Walter Serner

Krimis & Erotische Erzählungen


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aber gefiel ihm Bianca mit einem Mal. Er log blindlings: »ja, Irene ist nicht in Paris, sondern in Lyon.«

      »Glaube ich nicht.«

      »Ich bin überzeugt davon.« Und er begründete es sehr plausibel.

      Bianca schluckte ein paar Mal. »Non, non,« und ordnete ihr wirres Haar so flüchtig, daß sie es noch mehr derangierte.

      Rican schlug ihr in vagem Hoffen vor, an Irene zu depeschieren; sie könnte in drei Stunden Antwort haben, da die Vorstellung der Lyoner Alhambra erst nach 11 Uhr zu Ende sei.

      Bianca fuhr jäh empor, starrte Rican sekundenlang voll wilden Jubels an, schrie: »Ah, c’est grandiose!« und stürzte ihm um den Hals.

      Rican wucherte diese Unbesonnenheit eine halbe Stunde lang aus, während welcher Bianca sehr unhöfliche Rufe versendete wie: »Ah, c’est chouette … cette grue!« »Que je suis heureuse … cette brute!« »Va donc télégraphier … Je vais me venger quand même …« etc.

      Da klopfte es.

      Rican freute sich so, daß er erzitterte: er hatte die Tür nicht abgesperrt.

      Gleichzeitig erblondete in der Türspalte das Köpfchen Irenes. Sie hatte kaum die Situation überblickt, als sie auch schon mitten ins Zimmer wippte und, die Hände in den Hüften aufgestellt, bald Rican, bald Bianca höhnisch musterte.

       Bianca setzte sich im Nu auf und rief freudeblassen Gesichts: »Rican, schmeiß sie hinaus!«

      Rican lächelte überirdisch.

      Irene lächelte noch frecher, schwenkte sich an ihn heran und stieß ihn sachte mit dem Fuß.

      Rican wurde steif vor Erstaunen.

      In dem schmalen schönen Gesicht Irenes spitzte sich ein Wunsch, während sie Rican zuraunte: »Ich erwarte Sie sofort bei mir.«

      »Hinaus!« zeterte Bianca.

      Rican nickte unmerklich. Dann warf er den Kopf verächtlich nach hinten.

      Irene lachte gutes Theater, ließ, von sich selber entzückt, einen schrillen Ton einströmen, so daß es beinahe wie Geschrei klang, verstummte wirkungsvoll und murmelte: »Tant mieux.« Hierauf wippte sie hinaus.

      »Ah, c’est grandiose!« Und sogleich hüpfte sich Bianca in fieberhafte Tätigkeit.

      »Wann willst du abreisen?« Rican arrangierte seine Toilette.

      »Schon heute abend natürlich … Er hat mit ihr gebrochen, Rican … Ah, c’est grandiose!«

      »Ich komme in zwei Stunden wieder.«

      »Gut … Sie kam nur, um mich auszuhorchen … cette grue!«

      »Selbstverständlich.«

      Sie küßte ihn fest und stieß ihn gegen die Tür. »Bitte, Rican, klingle doch Annette! … Und … du leugnest alles.«

      »Das ist doch klar …« –

      Irene knipste das Zimmer dunkler, während sie Ricans Unterarm mit Daumen und spitzgestelltem Zeigefinger begrüßte. »Ich bin aufs äußerste überrascht.«

      »Lyrik.« Rican liebkoste seinen sittlichen Adamsapfel.

      »Ach was! Sie machen Dummheiten!« Irenes Stirnlocke flatterte verheißungsvoll.

      »Die eigenen sind immerhin interessanter als die fremden.«

      Irene machte sich bereits feuchte Lippen. »Und Jean? Er hat es Ihnen doch verboten!«

      »Ich habe keinen Centime mehr.«

      »Und Bianca?«

      »Seit Wochen mein Portemonnaie, gewiß,« log er prächtig. »Aber …«

      »W-a-a-s?«

      »… aber gegenwärtig hat sie nicht einmal das Geld zur Reise.« Rican schnüffelte zart im Zimmer umher und rieb sich gleichzeitig die Hemigloben am Kamin.

