bleichem Gesicht, starrte Petra auf ihren geliebten Mann. Sie konnte es einfach nicht fassen, daß sich sein Mund niemals mehr öffnen sollte, daß sein Arm sie nicht mehr umfangen – daß er niemals mehr sein Kind, seine Lore, auf den Knien schaukeln würde.
Eine Viertelstunde später verließ Petra Eckhardt am Arm Detlef Sprengers das Krankenhaus.
Unter dem Tor brach sie in Sprenger Arm zusammen. Mit beiden Armen umfing er die zarte Gestalt und schaute voll Angst in das bleiche, liebliche Gesicht.
Alles, was zwischen ihm und der heimlich geliebten Frau stand und sie trennte, war gefallen. Er war von diesem Gedanken so beherrscht, daß er jedes klare Denken verlor.
Er wußte nur, daß er die Frau niemals wieder von sich lassen würde, daß sie ihm gehören mußte, mit oder ohne ihren Willen. Ja, er vergaß in seiner wiedererwachten Leidenschaft, daß ein Kind sehnsüchtig auf seine Mutter wartete.
Mit einem unterdrückten Laut hob er die bewußtlose Frau auf seine Arme und trug sie hinüber zu seinem Wagen, bettete sie sorgsam auf die weiche Rückbank – und jagte davon, seiner Villa zu.
*
Leontine Eckhardt wurde an den Fernsprecher gerufen.
Sie erhob sich, legte aber erst die Handarbeit, mit der sie gerade beschäftigt war, mit peinlicher Sorgfalt zusammen – und folgte langsam der vorauseilenden Nichte zum Fernsprecher.
Leontine war ruhig wie immer, als sie sich meldete und die Nachricht entgegennahm.
Endlich legte sie den Hörer auf. Ihr Gesicht war um einen Schein blasser, aber ihre Stimme war tonlos wie immer.
»Jost ist tot… ist gestern an den Folgen eines Unfalls gestorben«, murmelte sie. »Dann tritt diese Frau oder seine Familie das Erbe an.«
Leontine begann erregt, hin und her zu wandern, mit kurzen, harten Schritten. Dabei überlegte sie fieberhaft.
Sollte sie Josts junge Frau einfach an die Wand drücken? Aber würde das gutgehen? Sie hatte scharfe Gegner, zum Beispiel Nikolaus! Niemals würde er sich daran beteiligen. Und – selber handeln?
Mit einem Ruck blieb sie stehen, sagte zu sich selbst: »Ich fahre in Josts Wohnung.«
*
Portier Lehmann riß das Fenster in die Höhe und blinzelte zu der eleganten Dame auf.
»Ich will zu Herrn Eckhardt – welches Stockwerk?«
»Erstes Stockwerk«, sagte Lehmann schnell und kam aus seiner Loge heraus.
»Sie finden aber niemanden in der Wohnung außer der kleinen Lore«, sagte er, von Herzen froh, seinen Redeschwall nun endlich loszuwerden. »Die junge Frau ist seit gestern verschwunden, und der Herr Eckhardt ist heute nacht im Krankenhaus gestorben –«
»Was heißt verschwunden?«
Von dem strengen Ton Leontine Eckhardts etwas eingeschüchtert, bemerkte er etwas kleinlauter:
»Sie ist gestern mit einem Mann auf und davon gegangen.«
Leontine Eckhardt schwieg und preßte die Lippen fest zusammen. Ihrem unbewegten Gesicht war nicht anzumerken, wie sie die Nachricht des Portiers aufgenommen hatte.
Die Tür zur Wohnung war offen. Klägliches Kinderweinen empfing sie. Es kam aus einem der hintersten Zimmer.
Eine ältere Frau stand vor einem weißen Kinderbett und sprach tröstlich auf das bitterlich weinende Mädchen ein.
»Sei brav, mein Lorchen! Ich ziehe dich jetzt an und nehme dich mit zu mir. Mutti kommt bald wieder.«
»Mami soll kommen – Mami soll kommen«, jammerte die Kleine. »Ich will zu meiner Mami!«
Das süße Kindergesicht war vom Weinen dick verquollen. Lorchen war keinem Trost zugänglich.
