Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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der Gemeinde, wie es ihnen zukam, im Winkel begraben, und als nach Jahren ihre Söhne die Gräber suchten, wußte niemand mehr ihre Stelle anzugeben.

      Es fand auch eine letzte Zusammenkunft zwischen Juliane und Heinrich Ulex statt, und das Fräulein von Poppen gab dem Jugendgespielen zum Gedenkzeichen an die glücklichste Zeit ihres Lebens ein Medaillon, in welchem sich Haare ihrer seligen Mutter und eine kleine Locke von der eigenen Schläfe befanden. Als die drei wieder zusammentrafen, wie war da alles anders geworden in der Welt, wie war so manche Schwungfeder im Flügel der Seele geknickt; wie waren ihre Seelen matt vom Flug über die Welt, wie waren sie bedeckt mit dem Staub aus den Gassen und von den Märkten des Lebens!

      Der November des blutigen Jahres 1806 fand Heinrich Ulex und Fritz Fiebiger ohne Kenntnis der Welt, ohne Hilfsmittel, ohne Zweck, freundlos und verlassen auf der Heerstraße, welche von fremden Truppenzügen, Zügen von Gefangenen, Marodeurs und abenteuerndem Gesindel wimmelte. Die Fährlichkeiten waren groß; aber noch größer war doch das Glück der Jünglinge. Ein dunkler Trieb zog sie der Hauptstadt zu, und nach mancherlei Schicksalen langten sie vor den Toren an in einer Equipage des Kaisers Napoleon, nämlich auf einem Bagagewagen der großen Armee. Eine Zeitlang bettelten und arbeiteten sie nach Gelegenheit, grade so heimatlos wie das ganze deutsche Volk, in den Gassen; dann liefen sie einem Mann vor die Füße, welcher fast noch übler daran war als sie. Dieser Mann war ein untergeordneter Beamter der Polizei, namens Meiners, welchen der Sturm der Zeit von seinem ziemlich bequemen Sitz im Staatsorganismus Friedrichs des Großen heruntergehoben und unsanft auf den harten, nackten Erdboden niedergesetzt hatte. Der Sekretarius hatte mit weinenden Augen den roten Kragen von dem preußischen blauen Rock trennen müssen; erst hatte er die Berlocken von der Uhr verkauft und dann die Uhr selbst. Ein wohlbehäbiges Bäuchlein, welches er vor der Katastrophe von Jena besaß, schaffte er gleichfalls allmählich ab; seine Frau war kränklich, und sein einziger Sohn hatte vorläufig die gelehrten Bücher in den Winkel geworfen und die Philologie an den Nagel gehängt, um seine Eltern kräftiger unterstützen zu können. Meiners, der Exbeamte, arbeitete in dem Bureau eines Advokaten, und in demselben Bureau fand Fritz Fiebiger eine Stelle als Ausläufer. Rudolf Meiners hatte eine Stelle bei einem Buchhändler angenommen und ebendaselbst einen Platz für Heinrich Ulex ausgemacht. Nichts führt die Menschen mehr zusammen, als wenn sie in ihnen ungewohnte Zustände geworfen werden, nichts versteht ein Gleichmachen besser als dira necessitas, die harte Notwendigkeit. Um seinem Berufe nicht ganz untreu zu werden, unterrichtete der frühere Philologe Rudolf die beiden Jünglinge Fritz und Heinrich. Aber nicht bloß Latein trieben die jungen Männer miteinander. Während die französischen Trommeln durch die Straßen wirbelten, saßen sie und forschten, wie es gekommen sei, daß diese fremden Trommeln so laut werden durften im Vaterlande. Der bleiche, schwächliche Rudolf war ein begeisterter Lehrer, wenn er vom Auf-und Untergang der Völker, ihren großen Helden, Weisen, Dichtern und Verbrechern redete; er hatte aber auch begeisterte Zuhörer, und vorzüglich der stille Heinrich Ulex trat ihm immer näher. So gingen die schweren Jahre hin, immer stolzer, höhnischer wirbelten die fremden Trommeln; immer eifriger dachten die drei Jünglinge darüber nach, was zu tun sei, diese frechen, gehaßten Klänge zum Schweigen zu bringen. Sie waren viel früher darüber im klaren, als die Zeit, Gedachtes zu Taten zu machen, kommen wollte; aber während des Wartens erwarb Heinrich Ulex mit Hilfe Rudolfs eine tüchtige Bildung. Sein Beruf zum Gelehrten trat immer deutlicher hervor. Er vermochte es, mit Rudolf Meiners ruhig zu sitzen und zu studieren, während andere haßerfüllte junge Seelen den schleichenden Tagen voranstürmten in die Zukunft und sich in qualvoller Ungeduld fast verzehrten. Nicht weniger als die andern jedoch jauchzten Rudolf und Heinrich, als endlich die im verborgenen geschmiedeten und geschliffenen Klingen ins Sonnenlicht hinausfahren durften.

      Es war eine große Stille gewesen, und es ward ein großer Sturm.

      Auf einem der ersten Fuhrwerke in der langen, mit freiwilligen Kämpfern besetzten Wagenreihe, welche der nicht ohne einigen Grund bedenkliche König Friedrich Wilhelm der Dritte von den Fenstern des Schlosses zu Breslau aus ankommen sah, befanden sich Rudolf Meiners, Heinrich Ulex und Fritz Fiebiger.

