Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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hat sich orientiert, in welches Zimmer man Martin gebettet hat. Bei seinem Eintritt erhebt sich Schwester Gisela und macht ihm höflich Platz.

      »Vertreten Sie für kurze Zeit die Oberschwester«, sagt er kurz angebunden.

      Diese nickt und verschwindet, nicht ohne einen neugierigen Blick auf Anitas verweintes Gesicht geworfen zu haben.

      »Sie werden an Doktor Freytags Bett wachen«, befiehlt er und betrachtet nicht ohne Erschütterung das wächserne Gesicht des jungen Arztes, in den er so unendlich viel Vertrauen gesetzt hat.

      Doktor Romberg hat ihn gerettet. Ausgerechnet der Mann, von dem Martin nie ohne Gehässigkeit sprach. Martin wird leben. Das sagt ihm sein geschultes Auge. Aber um seine Existenz sieht es schlecht aus. Um seine Zukunft noch hoffnungsloser.

      Unwillkürlich sieht er Martins Mutter vor sich, die kleine zierliche Frau, die alle Liebe in ihren Sohn gesät hat und die doch in ihrer Mutterliebe zu schwach war, ihn richtig zu lenken und zu führen.

      »Sprechen Sie zu keinem über das, was Sie wissen«, sagt er aus seinen bedrückenden Gedanken heraus, und Anita nickt eifrig.

      Sie hört den raschen Schritt des Professors, das Öffnen und Schließen der Tür und verharrt still am Bett Martin Freytags.

      Wie lange sie so, ganz in sich versunken, zum Fenster hinausgestarrt hat, weiß sie nicht.

      Ein Räuspern bringt sie in die Wirklichkeit zurück.

      Aus einem verfallenen Gesicht blikken sie glanzlose, fiebrige Augen an, groß und fragend.

      »Anita!« hört sie ihren Namen flüstern, ganz leise, aber sie hat ihn doch vernommen. Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt. »In meinem Zimmer, in meinem Schreibtisch…Das Röntgenbild… Anita… geh in die Villa… Bitte hole das Bild… Nimm es an dich oder vernichte es. Bitte!«

      Also hat er es damals doch vertauscht? Das letzte Rätsel ist da-

      mit gelöst. Und ausgerechnet sie hat

      er dazu ausersehen, den Beweis für Doktor Rombergs Unschuld zu vernichten?

      Nein! Niemals! Sie wird versuchen, sich für eine Stunde freizumachen. Sie wird das Bild holen und es in die richtigen Hände legen.

      Ihre schmale Gestalt sinkt beinahe in sich zusammen. So sehr drückt Martins Schuld, die er ihr auferlegt hat, sie zu Boden.

      Sie liebt ihn noch immer und ist doch dazu ausersehen, ihn zu vernichten. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und jammert zwischen den Fingern: »Oh, mein Gott!«

      *

      Durch den Lautsprecher hat der Professor Doktor Romberg und Doktor Müller zur Berichterstattung zu sich gerufen. Nun wartet er, nach außen beherrscht, innerlich aufgewühlt. Was wird er alles zu hören bekommen?

      Schritte nähern sich der Tür. Es klopft, und auf sein »Herein« steht Doktor Sybilla Sanders in der Tür.

      »Es tut mir leid, Doktor Sanders, ich habe im Augenblick keine Zeit für Sie«, spricht er gefaßt zu ihr. »Ich erwarte Doktor Romberg und Doktor Müller. Vielleicht später«, winkt er ab, doch Sybilla reagiert nicht darauf.

      Sie zieht die Tür hinter sich ins Schloß und kommt auf seinen Schreibtisch zu. Ihre klaren Augen heften sich an seine Züge. Eine Welle des Mißtrauens schlägt ihr entgegen. Tapfer weist sie alles von sich.

      »Ich komme anstelle der beiden Ärzte«, sagt sie, von ihrer Mission ganz und gar erfüllt. Sie sieht, wie ärgerliche Röte in des Professors Gesicht steigt, und fährt rasch fort: »Es geht nicht nur um Doktor Freytag, denn ich nehme an, daß Sie die beiden Arzte wegen dieser unangenehmen Sache zu sich gebeten haben. Es geht um einen wertvollen Menschen – um Oberschwester Magda.«

      Überrascht beugt der Professor sich vor. Jetzt ist seine Haltung mühsam beherrscht. »Um Oberschwester Magda?« wiederholt er verwundert. Dann macht er eine einladende Gest. »Nehmen Sie Platz, Doktor Sanders. Ich bin neugierig, alles zu wissen.«

      Gehorsam setzt sich Sybilla. Mit ihrer dunklen Stimme beginnt sie zu erzählen. Das ganze grausame Spiel Doktor Freytags deckt sie auf, auch von Magdas Selbstmordversuch spricht sie. Becker unterbricht sie mit keinem Wort, so erfährt er in Kürze alles, was sich hinter seinem Rücken abgespielt hat. Er ist erschüttert und neigt dazu, sich selbst anzuklagen.

