Augenaufschlägen unterstrichen, geschenkt ward, und zog, abermals wirkungsunbefriedigt, sechsmal, des Kniffes kundig, Herz-As aus einem Spiel, sich nach jedem Zug statisch vor Jubel über diese Schickung in das Sofa wühlend, um Tarrish das Astrale zu demonstrieren.
Tarrish hielt die Gelegenheit für günstig und bat mit zart gewichster Stimme um eine sehr bestimmte Wunscherfüllung.
Ange neigte, eh’ schon wissend, das Ohr, hörte Manses wegen mimiklos zu und schüttelte ebendeswegen das bereits derangierte Haupt.
»Ich biete zwanzig Francs!« rief Tarrish wirklich ärgerlich und in planlosem Mutwillen.
Ange, die innerliche Tarrish für diese Frechheit einen entzückten Blick widmete, konnte nun doch nicht das Astrale derart ruchlos preisgeben. Sie taumelte verstört auf und, wie in sämtlichen Parallaxen ausgehoben, an die Sofawand zurück.
Erstaunlicher Weise gelang ihr ein komplettes Erblassen.
Manse, dem dieser tolle Grad von Kippung neu war, wunderte sich baß und wurde unsicher, ja fast unwillig.
Tarrish zwinkerte ihn zur Haltung.
Manse, schnell wieder auf seiner Höhe, hielt es für das Sturmzeichen und holte sich Anges Busen.
Da Tarrish dem wenn auch matt gearbeiteten Wehren Anges ansah, daß es nur auf ihn projiziert war, bekam er hörbar Hunger und begab sich unverzüglich in die Küche, wo er, mit der Örtlichkeit wohl vertraut, eine halbe Stunde lang vielerlei vergnügt in sich baute …
Manse und Ange saßen bei seinem Eintritt schweigend und direkt wie im Traum neben einander auf dem Sofa.
Tarrish strahlte und lobte Wurst und Käse.
Manse, ohnedies einer Kräftigung sehr zugetan, enteilte ungesäumt.
Tarrish näherte sich vorzüglich.
»Glaubst du, daß Manse mich liebt?« beflötete ihn Ange listig, jedoch allerkeuschest blickend.
»Möglich. Sogar wahrscheinlich,« hauchte Tarrish und forderte ungeniert seine Wunscherfüllung.
Ange entfloh engelsgleich.
Tarrish, in plötzlicher Besorgnis, es könnte ihm nicht glücken, exhibitionierte. Mit Erfolg …
Als Manse später sich zur Tür hereinwand, blies ihm Tarrish das Stichwort zu: »Corriere della Sera!«
»Corriere della Sera!« wiederholte Manse, grinsend wie der ganze Balkan an einem Sonntag.
Ange beliebte augenblicks Sphinxhaftes, was in Ansehung des doppelseitig Stattgefundenen immerhin Fassung bekundete, und raste zu ihrer Beruhigung todesverachtungsvoll eine Viertelstunde lang Edgar Allan Poes schöne Legende ›Heureka‹ herunter, dieweil Tarrish und Manse sich mit den Augen genießerisch die Hände rieben.
Aber es half Ange nichts. Die plötzlich aufbrechende Wut darüber, sich so sehr blamiert zu haben, ergoß sich in einen Weinkrampf. Nach wenigen Minuten schrie sie nurmehr.
Manse, dessen Nerven vor einer Explosion hielten, drückte sich wortlos; nach ihm Tarrish, der jämmerlich Winselnden zuflüsternd: »Manse liebt dich sicherlich wahrhaft.«
Eine chinesische Teetasse, die ihm deshalb nachsauste, barst sich und einen hübschen Spiegel in Stücke …
Auf der Straße ächzte Manse schwer in sich hinein.
Tarrish, besorgt um den so Erschütterten, schwang ihm den Arm um die Schultern. »Mensch, faß dich!«
Manse brauchte noch einige Zeit, um sich soweit zu erholen, daß er unter fließenden Tränen zu stöhnen vermochte: »Sie wollte … mich nämlich … nachher von ihrer reinen … Liebe überzeugen, indem sie … auf die Knie fiel und plötzlich anfing; … Du ahnst es nicht, aber das gibt es … – zu Jehova zu beten … Quelle vache!«
»Genau wie bei mir!« Tarrish hielt sich die Hüften.
Manse versagte alles Weitere. Sein Zwerchfell schmerzte.
