Der hatte sie von ihm befreit – hatte getan, was kein anderer Mann für sie versucht hatte. Und sie gefiel Billy besser als Lily Sanderson.
Zweimal machte Saxon einen Versuch, Billy die Einzelheiten ihrer Bekanntschaft mit Long zu erzählen, aber beide Male unterbrach er sie.
»Ich pfeife darauf«, sagte Billy das zweitemal. »Du bist ja hier, nicht wahr?« Aber sie beharrte bei ihrer Absicht, und als sie endlich erregt und erbittert über ihre eigene Geschichte schloss, streichelte er ihr tröstend die Hand.
»Lass es gut sein, Saxon«, sagte er. »Er ist ein richtiger Strolch. Ich habe ihn gleich, als ich ihn sah, richtig eingeschätzt. Aber er wird dich nicht mehr belästigen. Ich kenne die Sorte. Die bellt nur. Aber sich schlagen! Er könnte sich nicht einmal mit einem Milchwagen schlagen.«
»Aber wie machst du es nur?« fragte sie, und ihr Atem ging schneller. »Warum fürchten dich alle Männer? Das ist direkt wunderbar.«
Er lächelte mit leichter Verlegenheit und kam auf etwas anderes zu sprechen.
»Weißt du«, sagte er, »deine Zähne gefallen mir so gut. Sie sind so weiß und gleichmäßig und nicht groß. Aber du hast auch nicht solche winzigen Kinderzähne. Sie sind – sie sind ganz wie sie sein sollen, und sie passen großartig zu dir. Sie sind zum Fressen.«
Gegen Mitternacht brachen Billy und Saxon auf und verabschiedeten sich von Bert und Mary, den beiden Unermüdlichen, die nie genug tanzen konnten. Billy hatte vorgeschlagen, so früh zu gehen, und es drängte ihn, ihr den Grund zu erklären.
»Das habe ich von den Boxern gelernt«, sagte er. »Auf mich zu achten. Man kann nicht den ganzen Tag arbeiten und die ganze Nacht arbeiten und dabei in Form bleiben. Das ist dasselbe, wie wenn man trinkt. Nicht, dass ich ein Engel bin. Ich bin so betrunken gewesen wie nur einer, und ich liebe Bier – massenhaft. Aber ich trinke nicht so viel, wie ich gern möchte. Ich habe es versucht, aber es lohnt sich nicht. Nimm zum Beispiel den großen Strolch, der heute mit uns anbändelte. Er ist ein Hund durch und durch, aber er hat Bierblut. Darüber war ich mir klar, sobald er uns anrempelte.«
»Aber er ist so groß«, protestierte Saxon. »Ach, seine Hände sind sicher doppelt so groß wie deine.«
»Das hat nichts zu sagen. Es kommt lediglich darauf an, was hinter den Fäusten steckt. Er würde wie ein wütender Stier drauflosgehen. Vielleicht könnte ich ihn nicht gleich zu Boden schlagen. Aber ich brauchte ihn mir nur vom Leibe zu halten, ihn zu ermüden und abzuwarten. Auf einmal würde er explodieren – in Stücke gehen, verstehst du. Und dann hätte ich ihn, wo ich wollte, und das weiß er selber gut. Das ist das Geheimnis.«
»Du bist der einzige Boxer, den ich je gekannt habe«, sagte Saxon nach einer Pause.
»Ich bin es nicht mehr«, wandte er schnell ein. »Es lohnt sich nicht. Man trainiert, bis man so fein wie Seide ist – bis man die reine Seide ist, in Haut und allem, und man glaubt, hundert Jahre leben zu können. Und dann geht man eines schönen Tages mit irgendeinem zähen Kerl in den Ring, der ebenso gut ist wie man selber – zwanzig Runden – und in diesen zwanzig Runden setzt man all seine Seide zu und wirft ein Jahr seines Lebens weg. Ja, manchmal setzt man fünf Jahre seines Lebens oder die Hälfte zu, oder verbraucht alles auf einmal. Ich habe meine Augen gebraucht, ich habe Burschen, so stark wie Stiere, sterben sehen, ehe ein Jahr um war, an Schwindsucht oder Nierenkrankheit oder dergleichen. Welche Freude hat man davon? Geld kann nicht ersetzen, was man verliert. Sieh, das ist der Grund, dass ich das Boxen aufgab und mich entschloss, Kutscher zu bleiben. Ich habe meine Seide und gedenke, sie zu behalten, das ist alles.«
»Es muss ein stolzes Gefühl sein, zu wissen, dass man den anderen Männern überlegen ist«, sagte sie sanft und war selbst stolz auf seine Kraft und Tüchtigkeit.
