Knöchel. »Und mit denen soll ich morgen fahren«, meinte er. »Das ist kein Vergnügen, sage ich Ihnen, wenn die anschwellen.«
*
Um acht Uhr spielte die Al-Vista-Musik »Heimat, süße Heimat«, und durch den dämmernden Abend gingen die vier mit dem Strom nach dem Bahnhof und hatten das Glück, gegenüberliegende Doppelbänke zu erwischen. Als Gänge und Plattformen brechend voll von lustigen Ballgästen waren, setzte sich der Zug in Bewegung, um die kurze Strecke von der Vorstadt nach Oakland zu fahren. Der ganze Wagen sang ein Dutzend verschiedener Lieder auf einmal, und Bert stimmte, den Kopf an Marys Brust gelehnt, »An den Ufern des Wabash« an. Er sang das Lied von Anfang bis zu Ende, ohne sich von dem wilden Lärm zwei verschiedener Prügeleien stören zu lassen, die eine auf der Plattform dicht neben ihnen, die andere am entgegengesetzten Ende des Wagens, bis es den beiden dazu gemieteten Schutzleuten unter Begleitung von Weibergeheul und zerbrochenen Scheiben, endlich gelang, Ruhe zu schaffen. Billy sang ein trauriges Lied von einem Cowboy; es hatte viele Strophen und einen Refrain, der lautete:
»Begrabt mich auf der wilden Prä-rärie.«
»Das haben Sie noch nie gehört; es ist eines von den Liedern meines Vaters«, vertraute er Saxon an, die sich freute, als es fertig war.
Sie hatte den ersten Fehler an ihm entdeckt. Er hatte kein Gehör. Er hatte von Anfang bis zu Ende entsetzlich falsch gesungen.
»Ich singe nicht oft«, fügte er hinzu.
»Nein, das soll er auch schön bleiben lassen«, erklärte Bert. »Seine Kameraden würden ihn einfach totschlagen, wenn er es täte.«
»Sie machen sich alle über mich lustig, wenn ich singe«, sagte Billy klagend zu Saxon. »Offen gestanden, finden Sie es auch so schrecklich?«
»Sie singen vielleicht ein bisschen falsch«, wich Saxon aus.
»Ich kann nicht hören, dass es falsch ist«, protestierte er. »Es ist eine förmliche Verschwörung gegen mich. Ich möchte wetten, dass Bert Ihnen das eingeredet hat. Aber singen Sie mal was, Saxon. Ich wette, dass Sie gut singen. Ich kann es Ihnen direkt ansehen.«
Sie begann »Wenn die Tage des Herbstes vorbei«. Bert und Mary fielen ein; als aber Billy auch mitsingen wollte, versetzte Bert ihm einen warnenden Tritt gegen das Schienbein. Saxons Stimme war ein reiner, klarer Sopran, etwas zart, aber süß, und sie war sich bewusst, dass sie für Billy sang.
»Das muss ich sagen, das nenne ich singen!« sagte er, als sie fertig war. »Singen Sie das noch einmal. Nun, los! Sie machen es wirklich gut. Es ist großartig.«
Seine Hand näherte sich der ihren und bemächtigte sich ihrer, und während sie wieder zu singen begann, fühlte sie sich von dem starken Strom seines Pulsschlages durchwärmt.
»Wie sie Hand in Hand dasitzen«, neckte Bert. »Man sollte glauben, dass sie Angst voreinander hätten. Seht Mary und mich. Feste, ihr Feiglinge. Näher zusammen. Sonst sieht es verdächtig aus. Ich habe schon meinen Verdacht.«
Seine Andeutungen waren nicht misszuverstehen. Saxon merkte, dass ihre Wangen glühend heiß wurden.
»Benimm dich, Bert«, sagte Bill zurechtweisend.
»Halt den Mund«, sagte Mary, die auch empört war. »Du bist ekelhaft roh, Bert Wanhope, und ich will nichts mehr mit dir zu tun haben – bitte!«
Sie zog ihren Arm an sich und schob ihn weg, aber nur, um ihn nach zehn Sekunden verzeihend wieder in Gnaden aufzunehmen.