      Im Tempo maestoso ging jetzt die Weltgeschichte ihren Gang, und die drei Freunde taten nach Kräften das Ihrige dazu, daß sie nicht wieder ins Stocken gerate. Bei Leipzig knieten die hohen Alliierten in ihren weißen Kaschmirbeinkleidern nieder und dankten Gott, daß das Geknalle, Hurrageschrei, Wut-und Wehegeheul nun endlich einmal ein Ende habe. Das erboste Schicksal legte den großen Kaiser Napoleon übers Knie und bearbeitete ihm nach Kräften einen unnennbaren Körperteil, während die Allerhöchsten Herrschaften der Heiligen Allianz samt ihren Diplomaten von ferne zusahen und der Lehre das entnahmen, was – sie gebrauchen konnten.

      Manch ein weites Feld durch ganz Europa hatte der Krieg viel besser gedüngt, als die rationellste Landwirtschaftslehre es vermocht hätte. Die Walküren machten sich mit dem Gedanken vertraut, sich pensionieren zu lassen; denn ihr Dienst, die Seelen der Gefallenen von den Walstätten abzuholen, war zu angreifend geworden.

      Rudolf, Heinrich und Fritz fochten bis zum Ende mit; aber zu Paris starb Rudolf Meiners in den Armen Heinrichs. Ein Blutsturz, die Folge der übermäßigen Anstrengungen des Feldzuges, endigte sein junges Leben; er starb mit leuchtenden Augen; denn die deutsche Trommel wirbelte jetzt durch die französische Hauptstadt: die Schmach des Vaterlandes war gesühnt. Er konnte ruhig gehen.

      Mit den überlebenden Siegern kehrten Heinrich und Fritz heim. Der erstere brachte den Eltern Rudolfs die letzten Grüße des Sohnes und eine Locke seines Haupthaares; es war ein traurig-stolzes Wiedersehen. Man hat nichts umsonst in der Welt.

      Unter den veränderten politischen Umständen hatte der alte Meiners natürlich seine Stelle wiedererhalten und trug wiederum den roten Kragen auf dem blauen Rock; aber er war ein gebrochener Mann, saß am liebsten mit seiner weinenden Alten im Winkel und ließ sich durch Heinrich Ulex immer von neuem von dem toten, tapfern, gelehrten Sohn erzählen. Zuletzt trat Heinrich in diesem trauernden Hause fast ganz in die Stelle, die Rudolf eingenommen hatte. Er wohnte in dessen Stube, er benutzte dessen Bücher – die Alten konnten seine Gegenwart zu ihrem Dasein nicht mehr entbehren.

      Dem Unteroffizier der Freiwilligen Fiebiger verschaffte der Kommissär Meiners dagegen eine Stelle bei seiner Behörde, und so wurden beide Kinder des Winzelwaldes in Stellungen hineingeführt, von welchen ihnen an ihren Wiegen nichts gesungen worden war.

      Der zweite Pariser Friede war geschlossen worden; man richtete sich aufs neue »auf alle Ewigkeit« in dem zertrampelten, blutbespritzten Europa ein. Über die Blutflecke fuhren die Kongreß-Herren mit ihren Pinseln voll blauer, grüner, gelber Farbe, zeichneten Grenzen und teilten Nationen im Namen der Einen und unteilbaren Dreieinigkeit und forderten die Völker auf, demütig Gott zu preisen und ihm Lob zu singen. Sie selbst freilich priesen nur ihre eigene Schlauheit und Gewandtheit; Gott aber sah, daß nicht alles gut war.

      Heinrich Ulex besuchte jetzt die Universität, welche in der Hauptstadt selbst gegründet worden war. Fritz Fiebiger erhielt bald die Stelle, in der wir ihn zu Anfang dieser Erzählung noch gefunden haben. Er ward darin nicht ein stiller, nach den Sternen sehender Weiser, wie Ulex, wohl aber der kaustische, humoristische Betrachter und Beobachter menschlicher Zustände, den wir bereits etwas kennen gelernt haben, Ein Bureaukrat,wie ihn die Welt haßt, verspottet und fürchtet, war er nicht. Keiner seiner Vorgesetzten, selbst Tröster, der Polizeirat, nicht, hielt ihn für das Ideal eines Beamten. Es verstanden ihn wenig Leute; aber noch weniger Leute verstanden Heinrich Ulex den Sternseher und – Juliane Freifräulein von Poppen.

      Das Fräulein war ihres eigenen Weges gegangen, bis sie mit den alten Jugendgenossen wieder in Verbindung trat. Mamsell Amalie Schnubbe hatte ihr Bestes getan, den frischen Geist auf das gewöhnliche Niveau gesellschaftlicher Liebenswürdigkeit herabzudrücken. Es war ihr nicht gelungen; und diese tyrannische Herrschaft hatte auch nur ihre Zeit und wurde von dem beherrschten Fräulein abgeworfen bei der ersten günstigen Gelegenheit. Über den Poppenhof kamen mit der Schlacht bei Jena schwere Tage. Der alte Dragonerrittmeister war wie vor den Kopf geschlagen über dies schmähliche Ende der preußischen Heeresglorie. Immer war er grobkörnigstolz auf den eigenen Zopf und den der Armee, welcher er angehört hatte, gewesen, und der Gedanke, daß ein schlauer Feind das »erste Kriegsheer der Welt« bei diesem selbigen Zopfe nehmen könne, war ihm nimmer gekommen. Ostwärts zu den Polacken und Russen