du willst uns heute Gesellschaft leisten?« empfing Eike sie lachend. »Ist nach dem gestern unterschlagenen Abendessen dein Hunger so groß, daß die Riesenportionen nicht nach oben geschafft werden können?«
»Du hast den Sinn erfaßt, mein Sohn«, entgegnete sie pomadig, nahm am Tisch Platz, trank zuerst mal eine Tasse Kaffee und fühlte sich nun gestärkt für das, was Sie dem Bruder zu eröffnen hatte.
»Alsdann, Bruderherz, so wollen wir mal patent miteinander reden«, meinte sie gemütlich. »Ich will dir nämlich kund und zu wissen tun, daß ich am Heiligabend früh mit Silje eine Gesellschaftsfahrt ins Blaue – oder winterlich ausgedrückt: ins Weiße – antreten werde. Sieh mich nicht so wild an, mein Lieber, mein Entschluß steht fest. Die Karten sind bereits gelöst, und die Fahrt soll eine Weihnachtsüberraschung für Silje werden.«
»So – und wenn ich damit nicht einverstanden bin, meine liebe Philine?«
»Dann bist du töricht, mein lieber Philipp.«
»Inwiefern?«
»Indem du dir selbst den Weihnachtsabend verderben würdest. Sei lieber froh, daß ich das Streitobjekt der lieben Familie gerade an so einem Abend fernhalte – dir selbst und auch mir zu Nutz und Frommen. Denn wir beide könnten ja doch nicht den Mund halten, wenn das Mädchen hämisch angegriffen würde – und der unheilige Streit am Heiligen Abend wäre da.«
»Leider hast du recht«, brummte der Bruder verdrossen. »Selbst meine gute Alte haben die mißgünstigen Weibsen schon aufgewiegelt. Hast du eine Ahnung, wie gern ich dem allen hier entfliehen und mit dir und Silje irgendwo Weihnacht feiern würde?«
Das klang allgemein bitter und erbarmte die Schwester, die sehr an ihrem Zwillingsbruder hing. Sie legte ihre Hand auf die seine und sagte tröstend: »Laß gut sein, Philipp. Du bist ja hier der Herr im Hause, dem sich alle fügen müssen.«
»Und das ist ein Glück, sonst würde man bald mit mir Schlitten fahren, wie man so sagt. Wohin soll denn die Weihnachtsreise gehen?«
»Das weiß ich nicht. Man will die Teilnehmer überraschen.«
»Wann kommt ihr wieder?«
»Am zweiten Feiertag in der Abendstunde.«
»Und wie steht es mit dem Weihnachtsgeschenk für Silje?«
»Gib ihr die Weihnachtsgratifikation, die du deinen anderen Angestellten zukommen läßt. Das wird Silje nicht bedrücken, sondern freuen. Für alles andere sorge ich. Wozu habe ich denn mein Geld, wenn ich es nicht diesem liebenswerten Menschenkind, an dem mein ganzes Herz hängt, zukommen lassen soll?«
»Hast recht, Schwesterherz. Ich bin froh, daß du die Kleine so spontan in dein Herz geschlossen hast, sonst wäre es schlecht um sie bestellt.
Übrigens macht sie sich im Betrieb tadellos. Luischen ist des Lobes voll – und das will nun wirklich was sagen.«
Weiter wurde über Silje nicht mehr gesprochen. Man beendete das Frühstück und ging dann seiner Wege. –
Doch bevor die Reise losging, hatte Philchen noch einen Kampf mit Silje zu bestehen. Diese wollte das großzügige Geschenk durchaus nicht annehmen, sträubte sich sozusagen mit Händen und Füßen dagegen. Bis Philchen ernstlich böse wurde; da gab sie kleinlaut nach. Schmeichelnd legte sie ihre Arme um den Hals des alten Fräuleins und bettelte: »Philelinchen, sei wieder gut, ja? Kränken will ich dich natürlich nicht.«
»Schaf …«, sagte Philchen, aber es klang sehr zärtlich. »Gewiß kränkst du mich, sehr sogar. Du behauptest doch immer, mich liebzuhaben …«
»Und wie!«
»Also. Dann rede nicht nur, sondern beweise es auch. Nimm alles unbekümmert hin, was ich dir biete, denn es kommt von ganzem Herzen. Und so etwas kann niemals bedrücken noch beschämen.«
»Wollen wir mal gleich versuchen«, blitzte in den Mädchenaugen der Schelm auf, und Philchen sah mißtrauisch in sie hinein.