»Das ist es«, gab er freimütig zu. »Ich freue mich, dass ich damit anfing, ebenso wie ich mich jetzt freue, dass ich’s wieder aufgab. Ja, ja, ich habe allerlei dabei gelernt – die Augen offen und den Kopf klar zu halten. Das Boxen lehrte mich, Dampf zu sparen und nichts zu tun, was ich hinterher bereute.«
»Ach, du bist der nettste und friedlichste Mann, den ich je gekannt habe«, warf sie ein.
»Glaub das nicht. Pass nur auf, und du wirst sehen, gelegentlich überwältigt mich das Böse, dass ich nicht weiß, was ich tue. Ach, wenn ich erst losgelassen bin, bin ich schlimmer als der schlimmste Teufel.«
Dieses stillschweigende Versprechen, ihre Bekanntschaft fortzusetzen, ließ Saxons ganze Gestalt von Freude erschauern.
»Sag«, meinte er, als sie in die Nähe ihrer Wohnung kamen. »Was machst du Sonntag?«
»Nichts. Ich habe mir noch nichts vorgenommen.«
»Schön, was meinst du dazu, mit mir eine Wagenfahrt in die Berge zu machen?«
Sie antwortete nicht gleich, denn einen Augenblick lang hatte sie eine Vision, wie einen Alpdruck, sie sah ihre letzte Ausfahrt, ihren Schrecken, ihren Sprung aus dem Wagen und den meilenweiten Heimweg, in der Dunkelheit stolpernd in ihren dünnsohligen Schuhen, die die Steine fast bei jedem Schritt durchschnitten. Aber dann ging es wie eine Freudenwoge durch ihre Seele bei dem Gedanken, dass dieser Mann neben ihr nicht so war.
»Ich liebe Pferde«, sagte sie. »Ich liebe sie fast mehr als Tanzen, aber ich verstehe nichts von ihnen. Mein Vater hatte einen großen Rotschimmel als Streitross. Er war Rittmeister, weißt du. Ich habe ihn nie gesehen, aber mir scheint immer, ich müsste ihn auf dem großen Pferde sehen, eine Schärpe um den Leib und einen Säbel an der Seite. Mein Bruder George hat den Säbel, aber Tom – das ist der Bruder, bei dem ich wohne – Tom sagt, dass er mir gehört, weil es nicht sein Vater war. Siehst du, sie sind nur meine Halbbrüder. Ich bin das einzige Kind aus der zweiten Ehe meiner Mutter. Es war ihre richtige Ehe – ihre Liebesehe, meine ich.«
Saxon hielt plötzlich inne, verlegen über ihre eigene Redseligkeit; und doch war es so verlockend, diesem jungen Mann von sich zu erzählen, denn all diese fernen Erinnerungen waren ja ein so großer Teil von ihr selber.
»Erzähl mir mehr davon«, ermunterte Billy sie. »Ich höre so gern von alten Tagen. Meine Familie hat auch alles mitgemacht, und ich habe beinahe das Gefühl, dass es eine bessere Welt war als die, in der wir jetzt leben. Alles war einfacher und natürlicher, ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll. Aber ich meine ungefähr so: Ich verstehe das Leben heute nicht, alle diese Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und Streiks und die schweren Zeiten und die Jagd nach Arbeit. Alles das. So war es früher nicht. Da waren sie alle Bauern, schossen selbst ihr Wild, hatten genug zu essen und sorgten gut für die Alten. Aber jetzt ist es ein Durcheinander, das ich nicht verstehe. Vielleicht bin ich nur dumm, ja, was weiß ich? Aber das ist auch einerlei – lass mich mehr von deiner Mutter hören.«
»Ja,