Augenblick, der ihr Herz höher schlagen ließ. Morgen stellt sie sich im IllermannKonzern vor, und wenn sie Glück hat, wird sie die Stelle bekommen. Dann ist ihr Leben ausgefüllt, und sie wird hoffentlich den Mann mit den tiefblauen Augen vergessen.
»Marina, so komm doch endlich!«
Marina eilt hinter dem Paar her.
»Ich komme!«
*
Mit einigem Herzklopfen steigt Marina am Tag darauf in dem gewaltigen Bau des Illermann-Konzerns die breite Treppe hinan, die einen dicken roten Läufer trägt. Das Treppenhaus ist mit Marmor getäfelt. Die Vornehmheit des Hauses bedrückt sie. Sie schöpft ein paarmal tief Luft, dann steht sie im ersten Stockwerk, wohin man sie gewiesen hat.
»Sekretariat«, steht mit großen, pompösen Lettern über der Tür, an die Marina zaghaft klopft. Auf das »Herein« tritt sie ein. Zunächst sieht sie ein großes Fenster mit schönen Blattpflanzen, davor zwei Schreibtische. Der eine ist leer, an dem anderen sitzt eine junge Dame, und vor dieser steht mit dem Rücken zu Marina ein Mann. Er redet eifrig auf das junge Mädchen ein, und diese gibt ihm respektvoll Auskunft.
Sie entdeckt Marina und erhebt sich.
»Sie wünschen?«
»Man hat mich heute für neun Uhr herbestellt«, sagt Marina mit ihrer wohllautenden, schwingenden Stimme, der nichts mehr von ihrer Verzagtheit anzumerken ist. »Ich hatte mich um die Sekretärinnenstelle beworben.«
Mit einem Ruck dreht sich der Mann um, starrt Marina an. Marina stockt der Atem. Sie erkennt den Mann, den sie auf der Straße geohrfeigt hat.
Nach der Haltung des jungen Mäd-chens zu urteilen, muß er hier ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Aller Mut verläßt Marina. Sie merkt, wie ihr das Blut zum Herzen schießt. Jetzt ist alles aus. Nie wird der Mann ihr die Ohrfeige verzeihen, und so sieht auch sein Gesichtsausdruck aus. Grimmig und voll Hohn ist sein Lächeln.
»Ach, sieh mal an. Sind Sie gekommen, um sich zu entschuldigen? Das ist vergebliche Mühe!«
»Nein«, sagt Marina und nimmt allen Stolz zu Hilfe. »Sie haben den Denkzettel verdient. Man überfällt nachts keine Mädchen. Übrigens bin ich herbestellt, wie ich schon sagte.«
»Ach, Sie kommen wegen der Stelle?« fragt er überflüssigerweise. Er macht eine energische Handbewegung. »Daraus wird natürlich nichts, mein Fräulein. Die Stelle ist bereits vergeben. Ihnen bleibt nichts als der Rückzug übrig.«
Er rächt sich – schießt es Marina durch den Kopf. Aber noch gibt sie sich nicht geschlagen. Ihre tiefblauen Augen flammen ihn an.
»Haben Sie mich herbestellt?«
»Allerdings.«
»Und sind Sie auch berechtigt, mich abzuweisen, aus – aus persönlichen Gründen?«
»Das ist meine Angelegenheit, Fräulein. Nehmen Sie die Klinke in die Hand und verschwinden Sie schleunigst.« Er sagt das laut und grob. Marina ist den Tränen nahe. Es geht um ihre Existenz. Darum muß sie kämpfen. Sie weiß, er ist ihr Feind. Wie angenagelt bleibt sie stehen. Da brüllt er sie an:
»Sie sind immer noch da?«
Keiner achtet darauf, daß sich die Tür zum Nebenzimmer öffnet und Albert Gellert, der Generaldirektor des Illermann-Konzerns, im Türrahmen erscheint.
»Was ist denn hier los?«
Die laute Stimme seines Sohnes hat ihn herbeigelockt. Er sieht dessen wütendes Gesicht und entdeckt dann Marina, die schön, aber blaß ist und unweit von seinem Sohn steht.
In seinen Augen blitzt Erkennen auf. Er wendet sich an seinen Sohn.
»Bitte, komm mit.«
Günther Gellert folgt seinem Vater wortlos. Trotzig steht er ihm in dessen Zimmer gegenüber.
»Was hat das zu bedeuten?« fragt Albert Gellert kurz.
»Ich habe das Mädchen abgewiesen«, stößt Günther Gellert wütend hervor.
