Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman


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das Weite zu suchen.

      Lars sah ihm kurz nach, ehe er sich an seine Mitarbeiterin wandte.

      »Ich wollte Ihnen den Kollegen Norden vorstellen. Er wird mich während der Dauer dieser Reise vertreten«, machte er seinen Stellvertreter bekannt. Als Valerie den neuen Chef begrüßte, wurden ihre Wangen noch dunkler. »Ich hoffe doch sehr, dass Sie ihn zuvorkommender behandeln als den Herrn eben.« Lars’ Lächeln war süffisant.

      »Das … ich … er …«, stammelte Valerie.

      Es war ihr anzusehen, dass sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte.

      Insgeheim ärgerte sich Daniel über die mangelnde Empathie seines Kollegen.

      »Keine Sorge, Valerie. Ich bin mir sicher, dass wir gut miteinander auskommen werden«, versicherte er. »Was erwartet mich denn heute?«

      Zu Lars’ Unmut hatte er beschlossen, sich zunächst um das zu kümmern, weswegen er hier war. Alles andere würde sich von selbst finden. Das hatte ihn seine jahrelange Erfahrung gelehrt.

      Valerie machte keinen Hehl aus ihrer Erleichterung. Aufatmend beugte sie sich über den Terminkalender.

      »Eine Mrs George ist beim letzten Landgang umgeknickt und hat einen geschwollenen Knöchel, den Sie sich bitte ansehen wollen. Dann haben wir es mit einem infizierten Mückenstich und einer schmerzhaften Begegnung mit einer Qualle zu tun«, zählte sie die Probleme der angemeldeten Patienten auf. »Den Anfang macht allerdings ein kleiner Junge, Sebastian. Er ist das erste Mal auf einem Schiff und seit Beginn der Reise seekrank.«

      »Gut, dann werde ich mich mal an die Arbeit machen«, nickte Daniel Norden und sah sich um. »Haben Sie auch einen Kittel für mich?«

      »Natürlich.« Beflissen sprang Valerie auf und ging zum Schrank.

      Gleich darauf reichte sie ihrem neuen Chef das Gewünschte.

      Daniel schlüpfte hinein und reichte ihr die Hand.

      »Auf eine gute Zusammenarbeit.« Er zwinkerte seiner Assistentin zu, ehe er sich mit Lars auf den Weg Richtung Behandlungszimmer machte.

      »Schade!« Das Bedauern auf Dr. Forbergs Gesicht war echt. »Ich hätte dir ja wirklich ein paar spektakuläre Fälle als Einstieg gegönnt. Aber mehr als ein Liebesdrama scheint nicht drin zu sein.« Sie waren vor dem Zimmer angekommen, und er machte eine einladende Handbewegung. »Immer herein in die gute Stube. Fühl dich wie zu Hause.«

      Daniel Norden trat ein und sah sich um. Wie der Rest des Hospitals ließ auch das Sprechzimmer keine Wünsche offen. Die ganze Ausstattung war in Weiß und warmen Holztönen gehalten, und Daniel wusste, dass er sich in dieser harmonischen Umgebung wohl fühlen und gut arbeiten konnte. Wenn er erst seinen Kollegen losgeworden war.

      »In meinen Augen gibt es keine Bagatellen«, kam er ein weiteres Mal nicht umhin, Lars Forberg zu widersprechen. »Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein Patient, der sich in Behandlung begibt, immer einen Grund hat. Wenn es nicht die Erkrankung selbst ist, dann benötigt er vielleicht Aufmerksamkeit, Trost und Zuspruch. Ihm alles zu geben, damit er an Körper und Geist gesund werden kann, ist meine Aufgabe«, erklärte er freundlich lächelnd.

      Im ersten Moment wusste Lars nicht, was er dazu sagen sollte. Ohne Daniel aus den Augen zu lassen, machte er den Mund auf und schloss ihn wieder.

      »Bis jetzt warst du mir eigentlich ganz sympathisch«, erklärte er endlich. »Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und humpelte aus dem Zimmer.

      Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete Dr. Norden erleichtert auf.

      »Da sind wir ja ausnahmsweise mal einer Meinung«, murmelte er, während er Platz nahm. »Aber ich bin ungerecht«, tadelte er sich dann aber selbst. »Immerhin hat er mir sein Vertrauen ausgesprochen, indem er mir die Vertretung angeboten hat. Ich sollte nicht so streng sein.« Doch trotz dieses guten Vorsatzes blieb ein schaler Geschmack zurück, den Dr. Daniel Norden erst vergaß, als Valerie den kleinen Sebastian in Begleitung seines Vaters hereinführte.

