Nikolai Gogol

Gesammelte Werke von Nikolai Gogol


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Brüder, ein Wörtlein davon, was es mit unserer Kameradschaft für eine Bewandtnis hat. Ihr habt von unsern Vätern und Vorvätern vernommen, in welchen Ehren einstmals unsere Heimat bei allen Völkern stand; die Griechen haben gespürt, wer wir waren, Stambul hat uns in blanken Dukaten Tribut gezahlt, reiche, blühende Städte hatten wir mit prächtigen Domen; und Fürsten hatten wir, Fürsten aus unserm Blut und Stamm – keine katholischen Ketzer. Das alles haben uns die Moslim genommen, das alles ist fort; nur wir sind übriggeblieben, verwaist, verlassen, wie es die Witwe nach dem Tod ihres starken Mannes ist. Und wie wir verwaist sind, so ist auch unsere liebe Heimat verwaist. Die harte Zeit hat es gemacht, ihr Herren, daß wir uns die Hände reichten zu festem Verband. Auf diesem Grund ruht unsere Kameradschaft! Und Kameradschaft ist das heiligste Band im Leben! Ich weiß: der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr Kind, das Kind liebt Vater und Mutter; aber das kommt unserer Liebe nicht gleich, meine Brüder – seine Kinder liebt auch das Tier. Sich mit einem Blutsfremden zum Bruderbund zusammenfinden kann nur der Mensch. Wohl auch in andern Ländern gibts Kameradschaft; aber Kameraden, wie sie die russische Erde gebiert, gibt es sonst nirgends. So mancher von euch ist mehr als einmal in die Fremde verschlagen worden und hat wohl gesehen: auch dort wohnen Menschen, Kinder Gottes wie wir. Sie reden wie deinesgleichen; aber sollen sie dir einmal ein Wort so recht von Herzen sagen, dann siehst du gleich: ja, es sind kluge Leute, aber die Unsern sind es nicht – Menschen wie wir, und doch die Unsern nicht. Nein, Brüder: so lieben, wie es das russische Herz versteht – lieben nicht mit dem Hirn oder Gott weiß, womit sonst, lieben mit allem, was in uns ist, Kameraden …!« rief Taraß; er schlug mit der Faust durch die Luft und schüttelte seinen Graukopf, der Schnauzbart zuckte. Dann fuhr er fort: »Nein, so zu lieben versteht sonst niemand auf Erden! Ich weiß wohl: es sind bei uns jetzt vielfach üble Sitten im Schwang: viele fragen nur nach ihren Getreideschobern, ihren Heudiemen, ihren Roßherden und ihren Weinkellern; viele nehmen weiß der Kuckuck was für ketzerische Sitten an und schämen sich der Muttersprache; der Landsmann will nicht mit dem Landsmann reden; der Landsmann verkauft seinen Landsmann, wie einer ein seelenloses Tier auf dem Viehmarkt verkauft. Die Gnade eines fremden Königs – und war es bloß immer der König –, die Gnade jedes schäbigen polackischen Junkers, der ihnen seinen gelben Schuh in die Fresse haut, bedeutet solchen Kujonen mehr als die Bruderschaft. Aber auch in dem niedrigsten Lumpenkerl, mag er sein, wer er will, mag er sich mit Behagen in Dreck und sklavischer Erniedrigung wälzen – auch in dem, Brüder, lebt ein Funke des russischen Gefühls. Und einmal erwacht es, und dann schlägt sich der Ärmste reuig vor die Brust und greift sich an den Kopf und verflucht sein elendes Dasein und würde willig jede Marter auf sich nehmen, wenn er damit die Schande von sich waschen könnte. Mag unser Beispiel allen denen zeigen, was Kameradschaft heißt auf der russischen Erde! Und geht es denn zum Sterben – keiner von ihnen wird sterben wie wir! Keiner von ihnen allen …! Dazu fehlt ihnen viel, den Hasenherzen!«

      Der Hetman hatte gesprochen, und da er verstummt war, schüttelte er noch lange sein in der Arbeit um edeln Kosakenruhm licht silbergrau gewordnes Haupt. Und die Gemeinde der Kosaken wurde mächtig gepackt durch die Rede, von ihr getroffen bis auf den Grund des Herzens. Die Alten standen reglos wie aus Stein und ließen die greisen Köpfe hangen, das Wasser schoß ihnen heiß in die Augen; langsam wischten sie sich mit den Ärmeln die Tränen von den Lidern. Und dann schlugen sie, als hätte ihnen einer das Zeichen dazu gegeben, alle zugleich mit der Faust durch die Luft und schüttelten die Köpfe. Man sah wohl: Taraß Bulba hatte an das Beste in ihren Herzen gerührt, an den hohen Gedanken, der in den Alten als Frucht vieler Jahre voll Not und Plage, Kampf und Ungemach gereift war, den aber auch die unerfahrne Jugend zur Freude ihrer Väter ahnend in reiner Seele trug.

