Nikolai Gogol

Gesammelte Werke von Nikolai Gogol


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Spät erst legten sie sich zur Ruhe; am allerspätesten aber streckte der alte Taraß sich aus. Er saß und grübelte darüber nach, was es wohl zu bedeuten hätte, daß Andri nicht unter den feindlichen Kriegern gewesen war. Hatte dem Judas doch das Gewissen geschlagen, als er gegen die Seinen ausrücken wollte? Oder hatte Zankel gelogen, und war Andri einfach gefangen? Dann aber dachte Bulba daran, wie über die Maßen leicht Andris Herz durch süße Weiberrede zu kirren war; grimme Trauer schüttelte ihn, und harte Rache schwor er dem Polenmädchen, das seinen Sohn verzaubert hatte. Und er hätte den Schwur gehalten: er hätte ihre Schönheit nicht angesehen, sie an der üppigen Haarflechte aus dem Versteck gezerrt, sie über das weite Feld mitten in den Kreis der Kosaken geschleift. Am rauhen Erdreich wundgeschlagen, mit Blut und Staub bedeckt hätten sich ihre herrlichen Brüste und Schultern, die an Weiße dem ewigen Schnee glichen, der auf den Bergfirnen leuchtet. In die vier Winde hätte Bulba die Stücke ihres blühenden Leibes gestreut. Jedoch der Alte konnte nicht ahnen, was Gott ihm für morgen bereit hielt … Seine Gedanken verschwammen, und er schlief endlich ein.

      Die Kosaken plauderten immer noch fort; die ganze Nacht hindurch aber wachte bei jedem der Feuer ein Posten und spähte scharf und nüchtern, ohne Zwinkern, nach allen Seiten gegen den Feind.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Sonne stand noch nicht wieder im Mittag, da traten die Kosaken schon zur Beratung in den Ring. Aus dem Heimatlager war Botschaft gekommen, daß die Tataren die Abwesenheit der Kosaken benutzt hätten, das Lager zu überfallen und auszuplündern. Sie hatten sogar den an geheimem Ort vergrabnen Kriegsschatz aufgespürt und mitgenommen. Die wenigen Leute, die daheim geblieben waren, hatten sie erschlagen oder gefangen weggeführt. Jetzt zogen sie mit der gemachten Beute und den geraubten Roß- und Rinderherden geradeswegs auf Perekop zu. Ein einziger Kosak, Maxim Goloducha, war unterwegs aus der Gefangenschaft entronnen. Er hatte einen Mirza der Tataren erstochen und ihm den Sack mit Zechinen vom Gurt geschnitten, er war auf einem Tatarenpferd und in tatarischer Kleidung der Verfolgung entronnen und zwei Tage und zwei Nächte geritten, hatte den ersten Gaul zu Tode gehetzt, war auf einen andern gestiegen, hatte auch den zuschanden geritten und auf dem dritten endlich das Feldlager seiner Kameraden erreicht. Daß die vor Dubno standen, war ihm unterwegs berichtet worden. Er konnte nichts tun, als kurze Meldung von der bösen Schlappe erstatten. Wie es dazu gekommen wäre: ob etwa die Kosaken wieder einmal nach leichtsinnigem Lagerbrauch gebechert hätten und trunken in Feindeshand gefallen wären, war nicht von ihm zu erfragen. Im Dunkeln blieb es auch, auf welche Weise die Tataren das Versteck des Kriegsschatzes erkundet hätten. Der Bote war gänzlich erschöpft, geschwollen an allen Gliedern, rot im Gesicht von Sonnenbrand und Wind; er sank, wo er stand, in sich zusammen und fiel in tiefen Schlaf.

      In solchen Fällen war es Brauch bei den Kosaken, sich spornstreichs an die Verfolgung der Räuber zu machen und sie, wenn es irgend ging, noch auf dem Marsche zu fassen. Gelang das nicht, so dauerte es wohl nicht lange, bis die gefangnen Kosaken auf den Märkten Kleinasiens, in Smyrna, auf der Insel Kreta und wer weiß wo sonst überall in der Welt als Sklaven verkauft wurden. Deswegen strömte jetzt das ganze Heer zum Kriegsrat in den Ring. Heute behielt jeder die Mütze auf dem Kopf, denn sie kamen nicht, als Untergebne Befehle vom Hetman zu empfangen, sondern als Gleichberechtigte Rats miteinander zu pflegen.

      »Sollen zuerst die Ältesten ihre Meinung sagen!« rief es aus der Menge. »Soll als erster der Hetman seine Meinung sagen!« entgegneten andre Stimmen.

      Und der Hetman, der sich nicht mehr als Vorgesetzter, sondern nur noch als Kamerad zu fühlen hatte, zog die Mütze, dankte allen Kosaken für die erwiesene Ehre und fuhr dann fort:

      »Es sind unter uns viele, die älter und klüger sind als ich, aber wenn ihr mir schon die Ehre gebt, so ist mein Rat: nicht eine Stunde Zeit mehr verlieren, Kameraden, und hinter den Tataren her! Ihr wißt ja selber, was für ein Pack die Tataren sind: die warten mit dem geraubten Gut nicht, bis wir kommen, sondern bringen es schleunigst durch, daß auch kein Fetzen übrig bleibt. So lautet mein Rat: marschieren! Das hier in Polen war immerhin schon ein Krieg, den man sich wohl gefallen lassen konnte. Jetzt weiß der Polack wieder für eine Weile, wer die Kosaken sind. Wir haben nach Kräften Rache genommen für die Schändung des rechten Glaubens; viel Beute ist ja doch nicht zu holen in dieser hungrigen Stadt. Und darum ist mein Rat: marschieren!«

      »Marschieren!« klang es kräftig aus den Kosakenregimentern zurück.