      *

      Die Wassertropfen auf Fees Körper glitzerten in der Sonne, und sie lachte, als sie nach einem ausgiebigen Bad auf den schneeweißen, kilometerlangen Sandstrand zurückkehrte. Hier und da lockerten Palmen das Bild auf, und Fee konnte es kaum fassen, wirklich hier zu sein. Nele beobachtete sie, wie sie aus dem Wasser auf sie zukam.

      Das Glück umstrahlte die Ärztin wie eine Aureole, dass Nele fast die Augen schließen musste, so sehr schmerzte sie dieser Anblick.

      »Du bist ja immer noch angezogen!«, keuchte Fee und bückte sich nach dem Handtuch, das auf der Liege auf sie wartete. »Das Wasser ist herrlich! Das musst du unbedingt ausprobieren.«

      »Später«, winkte Nele ab. »Mir ist gerade nicht nach sportlicher Betätigung.« Vollständig bekleidet lag sie auf der Liege und schützte Müdigkeit vor.

      Fee ahnte, woher die gedrückte Stimmung rührte. Wieder musste sie an die Szene zwischen Mutter und Tochter denken. Gleich im Anschluss an Lillis Abgang hatte sich Nele betont fröhlich gegeben. Die ganze Busfahrt über hatte sie munter geplaudert und eine Anekdote nach der anderen über ihre Arbeit als Ernährungsberaterin erzählt. Doch irgendwann war es ihr nicht mehr gelungen, die Fassade aufrecht zu erhalten. Nele war immer stiller geworden und irgendwann ganz verstummt.

      Der psychologisch geschulten Ärztin war die Stimmung ihrer neuen Freundin nicht verborgen geblieben. Schon im Wasser hatte sie darüber nachgedacht, wie sie das Thema anschneiden konnte.

      Jetzt breitete sie das Handtuch auf der Liege aus und legte sich neben Nele.

      »Ich bin ja mal gespannt, ob Lilli und Felix genauso viel Spaß haben wie wir«, versuchte sie, Nele eine Brücke zu bauen, indem sie ihre eine Gelegenheit bot, über ihre Tochter zu sprechen.

      »Bestimmt«, kam eine einsilbige Antwort.

      Offenbar hatte Nele keine Lust, über den Ärger mit Lilli nachzudenken. Um sie nicht in die Enge zu treiben, musste Felicitas wohl oder übel auf eine weitere Bemerkung in diese Richtung verzichten. So beschloss sie, den Rest des Tages einfach zu genießen.

      Sie legte sich zurück, schloss die Augen und seufzte tief.

      »Herrlich. Ich hab mich schon lang nicht mehr so frei und unbeschwert gefühlt wie jetzt.« Das waren gedankenlose Worte, einfach so dahin gesagt.

      Und doch machten sie Nele schmerzlich bewusst, was ihr selbst seit Jahren fehlte. Sie drehte den Kopf und betrachtete Fees Gesicht. Die ganze Zeit kämpfte sie schon mit sich, der neuen Freundin ihr übervolles Herz auszuschütten. Aber konnte sie ihr auch vertrauen?

      Sei nicht albern. Sie ist nicht wie Lars!, mahnte sie sich selbst.

      »Ich wäre froh, wenn ich das auch von mir behaupten könnte«, hörte sie sich im nächsten Augenblick leise sagen.

      Innerlich war Fee sofort in Alarmbereitschaft. Doch sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Auf keinen Fall durfte sie jetzt einen Fehler machen.

      »Aber du hast doch alles, was sich ein Mensch wünschen kann. Einen netten Mann, eine hübsche Tochter – gut, Lilli ist im Augenblick vielleicht ein bisschen zickig, aber das geht vorbei. Außerdem hast du mir von deinem schönen Haus erzählt und von deinem tollen Job«, zählte sie scheinheilig und mit geschlossenen Augen auf. »Wo ist das Problem?«

      Nele merkte, wie sich ihr Hals zuzog. Tränen stiegen ihr in die Augen.

      »Das Problem?« Sie lachte bitter. »Mein ganzes Leben ist ein einziges Problem.«

      Das klang so dramatisch, dass Fee nicht länger ruhig liegen bleiben konnte. Ruckartig setzte sie sich auf und sah ihre Freundin an.

      »Um Gottes willen, was ist denn passiert?«

      »Ach!« Mehr konnte Nele nicht sagen. Sie schluchzte auf und nahm dankbar die Packung Taschentücher, die Felicitas aus ihrer großen Tasche gekramt hatte. Wo sollte sie anfangen zu erzählen? »Eigentlich weißt du es ja schon.«