Doktor Sanders übernommen. Der alte Medizinalrat ist zufrieden mit dem, was er
erreicht hat. Glückliche Kinder sind um ihn. Bald wird ein Enkelchen da-zukommen. Kinderlachen wird
durch das Haus schallen, und die alte Martha hat wieder etwas zu be-
treuen.
Wenn Doktor Romberg und seine tüchtige Frau auf die vergange-
nen Ereignisse zu sprechen kommen, dann leuchtet es in Rombergs Au-
gen auf, und er beteuert aus glücklichem Herzen: »Wie schön, daß du da bist!«
- E N D E -
Dr. Hartmut, Rechtsanwalt und Notar, ließ eine Pause eintreten, als wolle er das, was er soeben verkündet hatte, wirken lassen.
Sein kühler Blick glitt über die Brillengläser hinweg reihum. Kein Laut war zu hören.
Leontine Eckhardt, die Frau des verstorbenen Fabrikherrn, lehnte stolz und unnahbar in ihrem Sessel. Ihr Gesicht war dicht verschleiert. Also konnte der Notar nicht erkennen, welche Wirkung seine Erklärungen erzielt hatten.
Er räusperte sich und neigte sich wieder über das Testament Eugen Eckhardts: »Ich komme nun zur Verlesung des eigentlichen Testaments:
Zum Erben meiner Werke setze ich meinen ältesten Sohn, Jost Eckhardt, ein, mit der Bestimmung, daß er seinem Bruder Nikolaus weiterhin dieselben Rechte einräumt, die er bis zur Stunde innehatte. Sollte Nikolaus sich der Herrschaft seines Bruders nicht fügen wollen, kann er sich mit ihm in Güte einigen. Dann kann er sich sein Erbe, das genau die Hälfte aller Werke beträgt, in bar auszahlen lassen.
Der Generaldirektor der Werke ist aber Jost Eckhardt. Falls er nicht mehr am Leben sein sollte, treten seine Hinterbliebenen an seine Stelle: seine Frau, seine Kinder – sofern nachgewiesen werden kann, daß sie einen makellosen Ruf genießen und wert sind, eine solche Erbschaft anzutreten.
Mein Sohn Nikolaus wird mich voll und ganz verstehen, denn gerade über diesen Punkt waren wir uns stets einig.
Meine Schwester Beate, die mir jederzeit ein guter Kamerad war, gehört das Rosenzimmer. Ihren Lebensabend habe ich bereits durch eine Rente sichergestellt.
Meiner Frau Leontine erhält monatlich eine Summe, die ihr Notar Hartmut nennen wird. Sollte sie über diesen Betrag hinaus Wünsche haben, muß sie sich vorher mit meinem Sohn Jost besprechen. Von ihm allein hängt die Genehmigung ab. Er wird jederzeit das Rechte treffen und niemals vergessen, was er seiner Mutter schuldig ist.
Nun bitte ich meinen Sohn Jost noch vielmals um Verzeihung für meine große Härte, an der allein unser schönes Verhältnis zerbrach. Wäre ich früher sehend geworden, hätte ich schon bei Lebzeiten alles wiedergutgemacht. Nun will ich es hiermit nachholen.
Ich lege meinem Sohn oder dessen Erbe dringend ans Herz, mein Lebenswerk in meinem Sinne weiterzuführen und jederzeit Gerechtigkeit walten zu lassen.
Eugen Eckhardt.
Totenstille herrschte in dem großen Konferenzsaal des Notars Hartmut.
Nikolaus Eckhardt schob den Stuhl zurück, stand auf und trat ans Fenster.
Ganz der Vater, dachte Dr. Hartmut. Er erhob sich leise und stellte sich neben ihn.
»Nikolaus!«
Der junge Mann fuhr zusammen. Auch der Notar drehte sich um und sah auf Leontine, die hochaufgerichtet in ihrem Sessel saß. Kalt fiel ihr Blick auf den Sohn.
»Was sagst du zu dem Testament?«
Nikolaus Eckhardt zuckte mit den Achseln. »Das Testament geht in Ordnung«, sagte er bestimmt.
»Niemals!« rief Leontine entsetzt. »Du hast dich jahrelang, seit Vaters Krankheit, um die Leitung der Werke bemüht. Du mußt das Testament anfechten!«
Ein kleines Lächeln huschte um Nikolaus’ Mund.
