Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Bedenklich nahm er seinen Weg durch das Gemach wieder auf; die Geister seiner großen Register ließen ihn vollständig in Ruhe; sie wagten sich nicht hervor aus ihren Folianten, und somit hatte der Schreiber wenigstens etwas erreicht.

      Fünftes Kapitel

      Große Gesellschaft bei dem Bankier Wienand Mr. Warner aus New-Orleans wird dem Freifräulein Juliane von Poppen vorgestellt

       Inhaltsverzeichnis

      Der Wagen, welcher Fräulein Helene Wienand und den Doktor Pfingsten von dannen führte, hielt in einer ruhigen, breiten Straße vor einem großen, stattlichen, ganz modernen Hause, welches sich durch nichts von seinen Nachbarn, welche ebenfalls groß, stattlich und modern waren, auszeichnete. Je weniger charakteristisch ein Gegenstand ist, desto schwerer ist er zu beschreiben; wir beschreiben deshalb das Haus des Bankiers Wienand auch nicht. Hoffentlich wird ein großer Teil der Leser selbst in ähnlichem Backstein-Mauerwerk wohnen und deshalb eine eingehende Beschreibung gähnend überschlagen. Gott segne ihn für den guten Geschmack!

      Im untern Teil des Hauses befanden sich die Geschäftszimmer des Bankiers, die Räume der Dienerschaft und so weiter, im ersten Stock die Gesellschaftszimmer und das Reich Helenes. Wir haben es nur mit dem ersten Stock zu tun. Hinter dem Hause befand sich ein reinlich gepflasterter Hof mit dem Wagenschuppen, Pferdestall und so weiter. Ein zierliches eisernes Gitter trennte diesen Hof von einem kleinen Garten, mit welchem wir es im nächsten Frühling ebenfalls zu tun haben werden. Hohe Brandmauern umgaben diesen Hof und Garten von allen Seiten, so daß man glauben konnte, in letzterm vollkommen vor neugierigen Augen gesichert zu sein, was aber nicht der Fall war, wie wir ebenfalls im nächsten Frühling zu beweisen gedenken. Jetzt führen wir den Leser in den glänzend erleuchteten Salon durch ebenso glänzend erleuchtete und ausgestattete Nebenzimmer, in welchen Spieltische aufgestellt sind.

      Der Bankier gab eine große Soiree; – werfen wir einen Blick auf die Gesellschaft, aber einen vorsichtigen, daß wir uns nicht kompromittieren. Mehrere Stunden waren verflossen, seit Robert Wolf von dem berichteten Unfall betroffen worden war; die Gesellschaft, welche sich bei dem Bankier Wienand versammelte, war ziemlich vollständig gegenwärtig. Zwei Diener reichten Tee umher; an den Spieltischen hörte man die gewöhnlichen Redensarten; es war ein Überfluß von ältern und jüngern Damen, von weißen Westen, bunten Uniformen, schwarzen Fracks vorhanden.

      Ehe wir uns den Einzelheiten hingeben, können wir den Totaleindruck in der Sprache der Zeit, der Börsensprache, charakterisieren. Wir finden, daß die Stimmung der Gesellschaft im allgemeinen eine feste war und daß das Geschäft der Unterhaltung sich auf der soliden Bahn ruhigen Fortschritts bewegte. Komplimente und Schmeicheleien fanden mit den bestehenden Gegenkomplimenten Nehmer und Nehmerinnen. Nach Skandal vielseitige Nachfrage; Stadtklätschereien aber leider loco unverändert, fest – jedoch beliebt. Politik ziemlich schwankend, in Musik und Theater lebhaftes Geschäft, günstige Stimmung für den letzten Roman; wissenschaftliche Fragen und Wahrheit still und flau. Die ältern Damen befanden sich in sehr fester Haltung, die jüngern zur Notiz schwimmend und flott. Die ältern Herren unverändert – Konsumgeschäft. Die jüngern Herren in matter Haltung zur Notiz. Nach zwei Uhr sanken die Kurse der Unterhaltung; die Notierungen aus der letzten Stunde der Gesellschaft sind uns nicht zugegangen.

      Wir können uns zu den Einzelheiten wenden.