»Na, was kommt nun?«
»Mit deinen eigenen Waffen werde ich dich schlagen, mein Philelinchen. Ich lade dich hiermit feierlichst zu der Weihnachtsfahrt ein, dann habe ich wenigstens ein Geschenk für dich. Denn dir mit anderen Dingen kommen, hieße ja Eulen nach Athen tragen, wie ein altes Sprichwort sagt.«
»Na, so ein kleiner Racker!« lachte Philchen herzlich. »Mädchen, vor dir muß man sich ja in acht nehmen. Doch willst du mir nicht sagen, wie du die Fahrt zu finanzieren gedenkst?«
»Freilich will ich das. Ich habe doch meine Gratifikation bekommen, und ganz leer war mein Portemonnaie sowieso noch nicht. Und ein Geschenk, das von ganzem Herzen kommt, darf man nicht zurückweisen.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Das wäre herrlich!«
»So laß es herrlich sein – ich bin dein Weihnachtsgast.«
Zuerst machte Silje einen Luftsprung, dann umhalste sie die Tante, bis diese um Gnade bat – und dann war die echte, rechte Weihnachtsfreude da.
Ein kleines, lustiges Intermezzo gab es noch, als das ungleiche Treugespann am Weihnachtsmorgen zur Fahrt aufbrechen wollte. Da hielt Philchen nämlich dem verdutzten Mädchen einen wundervollen Pelzmantel hin.
»Tante Philchen, ich bitte dich …«
»Ruhe! Wenn man dir gibt, nimm – wenn man dir nimmt, schrei.«
Und da schrie Silje, aber vor Freude. Schlüpfte in die mollige Pracht, trat an den Spiegel, versank vor ihm in einem tiefen Knicks und sagte feierlich: »Mein Kompliment, verehrte Dame. Sie tragen das schönste Fell, das …«
»… je ein Äffchen trug«, kam ein lachender Baß von der Tür her. Herumfahrend bemerkte Silje den Vormund, der zwischen Tür und Angel stand. Hinter ihm sein Sohn, der genauso amüsiert lachte wie sein Vater.
»Meine Herren, ist das nun hübsch von Ihnen?«
»Sehr hübsch«, schmunzelte Philipp. »Viel hübscher, als wir vermuteten. Denn als wir an dieser Tür vorübergingen, da hörten wir einen Schrei – na – und da drangen wir ein, um das entzückendste Bild zu schauen.«
»Nun mach mir das Kind nicht verlegen!« erbarmte sich jetzt Philchen des heißerröteten Mädchens.
»Was ist der Grund eures so frühen Erscheinens?«
»Wir konnten nicht umhin, euch Lebewohl zu sagen und glückliche Fahrt zu wünschen.«
»Das hört sich schon besser an. Habt schönen Dank und laßt uns nun gehen, damit wir nicht den Omnibus versäumen.«
Es folgte nun ein rascher Abschied. Und als Philchen sich noch einmal umwandte, bemerkte sie die sehnsüchtigen Blicke, die ihnen nachschauten.
»Ein Jammer!« seufzte das alte Fräulein. »Wenn ich nur so könnte, wie ich wollte, würde ich auch die beiden da noch mitnehmen. Aber leider – leider – leider …!«
*
»Ist es denn wirklich wahr, Papa, daß Tante Philchen mit dem fremden Mädchen eine Weihnachtsfahrt macht?« fragte Thea am Mittagstisch.
Er sah sie verwundert an. »Gewiß ist das wahr. Ich verstehe nur nicht, was dich dabei so aufregt.«
»Weil so eine Reise doch Geld kostet.«
»Beruhige dich, die Kosten trägt mein Mündel.«
»Ah so das ist allerdings etwas anderes. Ich dachte schon, daß Tante Philchen die kostspielige Angelegenheit bezahlt. Weißt du, Mama, wenn das Fräulein nicht hier ist, brauchen wir es ja nicht zu beschenken. Da kannst du mir den entzückenden Pullover geben, den du für es gekauft hast.«
»Aber Kind, der ist dir doch zu kurz und zu eng.«
»Ach, woher denn! Ich bin doch bestimmt nicht dicker als dieses Fräulein. Warum lachst du denn so, Ilona?«
»Weil du nicht weißt,