      Jedoch die Stunde war gekommen: schon rückte das Heer der Feinde aus der Stadt, die Pauken donnerten, es jauchzten die Trompeten. Die Faust in die Hüfte gestemmt, sprengten die Junker zum Tor heraus, gefolgt von unzählbarer Mannschaft. Der dicke Oberst führte das Kommando. So rückten sie in hellen Haufen gegen die Wagenburgen der Kosaken an. Bedrohlich zielten sie mit den Hakenbüchsen, Blitze schossen sie aus den Augen, hell funkelten ihre Panzer. Als sie in Schußweite gekommen waren, empfingen die Kosaken sie mit einer Salve aus ihren langen Büchsen und feuerten ohne die kleinste Pause fort. Weithin scholl das gewaltige Knattern über Feld und Flur und floß zu einem einzigen Donner zusammen: dichter Rauch deckte das Schlachtfeld; die Kosaken unterbrachen ihr Feuer nicht für eines Atemzuges Dauer. Die hintern Glieder luden und reichten die schußfertigen Büchsen vor. Starre Verwunderung packte den Feind: er begriff nicht, wie die Kosaken schießen könnten, ohne zu laden.

      Im Rauch, der Freund und Feind verhüllte, sah man nichts davon, wie bald hier, bald dort einer in den Reihen fiel; doch die Polacken spürten wohl, daß die Kugeln hageldicht geflogen kamen, und daß die Sache brenzlich wurde. Als sie dann ein Stück zurückwichen, aus dem Rauch zu kommen und Musterung zu halten, da fehlten in ihren Reihen viele tapfre Krieger, indessen auf Seiten der Kosaken höchstens zwei oder drei vom Hundert gefallen waren. Doch ruhig, ohne die kleinste Unterbrechung, feuerten die Kosaken weiter!

      Selbst der fremdländische Stückmeister der Polen konnte nicht genug staunen ob dieser niemals erhörten Kampfart und sagte frei heraus, vor allem Volk: »Wackre Burschen sind die Kosaken! Wie die zu fechten wissen – daran dürfte sich jedes Heer ein Beispiel nehmen!« Und er riet den Seinen, die Kanonen gegen die Wagenburgen zu richten.

      Dumpf brüllten die ehernen Stücke aus weiten Mäulern; die Erde dröhnte und bebte, noch dichter umwölkte der Rauch das Schlachtfeld. Nach Pulver roch es da auf den Märkten und Straßen der nahen und fernen Städte. Aber die Richtkanoniere zielten zu hoch: einen zu steilen Bogen beschrieben die glühenden Kugeln; mit höllischem Heulen flogen sie über die Wagenburgen weg, wühlten sich weit hinter ihnen in den Boden und schleuderten Wolken von schwarzer Erde gen Himmel. Der französische Stückmeister raufte sich die Haare ob solchen Ungeschicks. Er selbst begann die Geschütze zu richten und fragte dabei wenig nach dem heißen Hagel aus den Kosakenbüchsen.

      Taraß erkannte von weitem, welche Gefahr die Regimenter Nesamoiko und Stebliki bedrohte, und schrie, daß es schallte: »Schnell heraus aus der Wagenburg und auf die Pferde, ihr Brüder!«

      Doch den Kosaken hätte dafür die Zeit wohl nicht mehr gereicht, wäre nicht der Oberst Ostap ganz allein gegen die Mitte der feindlichen Front gesprengt: sechs Kanonieren schlug er die Luntenstöcke aus der Hand, bei den vier andern glückte ihm das nicht mehr, die Übermacht warf ihn zurück. Und nun griff der fremdländische Stückmeister selber zur Lunte, die größte der Kanonen abzufeuern, ein Ungeheuer, wie es noch keiner von den Kosaken gesehen hatte. Gräßlich dräute der weite Schlund; tausend Tode lauerten tückisch daraus hervor. Und als das gewaltige Stück nun Feuer spie und drei andre Geschütze krachend einstimmten, als unter vierfachem Donner die Erde wankte – oh, wieviel Jammer wurde da geboren!

      Manch eine Kosakenmutter wird sich mit knochigen Fäusten die welken Brüste schlagen, wird heulen um den gefallnen Sohn, manch eine Witwe wird trauern in Gluchow, Nemirow, Tschernigow und vielen andern Städten, manch junges Ding wird Tag für Tag auf den Marktplatz laufen, wird jeden Wandrer festhalten und ihm in die Augen sehen, ob sie unter ihnen allen den einen nicht findet, der ihr der liebste ist auf der Welt. Schwärme von Kriegsvolk werden durch die Stadt ziehen; aber so viele ihrer kommen – nie kommt der eine, der ihr der liebste ist auf der Welt.

      Die Hälfte des Regiments Nesamoiko deckte den Boden. So tost ein Hagelsturm vernichtend über die Flur, auf der vorher jede Ähre gleich einem vollwichtigen Dukaten prangte …

      Wie sie da aber vorbrachen, die grimmen Kosaken! Wie sie sich auf die Feinde stürzten! Wie Kukubenko, der Oberst, vor Wut schäumte, als er sah, daß die Hälfte seines Regiments tot war! Mit dem Rest der Leute sprengte er geradeaus gegen die Mitte der feindlichen Front. In seinem Zorn hieb er den ersten, der ihm entgegentrat, einfach in Stücke, viele Reisige warf er nieder und bohrte die Lanze durch Reiter und Roß. So drang er bis zu den Geschützen vor und hatte schon eine Kanone erobert; da sah er, daß hier Oberst Ostap mit den Umanern tüchtig am Werk war, und daß Stepan Gußka das größte der Stücke genommen hatte. Er ließ also diese Arbeit den Kameraden und stürzte sich mit seinen Leuten gegen einen andern feindlichen Haufen. Wo die Nesamoiker hinkamen, bahnten sie sich eine breite Straße; und machten sie eine Wendung, so klaffte dort eine Seitengasse. Die Reihen der Feinde lichteten sich, in