»Hört mal zu, alle drei«, fuhr der unverbesserliche Bert fort. »Die Nacht ist lang. Lasst uns die Zeit benutzen. Zuerst Pabsts Café – nachher etwas anderes. Was meinst du, Billy? Was meinen Sie, Saxon? Mary macht mit.«
Saxon schwieg, wartete aber, halb krank vor Furcht, was der Mann, den sie erst so kurze Zeit kannte, antworten würde.
»Nein«, sagte er besonnen. »Ich muss morgen früh aufstehen und den ganzen Tag arbeiten, und ich denke, dass es den Mädels ebenso geht.«
Saxon verzieh ihm, dass er unmusikalisch war. Sie hatte stets gewusst, dass es solche Männer gab. Auf einen solchen Mann hatte sie gewartet. Sie war jetzt vierundzwanzig, und ihren ersten Heiratsantrag hatte sie mit sechzehn bekommen. Den letzten vor nicht mehr als einem Monat – von dem Inspektor der Wäscherei, einem guten, netten Mann, aber nicht mehr jung. Aber der hier neben ihr war stark und gut und jung. Sie selbst war zu jung, um sich nicht Jugend zu wünschen. Der Inspektor – das hätte bedeutet, dass sie nicht mehr zu plätten brauchte, aber er hätte keine Wärme geschenkt. Aber dieser Mann hier neben ihr – sie ertappte sich dabei, wie sie ihm die Hand drücken wollte.
»Nein, Bert, quäl uns nicht«, sagte Mary. »Wir müssen etwas schlafen. Morgen müssen wir den ganzen Tag am Plättbrett stehen.«
Saxon wurde plötzlich kalt vor Angst bei dem Gedanken, dass sie sicher älter als Billy sei. Verstohlen blickte sie ihn und die weichen runden Linien seines Gesichts an, und das Jungenhafte an ihm ließ sie erschrecken. Natürlich würde er ein Mädchen heiraten, das jünger war als er selber, jünger als sie. Wie alt war er? War es denkbar, dass er zu jung für sie war? Aber je unerreichbarer er wurde, desto heftiger fühlte sie sich von ihm angezogen. Er war so stark und gut. Sie rief sich alle Ereignisse des Tages wieder ins Gedächtnis zurück. Sie fand keinen Fehl, keinen Tadel. Die ganze Zeit war er rücksichtsvoll gegen sie und Mary gewesen. Und er hatte ihre Ballkarte zerrissen und mit keiner anderen getanzt. Es war klar, dass sie ihm gefiel, sonst hätte er das nicht getan.
Sie machte eine kleine Bewegung mit der Hand, die er in der seinen hielt, und fühlte die raue Berührung mit seiner harten Kutscherfaust. Das war ein wundervolles Gefühl. Jetzt bewegte seine Hand sich auch etwas, um sich nach der ihren zu richten, und sie wartete ängstlich. Sie wollte nicht, dass er es wie andere Männer machte, und sie wäre zornig auf ihn geworden, wenn er es gewagt hätte, ihre schwache Bewegung mit den Fingern zu benutzen, um den Arm um sie zu legen. Aber er tat es nicht, und eine Woge von Wärme drang ihr ins Gemüt. Er besaß Feingefühl. Er war weder ein Schwätzer wie Bert noch plump wie andere Männer, denen sie begegnet war. Denn sie hatte Erfahrungen gemacht, die nicht angenehm waren, und sie hatte das entbehrt, was man Ritterlichkeit nannte, wenn sie auch dies Wort nicht benutzt hätte, um auszudrücken, was sie entbehrte, und wonach sie sich sehnte.
Und er war Berufsboxer. Der Gedanke benahm ihr fast den Atem. Er entsprach gar nicht ihren Begriffen von einem Berufsboxer. Im übrigen war er gar kein Professional. Er hatte selbst gesagt, dass er es nicht war. Sie beschloss, ihn einmal danach zu fragen, falls – falls er sie zum Ausgehen einlud. Aber daran zweifelte sie eigentlich nicht, denn wenn ein Mann einen ganzen Tag lang mit einem jungen