Simon Reynolds

Sex Revolts


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Call Up« (von Sandinista!) finden, eine spukhafte, vom Dub beeinflusste Illusion von einem Song, die von den damals in den USA neu eingeführten Regelungen zur militärischen Einberufung inspiriert worden war, oder das erschütternde »Straight to Hell« (von Combat Rock), eine fünf Strophen lange Höllentour durch diejenigen Gebiete der Erde, in denen Kindersoldaten ausgebeutet wurden. Wie jede große Rock-’n’-Roll-Band waren The Clash zutiefst verunsichert, ein Gewirr aus Widersprüchen. In der einen Minute konnten sie es kaum erwarten, für einen noblen Zweck in die Schlacht zu ziehen; in der nächsten schreckten sie vor dem Gemetzel und den geschundenen Seelen des Krieges zurück.

      Eines war klar: The Clash hatten das Temperament von Kriegern. Wie es Lenny Kaye in »Americlash« ausdrückte, seiner Hommage an die Band, die 1991 der CD-Retrospektive Clash on Broadway beigelegt war: »Jeder gute Aufstand braucht einen Anlass, oder zumindest sahen das The Clash so. Die mythische Struktur der Musik war gewaltig genug, um einen Soundtrack für jedes Phantombild zu liefern, ein Ruf zu den Waffen, der sowohl spirituell als auch militant war, je nachdem, in welche Richtung der kulturelle Wind blies. […] Was die Konfrontation auslöst, ist kaum relevant.« Kaye scheint instinktiv verstanden zu haben, dass der Drang zu rebellieren zuerst kommt und die Suche nach einem Anlass dann erst folgt.

      Die Grenzen zwischen The Clashs gegen das Establishment gerichteter Militanz und dem Militarismus für Königin und Land verschwammen jedoch manchmal. Als sie Give ’Em Enough Rope aufnahmen, langweilten sie die zahllosen Takes, die Produzent Sandy Pearlman von ihnen verlangte. Also ging Dave Mingay, der Regisseur des The-Clash-Films Rude Boy, zum Imperial War Museum und lieh dort Filmaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg aus. Eine große Leinwand wurde im Studio errichtet und Filme wie The Defence of Stalingrad, Die letzte Schlacht und El Alamein zwischen den Takes gezeigt. »Bomber flogen über das Studio, während wir herumsaßen oder spielten«, erinnerte sich Paul Simonon später. Vielleicht sehnten sich The Clash wie Jimmy Porter in Blick zurück im Zorn in Wirklichkeit nach einem Britannien, das wahrhaft groß war, ein Land, das ihren Stolz und ihre Leidenschaft verdiente, ein Land, für das es sich zu sterben lohnte.

      So wie Porter seinen Zorn gegen die fügsame, stets pflichtbewusst hinter dem Bügelbrett stehende Ehefrau richtete, schienen auch The Clash die Hausfrau als Antithese zum abtrünnigen Wagemut, den sie anstrebten, zu betrachten. Einer ihrer bewegendsten Songs, »Lost in the Supermarket«, zeichnet mit viel Empathie ein Porträt einer gebrochenen Person mit unklarer Geschlechtszugehörigkeit (entweder eine unterdrückte Hausfrau oder ein männlicher Niemand), deren Welt aus Ablehnung und einem kleinen Horizont besteht. »I wasn’t born so much as I fell out«, bezeugt sie/er. Später wird aus ihr/ihm ein ängstliches, sich klein machendes Tierchen, eingepfercht zwischen vorstädtischen Hecken, die zu groß sind, um darüberzuschauen. Einzig in Konsumgütern und Ausschussware findet diese fragile, schwermütige Person Beistand. Wie so oft in rebellischer Rockmusik, dient Shopping, eine Aktivität, die mit Weiblichkeit assoziiert wird, als negatives Symbol, im Fall von The Clash für die Kastration dieser traurigen Figur.

       GENERATION TERRORISTS

      »Wir waren selbst Sprengstoff […], eingepflanzt unter den gewaltigen Bauwerken einer materialistischen Eiszeit. […] Wir waren selbst ›explosiv‹; mit jeder Faser unseres Seins verbrannten und vernichteten wir die zusammengeballten Hindernisse, die uns im Weg standen.«

      Friedrich Wilhelm Heinz, Freikorps-Offizier

      Punk entstammte dem gleichen Milieu der unzufriedenen unteren Mittelschicht/oberen Arbeiterklasse wie die Angry Young Men (oder tatsächlich auch die Freikorps) und teilte sich mit diesen auch viele Sehnsüchte: sich von einer Gesellschaft zu distanzieren, die sich rettungslos korrupt anfühlt, oder das Verlangen nach den verlorengegangenen Gelegenheiten für Heldentum. Wenn Frieden herrschte, bot die Gesellschaft einem explosiven Ausbruch ihrer Bedürfnisse keinen Raum. Stattdessen bot sie die Schinderei klerikalen oder bürokratischen Lebens, der Buchhaltung und der Erfassung von Arbeitszeiten.