      Mit kindlichem Schauder haben wir in unserer Jugend in Raffs Naturgeschichte gelesen, wie in den Dschungeln, den Schilfwäldern Hinterindiens, der Elefant mit dem Rhinozeros in einen Kampf auf Leben und Tod gerät, wie das letztere Untier das erstere unterläuft, ihm mit seinem Hörn den Bauch aufschlitzt und zuletzt, seinen zappelnden Gegner auf der Nase tragend, mit Triumphgeheul davonrennt, zum Ergötzen der frommen geduldigen Hindus und zum Erstaunen der langen leberkranken Engländer und der semmelblonden, langgelockten Rulebritannierinnen. In dem Salon des Bankiers Wienand stand der Elefant neben dem Ofen, wärmte als ein tropisches Tier seine Posteriora und war ein wolleerzeugender Grundbesitzer vom Lande. Das Nashorn aber trug auf der Spitze seiner Nase eine grüne Brille, welche ihm ein höchst lächerliches Aussehen gab, und wurde es Herr Kommissionsrat tituliert. Sobald der Elefant das Nashorn erblickte, ließ er die Frackschöße vom linken Arm fallen, setzte die Teetasse in die Fensterbank, ließ ein dumpfes Schnauben hören und kam seinem Gegner aus dem Ofenwinkel halbwegs entgegen. Das Rhinozeros schnob gleichfalls, und es entstand ein merkwürdiger Kampf über die Preiswürdigkeit einer Wollieferung; aber das Resultat dieses Kampfes war ein ganz anderes, als die Naturgeschichte angibt. Der Elefant besiegte das Nashorn ganz und gar; er vernichtete es vollständig, er trampelte es moralisch zu Boden, und wäre dem armen Hornträger nicht sein Hausfreund, ein besonnener Mann und Freund seiner Gattin, zu Hilfe gekommen, wer weiß, was daraus entstanden wäre. Dieser Hausfreund trug die Uniform eines Husarenrittmeisters, er schien sich vorzüglich und mit Glück auf die Kultur eines ungeheuren Schnurrbarts gelegt zu haben und sprach mit Bewußtsein, über dies haarige Ungetüm hinweg, durch die Nase. Sein Vetter, im Ministerium des Kultus angestellt, befand sich ebenfalls in der Gesellschaft, kultivierte aber hinter seinem Klapphut nichts weiter als sich selber in einem ununterbrochenen Gegähne. Ein Wirklicher Geheimer Rat von wohltuender Fülle der Erscheinung unterhielt sich mit einem unwirklichen, welchen man recht gut als ein Lesezeichen hätte in ein Buch legen können. Es befanden sich überhaupt viele Juristen in dieser Gesellschaft; denn der Bankier hatte viel mit ihnen zu tun. Vollständig beherrschten sie jedoch das Gespräch nicht, obgleich sie es gern gemocht hätten.

      Auch ein sehr wohlgekleideter Dichter war zugegen, wurde aber, obgleich er sich durch nichts Außergewöhnliches auszeichnete, von dem anständigen und gottlob größern männlichen Teil der Gesellschaft mit mitleidiger Verachtung vermieden; – omnes hi metuunt versus, odere poetas. Dieser Dichter hatte ein anerkannt vortreffliches Trauerspiel verfaßt, aber einen von der Regierung zur Beförderung der dramatischen Kunst ausgesetzten Preis von tausend Talern deshalb nicht erhalten, weil Shakespeare, Goethe und Schiller Besseres ihrerzeit geleistet hatten. Der Mann hatte an diesem Abend das Vergnügen, über die Billigkeit des Verfahrens und die Versunkenheit der Literatur mancherlei zu hören von einem nichtssagenden Herrn, welcher gestern durch eine Spekulation in Guano das Zwanzigfache des für das Drama ausgesetzten Preises verdient hatte. Harmlos und gelassen lächelnd trug der Poet sein Mißgeschick und diese Unterhaltung; höflich war er bereit, die Verbreitung der künstlichen Dungmittel sowie des Vogelmistes als den schlagendsten Beweis der fortschreitenden menschlichen Intelligenz anzusehen.

      Christliches Bankiertum mit jüdischer Legierung und jüdisches Bankiertum mit feudaler Betitelung war in der Wienandschen Gesellschaft, wie sich das von selbst verstand, am stärksten vertreten. Drei bis vier Stockbureaukraten standen ebenso weitbeinig über ihrer engen Welt, wie Julius Cäsar in Shakespeares Trauerspiel über der seinigen. Sie folgten jedoch zugleich äußerst ehrfurchtsvoll den Spuren einer Exzellenz, die sich in der Soiree befand. Obgleich es nur eine außer Kurs gesetzte war, so umgab sie doch ein achtungsvoller Kreis deutscher Männer auf Schritt und Tritt und horchte den seltenen Worten, die ihr entfielen, mit dienstergebener Entzücktheit. Und doch gibt es vielleicht im Volksbewußtsein keinen Titel, der unangenehmer berührt als das abgeschmackte Wort »Exzellenz«! Es klebt ihm etwas Lächerliches und zugleich Unheimliches an. Ich weiß nicht, ist das Theater oder etwas anderes, Kabale und Liebe oder unsere vortreffliche Diplomatie schuld daran? Selbst Wolfgang Goethes hohe Göttergestalt läuft komisch schillernd an, wenn man auf das Piedestal: Exzellenz! schreibt.

      Die Jünglinge, welche in den Urwäldern Germaniens den Ur, das Elen und den Römer jagten, trugen nicht einen Frack und nicht dent Hut in der Hand; – auch meldet Tacitus nicht, daß sie ein Stück Glas in die Augen kniffen und sich so unbeschreiblich allein mit sich selber eins fühlten wie die Jünglinge im Salon des Bankier Wienand.

      Wir wollen uns zu den Damen wenden, und die heilige Zahl der Charitinnen möge uns dabei zur Seite stehen.

      Ein hellglänzender Schein geht über das graue Konzeptpapier; mit Naivität gepaarte holde Anmut erscheint neben matronenhafter Würde, Vorblüte und Nachblüte schmiegen sich aneinander; Flittergold sucht echtes, treues, wahres Gold zu überfunkeln, und gelingt ihm das öfter, als man für