Tarrish winselte.
Die Betörung der Excentrique Fanoche
fand durch Alois statt, welcher hinten Srb hieß, aber sehr weitsichtiger Weise seinen Vornamen für hoffnungserweckender hielt als jedes noch so kühn gebaute Pseudonym. Überdies war Alois, dessen Nase in zart slawischer Breite gen Himmel wies, zweifellos tschechischer Abstammung.
Nicht solches war es jedoch, was die von sämtlichen Finessen, Trucs und Hautfarben durchaus gelangweilte Excentrique Fanoche auf Alois aufmerksam machte, sondern ein an sich nicht sehr ungewöhnlicher Vorfall.
Am Abend der Premiere in der Alhambra hatte nämlich Alois in jenem höchsten Augenblick der Darbietungen der Fanoche, als sie eben mit herzbeklemmender Komik süß ins Publikum refrainte: »O mon chéri, donne-moi un petit signe!« – in diesem wahrlich herausfordernden Moment hatte Alois, lediglich aber infolge eines kurz zuvor verzehrten Paprika-Gjulasches, ganz fürchterlich gerülpst.
Eine kurze Konsternation des ganzen Saales erfolgte und sofort darauf ein betäubendes Gebrüll.
Alois erhob sich vergnügt und sogar fast graziös von seinem im Tauschverkehr gegen einen alten Spazierstock erworbenen Parkettsitz und verneigte sich gelassen gegen das ihm huldigende Publikum; die Fanoche, entzückt und dankbar, von Alois.
Diese Verbeugung wollte ihm während der folgenden Nummern nicht aus den Sinnen, die ohnedies gewissermaßen geweckt worden waren. Sie hing ihm gleichsam vor Nase und Mund. Er grübelte, seufzte leise und pfiff ganz dünn in den Momenten hoffnungsvoller Reflexionen.
Neugierig und schüchtern zugleich wartete er nach Schluß der Vorstellung in jenem Bühneneingang, von dem er annahm, daß die Fanoche ihn passieren mußte.
Als sie dies endlich tat, mußte er, sei es aus Verlegenheit, sei es assoziativ, sei es gjulaschesk, abermals rülpsen.
Die Fanoche, die ihn naturgemäß daran wiedererkannte, näherte sich ihm darob lächelnd und schenkelsicher. »Du arbeitest gut, mein Freund. Du könntest das jeden Abend machen. Ich würde dir immer ein Billett geben. Willst du?« Dabei blies sie ihm kokett auf die Nase.
Alois, dessen slawisch behende Natur sofort erkannte, daß in dieser Offerte nicht nur die Möglichkeit ruhte, das Schneidergewerbe aufzugeben, sondern vielleicht sogar die Fanoche selber, nickte so sonderbar unbeholfen, daß es mehr herablassend, ja fast frech sich ausnahm.
Die Fanoche wunderte sich leicht: »Du heißt?«
»Alois.«
Die Fanoche lächelte seltsam und biß ein wenig an ihrer schweren wildgeschweiften Unterlippe. Dieser Name roch für sie absonderlich, neu, lasterhaft, verschlagen. »Und deine Adresse?«
Alois genierte sich, die Rue Lépic zu nennen. »Hinterlegen Sie das Billett im Café, bei Robert.«
»Gut.« Sie stieß ihm jovial die Kniescheibe an den Bauch. »Au revoir, mon cher.«
So endete der Anfang. Das Ende begann nach drei Tagen. Schon.
Denn der tägliche Variétébesuch, der steigende Rülpserfolg, das joviale Blasen und Kniestoßen der Fanoche und schließlich die geradezu immense Hochachtung, die der Kellner Robert ihm gegenüber bekundete, brachten Alois, der außerordentlich begabt, nur noch unerfahren war, mit einem Schlag auf die Höhe seiner schlummernden Fähigkeiten.
Den Schlag erhielt er im Bühneneingang nach der Vorstellung von Réal, einem Fanoche-Interessenten lockerster Art, auf den Hinterkopf.
Doch Alois’ Selbstgefühl, das diesen Schlag noch vor drei Tagen sicherlich stumm eingesteckt hätte, war inzwischen mächtig gestiegen. Und so geschah das gänzlich Unerwartete, daß Réal, der allseits schwer Gefürchtete, eine entsetzliche, so recht tschechische Watschen bekam.