      Doch Taraß Bulba gefielen diese Worte übel. Noch tiefer auf die Augen senkte er die struppigen schwarzen Brauen, aus denen schon viel gebleichte Haare starrten, dem Rauhfrost gleich, der hoch am Bergeshang die Latschenwipfel mit weißen Nadeln schmückt.

      »Nein, Hetman, das ist kein richtiger Rat, den du uns gibst!« begann er. »Du hast leicht reden. Hast du denn ganz vergessen, daß unsere Leute, die den Polacken in die Hände gefallen sind, dann einfach gefangen bleiben? Wir sollen wohl das oberste und heiligste Gesetz der Kameradschaft verachten und unsere Brüder schmählich verlassen, sollen dulden, daß man sie bei lebendigem Leib schindet, oder sie vierteilt und die Stücke in den polackischen Städten und Dörfern zur Schau stellt, wie die Kerle es schon mit dem Hetman und den besten Recken im Grenzland gemacht haben? Und wenn man daran nicht denken will – haben sie denn nicht auch ohne das genug Schindluder getrieben mit unsern Heiligtümern? Was sind wir denn für Leute? frag ich euch allesamt. Was ist das für ein Kosak, der seinem Kameraden im Elend die Treue nicht hält und ihn in der Fremde schmählich verrecken läßt wie einen Hund? Wenn es denn schon so weit gekommen ist, daß jeder die Kosakenehre für einen Dreck ansieht und sich in seinen grauen Schnauzbart spucken läßt und die gemeinsten Schimpfnamen ruhig einsteckt – von mir soll keiner so etwas sagen. Dann bleib ich allein!«

      Bulbas Worte brachten die Kosaken in starken innern Zwiespalt.

      »Ja, aber hast du vergessen, tapfrer Oberst«, begann von neuem der Hetman, »daß die Leute, die von den Tataren gefangen wurden, nicht minder unsere Kameraden sind? Wenn wir sie nicht gleich heraushaun, so werden sie doch für ewige Zeiten von den Heiden zu Sklaven gemacht; und das ist schlimmer als der schmachvollste Tod. Und hast du vergessen, daß die Tataren unsern ganzen Kriegsschatz geraubt haben, für den so viel ehrliches Christenblut geflossen ist!«

      Die Kosaken standen in zweifelnden Gedanken und wußten nicht, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen mochte sich einen schimpflichen Ruhm verdienen. Da trat Kassian Bowdjug in den Kreis, der älteste im ganzen Heer. Er stand bei allen Kosaken hoch in Ansehn; zweimal war er im Frieden erwählter Hetman gewesen, und auch im Krieg hatte er sich stets als wackrer Kosak bewährt. Jetzt aber war er ein alter Mann; er sprach auch niemals mehr im Rat, gern aber lag er abends im Kreis der Kosaken und hörte zu, wenn sie von Abenteuern und Schlachten vergangner Tage plauderten. Er mischte sich niemals ins Gespräch, sondern lauschte nur schweigend und drückte mit dem Daumen die Asche in der kurzen Pfeife fest, die in seinem Munde nie kalt wurde. Lange konnte er so mit halbgeschlossenen Augen liegen, und die Kosaken wußten oft nicht, ob er schon schlafe oder noch immer auf ihre Reden horche. Schon lange war er nicht mehr ins Feld gezogen, aber diesmal hatte es den Alten doch wieder gepackt. Er hatte mit der großartig wegwerfenden Handbewegung, die die Kosaken lieben, frisch gesagt: »Was kann da sein! Ich will doch mitgehn: zu irgend was mag ich den Unsern vielleicht immer noch nützen!«– Alle Kosaken verstummten, da er jetzt in den Ring trat, denn lange schon hatte keiner mehr ein Wort aus seinem Mund gehört. Und jeder wollte wissen, was Bowdjug nun wohl zu sagen wüßte.

      »Jetzt mag die Reihe an mir sein, ein Wörtlein zu sprechen, ihr Herren und Brüder!« begann er. »Hört zu, ihr Kinder, was euch der Alte sagt! Sehr weise hat der Hetman gesprochen; er ist ja auch das Haupt des ganzen Heeres, und es ist seines Amtes, für alle zu denken und sich um den Kriegsschatz zu kümmern: er konnte nicht weiser reden, als er getan hat! So ist es! Und dies soll meine erste Rede sein! Jetzt aber hört gut zu, was meine zweite Rede ist. Meine zweite Rede heißt aber so: die reine Wahrheit hat auch der Oberst Taraß gesagt – Gott schenk ihm lange Jahre und schenke dem Grenzland noch manchen Führer von solcher Art! Die erste Pflicht und die höchste Ehre des Kosaken ist treue Kameradschaft.