      Starr sieht er vor sich hin, und als er die Augen zu Sybilla hebt, erschrickt sie über die Leere seines Blickes.

      »Ich danke Ihnen, Doktor Sanders«, erfaßt er endlich nach langer Pause den Gesprächsfaden. »Es wird nötig sein, daß ich aufräume. Soviel ich festgestellt habe, wird Freytag leben. Ich muß mich – muß mich wohl bei Doktor Romberg entschuldigen.«

      »Herr Professor.« Ganz fest nimmt Sybilla ihr Herz in beide Hände, »vielleicht wird doch noch alles gut? Doktor Freytag ist jung. Eine Entziehungskur – und viel Verständnis könnten aus ihm wieder einen brauchbaren Menschen machen.«

      Er blickt sie verständnislos an. »Wer sollte wohl jetzt noch zu ihm Vertrauen haben?« Das klingt erbittert.

      Ein kleines weiches Lächeln huscht über Sybillas Mund. »Die Liebe, Herr Professor!«

      Wieder starrt er sie ungläubig an. »Meinen Sie – meinen Sie die kleine schwarzhaarige Schwester Anita?«

      »Ja, Herr Professor.« Sybillas Stimme wird wärmer und eindringlicher. »Sind wir denn nur Chirurgen, die einen Körper bis in seine Einzelteile genau kennen? Sind wir nicht auch Seelenärzte? Zumindest – sollten wir es nicht sein? Doktor Freytag braucht meiner Ansicht nach viel Liebe, um alles schadlos zu überstehen. Geben Sie den beiden Menschen doch Gelegenheit dazu, Herr Professor.«

      Mit immer wachsendem Erstaunen betrachtet er die junge, tapfere Ärztin. Alles, was sie sagt, stimmt!

      »Und Oberschwester Magda? Wenn sie daran zerbricht?« wirft er, noch nicht ganz überwunden, ein.

      Oberschwester Magda hat einen Mann gefunden, der sie mit viel Zärtheit zurück in ein neues Leben führen wird. Doktor Müller bietet dafür alle Garantie.«

      Jetzt muß der Professor doch leise auflachen, obgleich ihm das Herz schwer in der Brust liegt. »Das Robert- Koch-Krankenhaus hat sich ja hinter meinem Rücken in das reinste Hei-

      ratsinstitut verwandelt.«

      Sybilla gibt noch nicht auf. »Jedenfalls haben sich einige Herzen gefunden, Herr Professor. Es bedarf nur einiger Geduld, bis jeder wieder an das Leben glauben lernt.«

      »Sie sind eine gute Ärztin«, sagt Becker, reicht Sybilla die Hand, drückt sie warm und haucht dann einen Kuß auf ihren Handrücken, wobei Sybilla das Blut in die Wangen schießt.

      »Aber Sie sind auch eine gute Diplomatin. Hoffentlich vergessen Sie Ihr eigenes Herz dabei nicht.« Und dann wird er sachlich: »Ich werde mir alles genau durch den Kopf gehen lassen. Danke!«

      Damit ist Sybilla entlassen. Ihr schwindelt vor dem, was sie erreicht hat. Sie weiß, Becker wird den jungen Menschen helfen. Alles, was sich hier abgespielt hat, wird innerhalb des kleinen Kreises bleiben.

      Die Herzen werden zueinander finden. Bei diesem Gedanken glaubt sie den Professor zu hören: »Hoffentlich vergessen Sie dabei ihr eigenes Herz nicht.«

      Sie bestimmt nicht, aber sie stößt auf keine Gegenliebe, und das ist wohl das Schmerzlichste, was einem liebenden Herzen zustoßen kann.

      Sie geht in den Waschraum, beruhigt, in Professor Beckers Händen alles in guter Hut zu wissen.

      Als sie den Waschraum verläßt und langsam über die Korridore geht, hört sie Professor Beckers Stimme aus dem Lautsprecher kommen: »Doktor Romberg und Doktor Müller zu Professor Becker!«

      Noch zweimal wird der Ruf wiederholt, dann verstummt der Lautsprecher.

      Sybilla lächelt vor sich hin und verläßt dann das Krankenhaus.

      Inzwischen stehen die beiden Ärzte vor ihrem Chef. Der Professor hat den ersten