»Nein! Vater hat aus dem Grabe heraus zu uns gesprochen. Sein letzter Wille und, wie er selber sagt, sein heiligster Wunsch müssen erfüllt werden!«
Leontine Eckhardt stand auf. Groß und hager lehnte sie sekundenlang, nach Fassung ringend, am Tisch. Dann sagte sie kalt: »Ich… ich erkenne das Testament nicht an. Niemals!« Sie nickte kurz und rauschte aus dem Zimmer.
*
»Hilfe – Hilfe – Hilfe!«
Markerschütternd, immer dringlicher und immer verzweifelter wurde der Hilferuf des Ingenieurs Jost Eckhardt.
Vergebliche Mühe, sich von der Last des eisernen Trägers befreien zu wollen. Mit zermalmender Schwere preßte sich die ungeheure Last auf sein schwerverletztes, bis zur Unerträglichkeit schmerzendes Bein. »Hilfe – Hilfe!«
Dort vorn gingen sie. Seine Kameraden. Sie waren mit ihren Gedanken wohl bereits im Kreise ihrer Familien; denn es war Feierabend, und sie strebten schon dem Waschraum zu.
Wo war Detlef Sprenger, sein Freund? War er nicht mit ihm gegangen? Wo blieb er? Er mußte doch in der Nähe sein! Warum kam er nicht und half ihm aus der schrecklichen Lage?
»Hilfe!«
Es war der letzte, schwache Schrei nach Erlösung aus seiner Höllenpein, dann sank der Kopf Jost Eckhardts zur Seite – der Schmerz hatte ihm die Besinnung geraubt.
Wenige Minuten später wollte es der Zufall, daß der Ingenieur Detlef Sprenger, der seinen Freund Jost vermißt hatte, auf der Suche nach ihm endlich den Verunglückten entdeckte.
Gütiger Himmel – was war hier geschehen?
»Jost – Jost!« schrie er auf.
Detlef Sprenger ließ sich auf die Knie fallen, bettete den Kopf des Verletzten in seinen Schoß und erfaßte das Unglück in seiner ganzen Schrecklichkeit.
War Jost tot? War er nur verletzt? Blitzschnell tauchte ein anderes Gesicht vor ihm auf, ein schmales, liebliches Frauenantlitz mit großen, tiefgründigen Augen. Er sah einen blühenden Mund, aber dieser Mund lächelte nur Jost zu, nicht ihm, der Petra Eckhardt über alles liebte…
Mit einer geistesabwesenden Geste strich er sich über Stirn und Augen, als wolle er die unmögliche Gedankenverbindung, die in ihm aufgetaucht war, wieder auslöschen. Petra Eckhardt, die Frau seines Freundes, wie würde sie es aufnehmen?
Er sprang auf, denn inzwischen waren noch andere Arbeitskameraden herangekommen, von denen sofort einige davoneilten, um einen Arzt und einen Krankenwagen zu besorgen. Die anderen befreiten mit vereinten Kräften den Verunglückten.
Mit ernsten Mienen und mitfühlenden Herzen begleiteten die Männer bald darauf die Trage, die man behutsam in den bereitstehenden Krankenwagen geschoben hatte.
Detlef Sprenger sah dem Krankenwagen mit einem seltsamen Blick nach, dann wandte er sich an die Arbeiter.
»Ich bringe selbst die Unglücksnachricht Frau Petra Eckhardt«, sagte er – und fühlte dabei, wie ihm die Kehle vor innerer Erregung trocken wurde.
*
Im Wohnzimmer überprüfte Petra Eckhardt noch einmal den gedeckten Abendbrottisch und nickte befriedigt.
»Jost kann kommen.«
Sie schaute auf die Uhr und trat ans Fenster.
»Wo er nur bleibt?« flüsterte sie, und eine merkwürdige Unruhe überfiel sie. Es war nicht Josts Art, so spät zu kommen.
Petra nahm eine Handarbeit auf, aber ihr fehlte die rechte Sammlung. Bald legte sie die Arbeit wieder aus der Hand und starrte hinunter auf die Straße.
Autos rollten vorüber. Die Laternen übergossen die breite Straße mit einem hellen, fast schmerzenden Licht. Menschen hasteten vorüber.
Petra