Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Ei­fer an die Ar­beit, wo­bei sie mit Rück­sicht auf die schrei­en­de Toll­häus­le­rin auf dem Bo­den eine Ruhe vor­täusch­te, die sie kei­nes­wegs be­saß. Das schreck­li­che war, dass der Lärm wie ein Zug­wind durch das dün­ne Holz­haus ging; Sa­xon wuss­te, dass man es ne­ben­an, ja, auf der Stra­ße und in den Häu­sern auf der an­de­ren Sei­te der Stra­ße hö­ren konn­te. Sie fürch­te­te nur; dass Bil­ly un­ter­des­sen käme. Au­ßer­dem war sie em­pört und ver­letzt. Jede Fi­ber in ihr ekel­te sich, so­dass ihr fast übel wur­de, und den­noch be­wahr­te sie ihre Selbst­be­herr­schung und strich Sa­rah lei­se und be­ru­hi­gend über Stirn und Haar. Und wie sie, die Arme um die Schwä­ge­rin ge­schlun­gen, da­saß, glück­te es ihr bald, das gräss­li­che, schril­le, un­auf­hör­li­che Schrei­en zu be­schwich­ti­gen. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter lag Sa­rah laut schluch­zend in ih­rem Bett. Über ih­rer Stirn und ih­ren Au­gen lag ein nas­ses Hand­tuch – ge­gen die Kopf­schmer­zen, die sie und Sa­xon still­schwei­gend als eine hüb­sche­re Be­zeich­nung für den hys­te­ri­schen An­fall gel­ten lie­ßen.

      Als man kurz dar­auf Pfer­de­hu­fe auf der Stra­ße hör­te, war Sa­xon so weit, dass sie sich an die Haus­tür schlei­chen und Bill zu­win­ken konn­te. In der Kü­che fand sie Tom, der ent­mu­tigt und be­sorgt war­te­te.

      »Es ist vor­über«, sag­te sie. »Bil­ly Ro­berts ist da, und ich muss ge­hen. Bleib ein biss­chen bei ihr sit­zen, dann schläft sie viel­leicht ein. Aber rei­ze sie nicht. Lass sie sa­gen, was sie will. Ver­such es je­den­falls. Aber vor al­lem musst du als Ein­lei­tung und wie das Na­tür­lichs­te von der Welt das Hand­tuch, das über ih­ren Au­gen liegt, neh­men und in Was­ser tau­chen.«

      Er war ein freund­li­cher, um­gäng­li­cher Mann, aber wie so vie­len aus dem Wes­ten wur­de es ihm nicht leicht, sei­nen Ge­füh­len Aus­druck zu ver­lei­hen. Er nick­te, wand­te sich zur Tür und blieb dann un­ent­schlos­sen ste­hen. Der Blick, den er Sa­xon sand­te, er­in­ner­te fast an den ei­nes Hun­des. So rüh­rend dank­bar war er, aber gleich­zei­tig tief brü­der­lich in sei­ner Lie­be. Sie fühl­te es, und ihr Herz flog ihm so­fort ent­ge­gen.

      »Es ist ja gut – es ist ja al­les gut«, sag­te sie schnell.

      Tom schüt­tel­te den Kopf.

      »Nein, das ist es nicht. Es ist eine Schan­de, eine ver­fluch­te Schan­de!« Er zuck­te die Ach­seln. »Ach, mei­net­we­gen ist es mir gleich. Aber dei­net­we­gen. Du hast das Le­ben vor dir, Schwes­ter­chen. Du wirst noch früh ge­nug alt. Aber das ist eine ekel­haf­te Art, einen Fei­er­tag zu be­gin­nen. Jetzt mach, dass du es ver­gisst, fahr mit dei­nem Freund aus und amü­sie­re dich gut.«

      In der of­fe­nen Tür blieb er noch ein­mal, die Hand auf der Klin­ke, ste­hen, und sein Ge­sicht zuck­te. »Zum Teu­fel! Es gab eine Zeit, da auch Sa­rah und ich zu­sam­men aus­fuh­ren. Und ich glau­be fast, dass sie da­mals auch ihre drei Paar Schu­he hat­te. Ver­stehst du das?«

      In ih­rer Kam­mer mach­te Sa­xon sich schnell fer­tig und stieg auf einen Stuhl, so­dass sie in dem klei­nen Wand­spie­gel einen letz­ten kri­ti­schen Über­blick über den Sitz ih­res fer­tig ge­kauf­ten Lei­nen­rockes be­kom­men konn­te. So­wohl ihn wie die Ja­cke hat­te sie selbst pas­send ge­macht, sie hat­te die Näh­te mit dop­pel­ten Sti­chen um­ge­näht, um dem Kleid das ge­wünsch­te Tai­lor­ma­de-Ge­prä­ge zu ge­ben. Was sie sah, ge­fiel ihr. Sie un­ter­schätz­te kei­nes­wegs die schlan­ken Fes­seln über dem Aus­schnitt des brau­nen Schuhs, eben­so­we­nig die fei­ne und doch kräf­ti­ge Run­dung der Wade, die in den neu­en hell­brau­nen Flor­st­rümp­fen so schön zum Aus­druck kam. Dann sprang sie wie­der auf den Fuß­bo­den, rieb sich schnell die Ba­cken, um ih­nen die Far­be wie­der­zu­ge­ben, die Sa­rah dar­aus ver­trie­ben hat­te, und brauch­te dann noch einen Au­gen­blick, um sich ihre brau­nen Zwirn­hand­schu­he an­zu­zie­hen.