      Es gibt aber noch mehr Gründe dafür, warum das Militär in der Vorstellungskraft von Rockmusikern so eine große Rolle spielt. In ihrem Buch Teenage Wasteland untersucht Donna Gaines die amerikanische Subkultur der burn-outs, unzufriedener, struppiger junger Männer, die für Heavy Metal leben und sich mit Alkohol und Drogen zuschießen. »Für diejenigen, die in den Einbahnstraßen der Vorstadt feststecken, bietet das Rekrutierungsbüro eine Insel voller Möglichkeiten.« Eine Rockband zu gründen oder sich der Armee anzuschließen, sind oft die einzigen Alternativen zu einem Job im Dienstleistungssektor – oder einem Leben in der Arbeitslosigkeit. Wie Rock ’n’ Roll bietet auch das Militär ein Leben voller Abenteuer, eine Chance, wie ein Mann zu leben statt wie ein Lakai.

      Schon mit ihrem Namen grenzten sie sich von der restlichen Musikszene ab. 1991 herrschte in der Britpop-Ästhetik die benommene und verwirrte Androgynität der Dreampop-Bands (Lush, My Bloody Valentine, Slowdive), deren Songs sich größtenteils im Liebestaumel befanden oder sich mit der Einsamkeit derer beschäftigten, die verlassen durch eine grausame Welt treiben. Jedes Element des Bandnamens der Manics stößt sich an dieser »verweiblichten« Ästhetik: »manic« als amphetaminbefeuerte Absage an die Verschlafenheit des Dreampop; »street« als Rückkehr zu den innerstädtischen Schauplätzen von Punk, weg vom eigenen Innenleben (ein Gebiet der Revolution und nicht eines der Träumereien); »preacher« als Ankündigung, die Dinge beim Namen zu nennen, im Gegensatz zu den vagen, apolitischen Ambiguitäten der Dreampop-Ästhetik. Prediger und Demagogen sind für gewöhnlich Männer und der Grund für die Unzufriedenheit der Manics mit der Rockmusik von 1991 war, dass sie viel zu girly sei.

      Der Titel ihres Debütalbums, Generation Terrorists (1993), war ein Vor- und Weckruf an ihre eigene »nutzlose Generation«. Ihre Überzeugungen glichen Sergei Netschajews »Der Katechismus des Revolutionärs« von 1869, das den Revolutionär zu einer dem Untergang geweihten Figur erklärte, ohne überschüssige Energie für Gefühlsduselei, Romantizismus oder Glückseligkeit. Er war »ein unerbittlicher Feind dieser Welt, und wenn er in ihr weiterlebte, dann nur, um sie effektiver zu zerstören. […] Alle sanften und weibischen Emotionen in ihm, wie Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe und Dankbarkeit, […] müssen von einer kalten, simplen Leidenschaft zum Schweigen gebracht werden.« Und so argumentierte Manics-Rhythmusgitarrist und -Texter Richey Edwards: »Sobald du dich verliebst oder deine Freundin schwängerst, […] hast du keine Chancen mehr, sondern Verpflichtungen. Du kannst unmöglich noch irgendetwas tun. Sobald du zu einem Paar reduziert wirst, bist du zusammen allein […] mit deinem Fernseher, du bist [von der Welt] abgeschnitten.« Die Band schien das Gespenst der romantischen Bequemlichkeit als etwas zu fürchten, was den Arbeitseifer ihres Tunnelblicks verstummen und schmelzen lassen würde.

      Lieber gaben sich die Manics der »sexlosen« Intensität der Amphetamine hin, die ihre Inbrunst verstärkte und es ihnen erlaubte, sich mit politischer Theorie zu beschäftigen, ohne dabei von ihren körperlichen Bedürfnissen abgelenkt zu werden. Sie belebten die Drogen-Ethik von Punk wieder, indem sie Speed (weil es Ego, IQ und Willenskraft stärkt) favorisierten und andere Drogen wie Marihuana, LSD und Ecstasy, die innere Einkehr, Reflexion oder Empathie fördern, ablehnten. Ihr Trip war der auf Selbstverehrung/Selbsthass basierende Fix