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versuchte sie, Nele Mut zu machen, und stand auf, um das Handtuch zusammenzulegen. »Und wenn wir das Schiff nicht verpassen, können wir mit Daniel beratschlagen, was zu tun ist. Natürlich nur, wenn du möchtest.«

      Auch Nele war aufgestanden und packte ihre Sachen zusammen. Sie schickte Fee einen dankbaren Blick.

      »Danke!« Mehr sagte sie nicht. Das war aber auch nicht nötig. Der Ausdruck in ihren Augen sagte mehr als alle Worte.

      *

      »Jetzt kennst du die ganze Geschichte«, schloss Lilli ihren Bericht.

      Ehe Felix etwas erwidern konnte, sprang sie auf und klopfte sich den Sand von den Shorts. Leichtfüßig lief sie ans Wasser. Einen Moment blieb sie dort stehen und betrachtete das ewige Auf und Ab der Brandung, die ihre Füße umspülte. Schließlich ging sie ein Stück den Strand hinauf.

      Der Arztsohn war feinfühlig genug, um zu wissen, dass er sie einen Augenblick allein lassen musste. Immerhin war das verschlossene Mädchen über ihren Schatten gesprungen und hatte ihm nach langem Hin und Her endlich ihr Herz ausgeschüttet. Das, was Felix erfahren hatte, stimmte ihn nachdenklich. Und doch konnte er mit niemandem darüber reden. Lilli hatte ihn zum Schweigen verdonnert. Andernfalls würde sie ihm die Freundschaft aufkündigen. Und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Hatte sie ihn zuerst durch ihre spröde Abweisung gereizt, musste er erkennen, dass er selten zuvor mit einem Mädchen so viel Spaß gehabt hatte wie mit Lilli an diesem Tag. Sie hatten all ihre Pläne wahr gemacht und waren mit Delfinen geschwommen. Im Parasailing hatte sie sich viel geschickter angestellt als er. An einer Strandbar hatte er Pommes und Cola gekauft und sich später mit ihr im Sand vor Lachen gekugelt, ehe das Gespräch abgedriftet und ernst geworden war.

      Felix hielt die Hand über die Augen und beobachtete Lilli. Im Licht der tief stehenden Sonne wirkte ihre Silhouette wie eine Fata Morgana. Mit einer Hand hielt sie den Strohhut auf ihrem Kopf fest. Der Wind spielte mit ihrem langen Haar, während sie durchs knöcheltiefe Wasser watete.

      Später wusste er nicht mehr, wie lange er dagesessen und sie angesehen hatte. Es musste eine ganze Weile gewesen sein, denn auf einmal spürte er, wie er fröstelte. Ein Blick auf sein Handy versetzte ihn in Panik.

      »Lilli, schnell!« Mit einem Satz war er auf den Beinen. »Wir müssen los.«

      Wie von der Tarantel gestochen fuhr die junge Frau herum. Ihre langen Beine trugen sie in Windeseile zu Felix.

      »Wie lange haben wir noch?«, fragte sie, während sie sich bückte und ihm half, ihre Siebensachen zusammenzupacken. Die zufällige Berührung ihrer Hände durchzuckte Felix wie ein Stromstoß. Doch er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern.

      »In einer knappen Stunde legt das Schiff ab.« Die Tasche war fertig gepackt und er hob sie hoch, um sie über die Schulter zu werfen.

      Im Laufschritt machten sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Das Schicksal hatte ein Einsehen. Ein altersschwaches Gefährt stand schon am Straßenrand, bereit zum Aufbruch.

      »Glück gehabt!«, keuchte Felix und ließ sich neben Lilli auf den Sitz fallen. »Was passiert eigentlich, wenn wir nicht rechtzeitig zurück sind?«

      »Dann legt das Schiff ohne uns ab«, erwiderte Lilli ungerührt.

      Schneller als er schien sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben.

      »Waaaaas?« Felix verschluckte sich fast vor Schreck. »Und das sagst du so lässig?«

      »Och, kleiner Felix.« Wenn Lilli grinste, zeigten sich zwei Grübchen auf ihren Wangen. »Hast du etwa Angst ohne Mami und Papi so ganz allein in der Fremde?«

      Peinlich berührt wandte sich der Arztsohn ab und starrte in die andere Richtung.

      »Natürlich nicht. Aber es wäre schade um das schöne Essen heute Abend«, ließ er sich schnell eine Ausrede einfallen.

      Lilli lachte.

      »Kein Problem. Wir mieten uns einfach in einem schicken Hotel ein und lassen es uns gut gehen. Mein Dad … ich meine, Lars, lädt uns ein.«

      »Du willst ihn ausnutzen? Ohne mich«, entfuhr es Felix.