      Irene schlängelte sich besorgt aufs Bett und begann, intensiv ihre Fingernagel zu säubern.

      Rican rieb sich siegesgewiß weiter.

      »Sie kapieren mehr, als ich dachte. Hören Sie!« Und schon spielte sie mit seinem Handballen, den sie kratzte und kniff. »Ich gebe Ihnen vierhundert Francs. Zweihundertfünfzig für Sie, wenn Sie mit dem Rest Bianca expedieren.«

      »Dreihundertfünfzig für mich und Bianca expreßt heute noch.«

      »Hat Zeit bis morgen … Zweihundertfünfzig und – mich.«

      »Dreihundertfünfzig! Sie sind doch selbstverständlich!« Ricans Augen verwilderten sich kurz, dieweil Irene höchste Verblüffung trieb.

      Schnell umkrallte er ihre Schenkel, schulterte die gedämpft Kreischende und warf sie nach strammem Marsch ins Bett …

      Nachher heuchelte sie innig: »Aber du schwimmst doch jetzt mit mir!«

      Rican vernahm dieses ›Aber‹ vergnügten Knurrens und biß ihr zustimmend in die Achsel …

      Biancas Fußspitzen klopften sehr beglückt den Teppich, als Rican hereinstürmte. Vor seinen erregten Zügen aber rutschte sie fast vom Koffer.

      »Voilà!« Rican preßte ihr den Brief Forrains (Maurice’) an Irene in die Hand und postierte sich düster in eine Ecke.

      Als Bianca, die Lider tränenbesetzt, endlich aufblickte, sagte er sachlich: »Gib mir zweihundert Francs und ich expediere Irene.«

      »Zwei …?«

      »Sofort. Und Forrain kommt reuig zurück!«

      Selbstverständlich bekam er das Geld …

      Drei Stunden später bestieg er den Schnellzug nach London.

      Am nächsten Morgen aber erhielt Irene folgendes Briefchen:

      »Madame, ich wußte stets alles. Paris hat ausgeblasen. M. hockt nicht mehr auf dem Sofa. Für Sie gibt’s da nichts mehr zu kitten. Bianca aber ist benutzbarer, als Sie auch nur ahnen. Auf Ihre Rezepte falle ich nicht hinein. Ich bin immer im Ölbilde. Sobald es sich vertikal tun läßt, kitzle ich … Alles Horizontale.

      Ihr Rican.

      p. s. Soeben Depesche: Forrain in Paris verhaftet. Sie sehen: ich bin Kavalier.«

       Psychotisch geworden, fuhr Irene straks nach Verona, allwo sie einen Pietro besaß.

      Nach drei Tagen erschien Forrain verstört in Pyrmont und wunderte sich so, daß er, verborgene Begabung vermutend, bei Bianca schlief.

      Hahnebüchene Geschichten

       Inhaltsverzeichnis

      Eine Kritik von Christian Schad, Frankfurt a. M.

      I.

      Es sind ihrer nicht weniger als dreiunddreißig. Alle dreiunddreißig sind kurz, witzig, fein, neu und gemein [locker], Ihre Helden sind zarte Lumpen, überlegene Cocainisten, amüsante Tagediebe, geistreiche Zuhälter [Kokotten], trickschwangere Sadisten, graziöse Verbrecher. Jede dieser dreiunddreißig Geschichten ist wirklich hahnebüchen. (Sie sind unter dem überaus treffend gewählten Titel »Zum blauen Affen« bei Paul Steegemann in Hannover erschienen und kosten zwanzig Mark.) Ihr Verfasser ist der einigermaßen bekannte, sogar etwas berüchtigte Doktor Serner aus Karlsbad in Böhmen.

      II.

      Ich begegnete diesem Herrn das letzte Mal vor dem Kaffee Esposito auf der Piazza S. Ferdinando in Neapel. Er ergriff nicht meine ihm herzlich entgegengestreckte Hand, lüftete nicht seinen Hut, er fixierte meine Krawatte, als drohe ihm von ihr ein gefährlicher Angriff, und sagte plötzlich sehr leise, aber dennoch deutlich: »Sie deutscher Maler, wenn Sie sich eine Hühnerleiter in den Himmel und eine Treppe in mein Herz