      Sie eil­te durch das Wohn­zim­mer und an Sa­rahs Tür vor­bei, aus der tie­fe Seuf­zer und ge­dämpf­tes Schluch­zen durch die Holzwand an ihr Ohr dran­gen, aber sie nahm sich zu­sam­men und es glück­te ihr, die Far­be in ih­ren Wan­gen und den Glanz in ih­ren Au­gen zu be­wah­ren. Und Bil­ly ahn­te nicht, dass das strah­lend fri­sche jun­ge Ge­schöpf, wel­ches so leicht­fü­ßig die Trep­pe her­ab­trip­pel­te, so­eben von ei­nem auf­rei­ben­den Kampf mit Wahn­sinn und Hys­te­rie kam.

      In dem hel­len Son­nen­schein mach­te Bil­lys Blond­heit einen fast ver­blüf­fen­den Ein­druck auf sie. Sei­ne Wan­gen, die so rund wie die ei­nes Mäd­chens wa­ren, hat­ten eine leich­te Röte an­ge­nom­men. Es wa­ren mehr Wol­ken in den blau­en Au­gen als je, und das krau­se, weiß­li­che Haar hat­te einen stär­ke­ren An­strich von dem blass­gol­de­nen Ton, den sie zu­vor be­merkt hat­te. Noch nie hat­te sie ihn so strah­lend jung ge­se­hen. Als er sie mit ei­nem ru­hi­gen Lä­cheln be­grüß­te, das von wei­ßen Zäh­nen und ro­ten Lip­pen leuch­te­te, war ihr das wie eine Ver­hei­ßung von Frie­den und Ruhe. Nach dem irr­sin­ni­gen Be­neh­men der Schwä­ge­rin wirk­te Bil­lys Ruhe dop­pelt so wohl­tu­end, und Sa­xon lach­te im stil­len bei dem Ge­dan­ken an das ge­fürch­te­te »schreck­li­che Tem­pe­ra­ment«, des­sen er sich selbst be­zich­tigt hat­te.

      Sie war frü­her schon aus­ge­fah­ren, aber im­mer im Ein­spän­ner mit ei­nem Miets­pferd, und es war eine der schmut­zi­gen, schwe­ren Ka­le­schen ge­we­sen, die man we­gen ih­rer Fes­tig­keit und Halt­bar­keit zum Ver­mie­ten ge­brauch­te. Aber jetzt stan­den hier zwei feu­ri­ge, am Ge­biss zer­ren­de Pfer­de, die mit je­dem blit­zen­den Re­flex auf ih­rer sei­den­blan­ken Haut ver­kün­de­ten, dass sie noch nie in ih­rem jun­gen Le­ben ver­mie­tet wor­den wa­ren. Zwi­schen ih­nen be­fand sich eine un­be­greif­lich dün­ne Deich­sel, und ihr Ge­schirr war so fein und zart wie Zwirns­fä­den. Bil­ly hielt die Zü­gel in ei­ner Hand, schi­en aber die ner­vö­sen jun­gen Tie­re durch eine Art Wil­lens­über­tra­gung zu len­ken.

      Es war kei­ne lan­ge Zeit zum Über­le­gen. Mit ih­rem schnel­len, wis­sen­den Frau­en­blick sah Sa­xon nicht nur die neu­gie­ri­gen Kin­der der Stra­ße, son­dern auch die Er­wach­se­nen, de­ren Ge­sich­ter in of­fe­nen Tü­ren und Fens­tern und hin­ter bei­sei­te­ge­zo­ge­nen Gar­di­nen her­vor­guck­ten. Mit der frei­en Hand hob Bil­ly das Schutz­le­der und half ihr auf den Sitz ne­ben sich. Der be­quem ge­pols­ter­te Le­der­sitz mit der ho­hen Rücken­leh­ne ver­lieh ihr ein Ge­fühl un­sag­ba­ren Wohl­be­ha­gens. Aber noch grö­ße­res Wohl­be­ha­gen fühl­te sie an dem Man­ne selbst, an sei­ner Nähe, sei­nem Kör­per.

      »Wie ge­fal­len sie dir?« frag­te er, in­dem er die Zü­gel mit bei­den Hän­den er­griff und die Pfer­de an­trieb, die sich so­fort mit ei­ner Schnel­lig­keit, die ihr et­was ganz Neu­es war, in Be­we­gung setz­ten. »Sie ge­hö­ren mei­nem Chef. Sol­che Tie­re kann man nicht mie­ten. Er lässt mich zu­wei­len mit ih­nen fah­ren, da­mit sie Be­we­gung be­kom­men. Sieh nur King, das kann man Feu­er nen­nen, nicht wahr? Ja, der an­de­re ist auch fein. Prin­ce heißt er. Aber man muss ihn fest im Zü­gel hal­ten. He! Hast du ge­se­hen, Sa­xon? Das ist ein Pferd, nicht wahr? Ja, das ist ein Pferd!«

      Hin­ter ih­nen er­tön­te das be­wun­dern­de Hur­ra­ge­schrei der Kin­der. Mit ei­nem zu­frie­de­nen Seuf­zer setz­te Sa­xon sich zu­recht, sich be­wusst, dass der glück­li­che Tag end­lich be­gon­nen hat­te.

      *

      »Ich ver­ste­he nichts von Pfer­den«, sag­te Sa­xon. »Ich habe nie auf ei­nem Pferd ge­ses­sen, und bin ich ein­mal aus­ge­fah­ren, dann im­mer nur mit ei­nem Ein­spän­ner, der meis­tens