wie der Antiquitätenliebhaber finden gleichmäßig nach Neigung und Geschmack den Stoff zur Begeisterung. Die ewige Sehnsucht des Menschen nach dem Schönen, wie die ironische Lust am Häßlichen können auf gleiche Weise befriedigt werden.
Aber sollen wir uns hier auch auf Einzelheiten einlassen?
Stille, stille! Das Auge, die Religion und die Frauen lassen nicht mit sich spaßen; das interessanteste Studium ist zugleich das mühsamste und gefährlichste; und weder leidenschaftliche Entzückung und raffaeleske Begeisterung, noch zynisches Grinsen stehen uns dazu genügend zu Gebote. Hüten werden wir uns; was wir sagen, bedecken wir mit Rosen und besprengen es mit Kölnischem Wasser; für die Bemerkungen, welche späterhin andere Herren in diesem Kapitel machen, nehmen wir die Verantwortung nicht auf uns. Laß die Leute selbst sehen, wie sie mit den Damen zurechtkommen! Nach dem Tee und Spiel wurde bei dem Bankier Wienand gegessen, worauf das junge Volk mit den alten Empfindungen nach hergebrachter Weise tanzte. Wir aber lassen die große Welt brausen und gleiten verstohlen in das Gemach Helenes, wo es am stillsten und wo die Beleuchtung gedämpfter ist; denn die junge Bewohnerin dieses Raumes hatte sich noch immer nicht von ihrem Schrecken erholt, und nur die Kürze der Zeit hatte überhaupt ein Absagen der Gesellschaft verhindert. Der Bankier Wienand war ein sehr reicher Mann, welcher sein einziges Kind fast abgöttisch liebte. Keinen Wunsch konnte Helene fassen, welchem er nicht auf halbem Wege entgegenkam; mit allem, was ihr Herz verlangte, umgab er sie, und so war auch ihr Zimmer der Gegenstand des gerechten Neides mancher andern jungen Dame in der Stadt. Auf die beliebte Dekorationsmalerei wollen wir uns jedoch auch an dieser günstigen Stelle nicht einlassen; wir beschränken uns darauf, mitzuteilen, daß Teppiche, Bilder, Gerätschaften, Vorhänge usw. in vollster Harmonie miteinander waren, und daß alles wiederum in Harmonie mit dem lieblichen, nur ganz wenig verzogenen Wesen war, welches in diesem duftenden Raume atmete. Die erste Regel des guten Geschmacks: nirgends zu viel, nirgends zu wenig! kam zur vollsten Geltung, in der Zimmerausstattung wie in der jungfräulichen Gestalt Helenes selbst. Zurückgelehnt in die Kissen eines Diwans in der Nähe der Tür, welche in den Salon führte, saß Fräulein Wienand, noch recht bleich und angegriffen aussehend, umgeben von einigen nähern Freunden. Die Gesellschaft hatte den Unfall vernommen und besprochen; das junge Mädchen hatte dieselben Bedauerungsformeln, Glückwünsche mit den selbstverständlichen Variationen hundertfältig anhören und beantworten müssen; jetzt waren die Kräfte des armen Kindes vollständig zu Ende; es stützte das schmerzende Köpfchen mit der weißen Hand, und der Sanitätsrat Pfingsten hatte auf Bitten des Bankiers mit ärgerlichem Gebrumm seine Karten – es waren sehr gute! – einem ändern Herrn gegeben und saß jetzt wieder in einem Lehnstuhl neben der Tochter des Hausherrn. Auf der andern Seite derselben saß im Diwan eine kleine magere Dame, welche einmal den Fuß gebrochen und deshalb einen Krückstock neben sich hatte, in schwarze Seide gekleidet war und auf dem grauen Haar ein winzig kleines Mützchen trug. Sie hatte trotz ihres Alters ein sehr weißes Gesicht, merkwürdig beweglich und ausdrucksvoll; ihre Augen waren schwarz und voll Leben und ausdrucksvoll wie ihre Züge. Diese kleine Dame war das Freifräulein Juliane von Poppen, eine Hausfreundin des Bankiers Wienand und eine Person, welche eine wichtige Rolle in dieser unwichtigen Geschichte spielt. Im folgenden Kapitel werden wir mehr über sie sagen, in dem vorliegenden lauscht sie, höchlichst interessiert, dem Bericht, welchen der Polizeirat Tröster, der jetzt in Frack und weißer Weste sehr nobel aussieht, über Robert Wolf und den Polizeischreiber Fiebiger gibt. Das Freifräulein kannte den Schreiber sehr genau, – kannte mehr Menschen, als sonst die Leute ihres Standes kennen.
Der Polizeirat, welcher ebenfalls vom Spieltisch abgerufen war, erzählte, was die hohe Polizei wußte, so kurz als möglich und mit manchem sehnsuchtsvollen Blick nach der Tür. Mit einem Seufzer der Befriedigung ließ er sich von dem Freifräulein zum Whist zurückschicken.
Juliane von Poppen schüttelte den Kopf gleich allen andern Leuten über die Idee des Schreibers; aber sie schien dabei zugleich innerlich recht zu lachen.
