Herzen gefallen, ein schier unerträglicher Druck, als er die Alte neben Stefanie erblickt hat. Nein! Sie wird ihn nicht verraten. Sie hat sich schweigend in das Spiel eingefügt.

      Ja, er ist sogar gerührt, als sie sich zaghaft an ihn wendet.

      »Sie müssen entschuldigen, Herr Professor, daß ich unangemeldet gekommen bin. Ich hatte solche Sehnsucht.«

      Professor Hollweg drückt ihr wortlos die Hand. Es ist, als würden sie mit diesem Händedruck vieles überbrücken, was zwischen ihnen lag.

      »Das kann ich gut verstehen.« Er richtet das Wort an Stefanie. »Da ich Sie in guter Obhut weiß, werde ich Sie allein lassen. Bis nachher.«

      Von der Türe her macht er noch einmal das Zeichen des Schweigens, und abermals nickt Milchen.

      *

      Bei seinem Eintritt bemerkt Hollweg, daß Milchen ihren Stuhl ganz nahe an Stefanies Sessel gerückt hat und diese im Arm hält. Sie schweigen. Es tut ihm leid, dieses innige Beisammensein zerstören zu müssen.

      Er räuspert sich.

      »Draußen steht ein Chauffeur, der Sie abholen will.«

      Milchen sieht mit kugelrunden Augen zu ihm auf.

      »Für mich?«

      »Ja, er behauptet, den Auftrag erhalten zu haben, Sie wohlbehalten zurückzubringen.«

      »Dann muß ich wohl«, sagt sie, eher traurig als erfreut. Schnell drückt sie noch einen Kuß auf Stefanies Wange. »Meine guten Wünsche sind immer bei dir, liebes Kind. Auf Wiederse-hen!«

      An Hollwegs Seite, der sie den Weg zum Ausgang führt, springt ein Funke von ihm zu ihr, der Zuversicht und Hoffnung in ihr Herz senkt.

      »Ich danke Ihnen, Milchen.« Vor der breiten Glastür nimmt Hollweg der Alten Hand. »Sie haben mich nicht verraten.«

      »Nur Stefanies wegen«, fällt sie ihm schnell in die Rede und spürt, wie sie dabei errötet.

      Er macht eine kleine Handbewegung.

      »Aus welchem Grunde, ist unwichtig, Milchen. Hauptsache, Stefanies Seelenruhe wird nicht gestört.«

      »Und – und Sie wollen sie wirklich operieren?« wagt sie scheu zu fragen.

      Er nickt ernsthaft.

      »Ja!« sagt er kurz.

      »Wird Stefanie ihre Sehkraft zu-rückgewinnen?«

      »Ich hoffe es.« Das klingt gequält. »Wir Ärzte sind auch nur Menschen.«

      Wieder tritt der ängstliche Ausdruck in ihre Augen.

      »Mein Besuch wird sie doch nicht etwa zu sehr erregt haben?«

      »Wir wollen es nicht hoffen, Milchen. Jedenfalls haben Sie es gut gemeint«, versucht er, ihre Bedenken zu zerstreuen.

      Jetzt reicht sie ihm noch einmal von sich aus die Hand.

      »Vielen Dank für alles, was Sie für Stefanie tun«, würgt sie hervor und hastet durch die Tür

      Lange sieht er hinter ihr her, bis sie wohlverwahrt in dem eleganten Wagen sitzt. Dann erst kehrt er zu Stefanie zurück.

      Stumm nimmt er Milchens Platz ein. Er wartet, bis Stefanie spricht. Und lange kann Stefanie das Schweigen nicht ertragen. Zuviel beschäftigt sie. Sie versucht, ihm eine Erklärung für Milchens eigenmächtige Handlung zu geben.

      »Sie