»Wie mir scheint, aus persönlichen Gründen«, erwidert Albert Gellert gelassen. »Die Anstellung einer zweiten Sekretärin ist meine Angelegenheit. Du hast mir nicht hineinzureden. Laß das Mädchen kommen.«
Wortlos entfernt sich Günther. Aber in ihm wühlt es. Er kann es nicht verwinden, von dem Mädchen geohrfeigt worden zu sein. Natürlich wird sie es dem Vater erzählen, und dann –. Er wagt den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Darin versteht sein Vater keinen Spaß.
Am liebsten hätte er die Tür hinter sich zugeschlagen. Doch das wagt er nicht.
Marina wartet.
»Sie sollen hereinkommen«, sagt er unhöflich, und die Sekretärin, ein blondes, hübsches Mädchen sieht Günther Gellert erstaunt an. So hat sie den allzeit fröhlichen Mann noch nicht erlebt.
Nicht einmal die Tür öffnet er ihr. Er tut, als sei sie Luft für ihn. Mit Herzklopfen geht Marina in das Zimmer des Generaldirektors.
Er steht hinter seinem gewaltigen Schreibtisch, hochgewachsen, mit wachen Augen in dem schmalen gebräunten Gesicht.
»Ich muß Sie für meinen Sohn um Entschuldigung bitten«, beginnt er das Gespräch. »Nehmen Sie bitte Platz. Kennen Sie meinen Sohn? Und was veranlaßte ihn, Sie so unhöflich zu behandeln?«
Marina nimmt im Sessel Platz. Sie ist sich klar darüber, daß sie den Sohn bei seinem Vater nicht anklagen darf.
»Ach, nichts von Bedeutung«, schwächt sie ab. Er betrachtet sie aufmerksam. Sie ist auffallend schön, und Günther liebt schöne Frauen. Er denkt an den Abend im Konzertsaal, da sie beide Marina restlos bewunderten. Nun gut, wenn sie nicht sprechen will! Es spricht nur für sie. Also läßt er die Angelegenheit auf sich beruhen. Er wird sachlich.
»Sie haben sich um die Stelle beworben. Natürlich ist sie noch frei. Was Sie können, steht in Ihrem Bewerbungsschreiben. Aber ich möchte Ihnen zur Probe diktieren. Gut ist es, daß Sie Englisch und Französisch beherrschen. Das kann Fräulein Markwart nicht. Mitunter brauche ich eine Kraft, die bei ausländischen Besuchern Stenogramme aufnimmt. Darf ich Sie einer kleinen Prüfung unterziehen?«
Marina ist wie gebannt von den hellen Augen und der dunklen, wohllautenden Stimme. Sie nickt nur. Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt. Soll sich doch noch alles zum Guten wenden?
Gellert reicht ihr Block und Stift und beginnt zu diktieren. Er spricht absichtlich schnell. Er hat sich längst entschieden, aber gerade deshalb muß er alles Persönliche ausschalten.
Marinas Bleistift flitzt über das Papier. Als er fertig ist, bittet er sie, im Nebenzimmer die Briefe zu schreiben. Er bringt sie bis zur Tür. Schon das empfindet Marina als angenehm.
Bevor sie sich an die Maschine setzt, stellt sie sich der ersten Sekretärin Barbara Markwart vor, dann nimmt sie hinter der Maschine ihren Platz ein.
In kurzer Zeit hat Marina ihre Arbeit beendet. Barbara muß feststellen, daß sie weitaus mehr Zeit dazu gebraucht hätte.
Albert Gellert hat sich zur Arbeit zwingen wollen, aber es ging nicht. Das Mädchen im Vorzimmer hat all seine Gedanken in Anspruch genommen. Und nun steht es vor ihm, blickt ihn mit ängstlichen Augen an und legt ihm die Briefe vor. Sie sind sauber und fehlerlos geschrieben. Nichts hat Gellert auszusetzen.
»Das ging schnell, Fräulein Braun«, lobt er, ohne sie anzusehen. »Ich bin bereit, Sie anzustellen. Vorläufig auf eine Probezeit. Das ist bei uns so üblich.«
»Gewiß, ich verstehe«, versichert Marina eifrig. »Und wann soll ich mit der Arbeit beginnen?«
»Von mir aus morgen schon«, erwidert Gellert schnell, viel zu schnell, überlegt er. Über Marinas schönes Gesicht geht ein Leuchten.
»Also wollen Sie es mit mir versuchen?« fragt sie atemlos, und er nickt. »Danke vielmals. Ich werde mir alle Mühe geben, Sie zufriedenzustellen.«
Er lächelt