»Bitte, lieber Herr Doktor, erzählen Sie uns noch ein wenig von diesem wunderlichen Schreiber!« bat Helene Wienand, und wenngleich das Freifräulein die Achseln zuckte, so tat sie doch mündlich keinen Einspruch, sondern setzte sich nur bequemer zurecht in den Kissen des Diwans mit einer Miene, welche deutlich sagte:
»Was kann der davon wissen? Nun gut, ich will alles über mich ergehen lassen. Schwatzt zu.«
Der Sanitätsrat rieb in der Ermangelung eines Stockknopfes die Nase mit dem Knöchel des Zeigefingers und sagte:
»Meine Damen, von allen Menschen, die mir auf meinem Lebenswege entgegengetreten sind, beneide ich diesen am meisten!«
»Weshalb?« fragte das Freifräulein.
»Er kennt die Menschen so gut wie ich; aber – er ärgert sich nicht darüber wie ich«, knurrte Pfingsten. Er horchte nach dem Salon und schüttelte die Faust nach derselben Richtung:
»Hören Sie, das war die Stimme des großen Kirchennachtlichts, des Konsistorialrats Krokisius. Sollten sie es für möglich halten, daß dieser treffliche Herr vorhin gegen die Baronin Silberstein behauptete: Goethe habe durch die Weinszene in Auerbachs Keller jedenfalls, unbedingt und unter allen Umständen das Wunder der Hochzeit zu Kana verspotten wollen?!«
»Sie wollten uns von dem alten Fiebiger erzählen, Doktor«, sagte das Freifräulein; aber Pfingsten hielt horchend die Hand an das Ohr:
»Das war das silberne Gelächter – mehr doch Britannia-oder Christoffelgelächter – unserer reizenden Witwe Everilde von Strippelmann. Die Dame ist doch der wahre Pirat und Flibustier des Ballsaals! Wie sie mit aufgespannten Segeln einherstreicht! Wie sie Breitseiten gibt! Fräulein Helene, wenn Sie etwas lernen wollen, so studieren Sie die kecken Handstreiche weiblicher Koketterie an dieser – diesem reizenden Motiv.«
»Kommen Sie auf den alten Fiebiger, Doktor!« rief das Freifräulein, merklich bedeutungsvoll nach ihrem Handstock greifend.
»Ich bitte Sie, Gnädigste, bin ich nicht dabei? Die Gelegenheit ist günstig. Hier sitze ich im Winkel und horche auf das Wortgeplätscher dort hinter der Tür, kann auch, wenn es mir beliebt, einen Blick durch die Ritze in das Gewühl der weitärmeligen Pierrots und Harlekins, der schwarzbemäntelten Pantalons, der grämlichen Anstandsdamen, der allerliebsten flitterhaften Kolumbinen werfen. Ich ärgere mich darüber; Fritze Fiebiger würde sich nicht darüber ärgern. Ich glaube, der Mann kann zu seinem Privatvergnügen den Staub im Sonnenstrahl in ein Universum der Narrheit verwandeln, weil ihm dieser Erdball mit allem, was daran hängt, noch nicht ausgiebig genug ist.«
Das Freifräulein lächelte jetzt und nickte; der Arzt sprach weiter:
»Mir spiegelt sich die Welt am besten in einem Glase Rheinwein, dem andern strahlt sie am vorteilhaftesten aus einem schönen Auge, einem Dritten aus einem klaren Waldquell; Ihr Herr Neffe, Fräulein von Poppen, sieht sie im besten Licht in dem Spiegel, welcher seine liebenswürdige Person in Lebensgröße zurückwirft, weil er nichts damit zu tun haben mag: dieser Schreiber aber legt sich so weit als möglich aus dem Fenster einer Wohnung, in der kein Student hausen möchte, raucht einen Knaster, den kein Schäfer vertragen kann, und lacht – lacht. Ich lache nicht, wenn ich mich aus dem Fenster lege! Wodurch hat sich dieser unverschämte alte Knabe in aller Welt den Göttern so beliebt gemacht? Unsereiner hat doch auch seine Verdienste, muß sich aber allstündlich halb zu Tode ärgern und kriegt höchstens ein Ordenszeichen vierter Klasse zum fünfzigjährigen Jubiläum.«
»Woher kennen Sie diesen Herrn Fiebiger so genau?« fragte das Freifräulein.
»Die Polizei und die Medizin treffen wohl einander«, brummte der Sanitätsrat. «Übrigens haben wir auch die Jahre dreizehn und vierzehn zusammen durchgemacht.«
Juliane von Poppen sagte: »Sie stammen doch wohl aus ganz verschiedenen Lebenssphären?«
»Jene Zeit leimte die Menschen schon zusammen, heute freilich ist der Leim längst wieder aufgeweicht. Ja, wir bewegen uns in unsern verschiedenen Sphären, der Rat im Medizinalkollegium und der Schreiber in der Polizeistube.«
In immer tieferes Nachdenken versank Juliane von Poppen, während Pfingsten der andächtig lauschenden Helene noch allerlei Einzelheiten über den alten Humoristen