      Da war es wieder, Lillis spöttisches Lachen.

      »Hört, hört, der Moralapostel spricht! Und dazu, was meine«, mit den Fingern malte sie Anführungszeichen in die Luft, »Eltern mir angetan haben, sagst du nichts, was? Hätte ich mir ja denken können, dass du auf ihrer Seite bist.« Beleidigt wandte sie sich ab und starrte aus dem Fenster.

      »Ich bin überhaupt nicht auf ihrer Seite«, verteidigte sich Felix, während der Bus über eine unbefestigte Uferstraße rumpelte. »Aber ich versuche, auch sie zu verstehen. Sie haben schlicht und ergreifend Angst, dich zu verlieren.«

      »Das ist noch lange kein Grund, mich mein ganzes Leben lang anzulügen«, fauchte Lilli. »Und mir dann noch nicht mal bei der Suche nach meinen richtigen Eltern zu helfen.«

      Ehe es sich die beiden jungen Leute versahen, befanden sie sich im ersten Streit ihrer noch jungen Freundschaft.

      »Wenn ich das richtig verstanden habe, wollte deine Mutter dir schon helfen«, erinnerte Felix sie.

      Als er die Blicke der anderen Fahrgäste bemerkte, die sich zu ihnen umdrehten, senkte er die Stimme.

      »Aber sie wird es nicht tun, weil mein … weil Lars dagegen ist. Sie tanzt doch eh immer nach seiner Pfeife«, schnaubte Lilli verächtlich, als es plötzlich knallte und ein Ruck durch den Bus ging.

      Einige Fahrgäste schrien auf vor Schreck. An Lillis Miene stellte Felix mit Genugtuung fest, dass auch sie nicht so cool war, wie sie gern gewesen wäre.

      »Was war das?«, fragte sie, als der Bus mit kreischenden Bremsen stehen blieb. »Warum fahren wir nicht weiter? Wir stehen mitten in der Pampa.«

      Ganz Gentleman stand Felix auf, um sich nach dem Grund für die Pause zu erkundigen.

      »Ich fürchte, ich muss auf dein großzügiges Angebot zurückkommen«, erklärte er und streckte die Hand nach der Tasche aus, die er ihr zum Halten gegeben hatte. »Wir haben eine Reifenpanne. Das Schiff wird wohl ohne uns ablegen.«

      *

      »Die Brandblasen bei Herrn Rothe habe ich punktiert und die betroffenen Stellen mit einer fetthaltigen Gaze verbunden. Gegen die Schmerzen und um einer Entzündung vorzubeugen, habe ich ihm Tabletten mitgegeben«, berichtete Dr. Daniel Norden seiner Assistentin, nachdem der letzte Patient des Tages die Ambulanz verlassen hatte. Kurz vor Ende der offiziellen Sprechstunde war der gutaussehende Mann mit nacktem Oberkörper ins sein Zimmer gestürzt. Sein Rücken war übersät gewesen mit Brandblasen, und er hatte um Hilfe gebeten, die Dr. Norden ihm natürlich gewährt hatte.

      »Bei diesem Anblick kann einem die Lust auf ein Sonnenbad vergehen.« Mitfühlend verzog Valerie das Gesicht. Die Schmerzen, die der Passagier erleiden musste, wollte sie sich gar nicht vorstellen.

      »Sie müssen ja nicht in der Sonne einschlafen und können einen ordentlichen Sonnenschutz verwenden«, schmunzelte Daniel. Er schlüpfte aus dem Kittel und unterdrückte ein Gähnen.

      Valerie bemerkte es.

      »Kein Wunder, dass Sie müde sind. Der Tag war ganz schön lang.« Sie saß am Tresen und sah ihn an. »Darf ich Sie mal was fragen?«

      »Solange es nicht peinlich ist, gern.«

      Ohne ihren neuen Chef aus den Augen zu lassen, lehnte sich Valerie zurück.

      »Was machen Sie mit den Patienten? Sie sind alle so zufrieden und mit einem Lächeln auf dem Gesicht rausgegangen.«

      »Sollte das nach einer erfolgreichen Behandlung nicht normal sein?«, stellte er eine Gegenfrage.

      »Mag sein. Aber in der Art hab ich das selten erlebt. Das ist sehr schön«, gestand sie und machte sich dran, ihren Schreibtisch aufzuräumen. »So macht die Arbeit richtig Spaß.«

      Auch ihr Tag war lang und anstrengend gewesen, und sie sehnte sich nach