Als sie Leontine erblickte, verstummte sie vorübergehend, und ein Strahlen ergoß sich über das liebliche Gesicht.
»Kommt meine Mami jetzt? Hast du meine Mami mitgebracht?«
Es sah aus, als würde Leontine zusammenzucken, als sie das Kind in seinem Nachtkittelchen mit den wirren Locken vor sich sah. Doch nur Sekunden dauerte diese weiche Regung, dann lag wieder Härte und Kälte auf ihren Zügen.
»Ziehen Sie das Kind an!« gebot sie, ohne sich von der Stelle zu rühren, ohne sich dem Kind auch nur einen Schritt zu nähern. »Ich bin die Mutter von Herrn Eckhardt. Ich nehme das Kind mit mir.«
»Nein! Nein!« weinte Lorchen auf. »Ich gehe nicht mit dir… ich bleibe hier… ich warte auf meine Mami. Meine Mami kommt gleich wieder… sie vergißt doch ihr Lorchen nicht!«
Mit diesem Widerstand hatte Leontine nicht gerechnet.
»Machen Sie die Kleine fertig!« fuhr sie die Nachbarsfrau an. »Ich warte solange nebenan. Das Kind scheint sehr schlecht erzogen zu sein.«
Die Frau, die bei Petra stundenweise im Haushalt half und das innige Familienleben genau kannte, wollte heftig etwas erwidern, aber da ging Leontine schon aus dem Zimmer.
»Komm, Lorchen, sei schön artig! Die gute Frau bringt dich zu deiner Mami!« sagte die Frau gütig und griff nach den Kleidungsstücken, die sorglich zusammengelegt auf einem Hocker neben dem Bett lagen.
»Nein… das ist eine böse Frau!« jammerte das Kind herzbrechend auf.
»Ich bleibe bei dir… bitte, laß mich bei dir! Hier will ich warten, bis Mami kommt!«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Nein, Lorchen, das geht nicht.«
So redete sie immer wieder gütig auf das Kind ein, und da ließ es sich wenigstens anziehen; aber alles geschah unter wildem Schluchzen nach der geliebten Mami.
Als Leontine nach ihr griff, schlug sie wild um sich.
»Lorchen, Kind, das ist doch deine Großmutter!« mahnte die Frau.
»Mami – Mami!«
Da hob Leontine kurz entschlossen das Kind auf den Arm und preßte es fest an sich. Es war ein harter, zwingender Griff, unter dem die kleine Lore ängstlich aufschrie.
So trug Leontine das Kind davon, während die Wohnung förmlich widerhallte von dem Kinderjammern nach der Mami.
Als sie es zum Wagen trug, hing das braune Lockenköpfchen matt an ihrer Schulter. Lorchen hatte ihr kleines Herz verausgabt. Es konnte nicht mehr weinen. Der zarte Körper wurde nur dann und wann von einem wehen Aufschluchzen gestoßen.
So zog die kleine Lore in das Haus der Großmutter ein…
*
Die Sonne schien hell ins Zimmer, als Petra nach einem todähnlichen Erschöpfungsschlaf die Augen aufschlug und sich erstaunt umsah.
Sie richtete sich etwas in die Höhe und schaute sich in dem weiten, eleganten Raum um.
Wie kam sie in dieses Zimmer – und in diesem Aufzug? Sie sah an sich herunter.
Was war nur geschehen? Es war ihr so wirr und schwer im Kopf. Sie runzelte die Stirn und versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen.
Da drang aus einer Ecke des Zimmers ein Geräusch zu ihr. Sofort flog ihr Kopf herum. Langsam kam Detlef Sprenger auf sie zu.
Mit großen, schreckgeweiteten Augen sah sie ihm entgegen.
Was wollte dieser Mann von ihr? Sie stieß einen kleinen Schrei aus.
Aber Sprenger lächelte nur und blieb dicht vor ihr stehen.
»Nun – ausgeschlafen?«
In Petra war alles Verwirrung. Wenn sie nur wüßte, was mit ihr geschehen war.
»Gehen Sie… bitte, gehen Sie!« hauchte sie.
»Warum schicken Sie mich weg?« sagte Sprenger traurig und doch irgendwie vertraulich. »Sie haben gerade