hin, als ihre »undercurrents« (dt.: Unterströmungen) ihn in sein Verderben ziehen und er einen entsetzlichen Liebesschrei ausstößt: »Wanna drown!!«
Die Metapher von »Submission« könnte eventuell – bewusst oder unbewusst – geklaut worden sein, nämlich von John Cales »Momamma Scuba« vom Album Fear (1974). Aber Rotten hat sich das Szenario spürbar zu eigen gemacht, weil er es offensichtlich in den Tiefen seines Herzens nachempfinden konnte. Auch nach dem Ende der Pistols tauchte das Thema wieder in seinem Werk auf, am deutlichsten im Public-Image-Ltd.-Song »Track 8« (von Flowers of Romance, 1981), der eine nicht zufriedenstellende sexuelle Erfahrung in einer bildreichen Sprache mit ausbrechendem Fett und gähnendem Tunnel umschreibt.
PRETTY GIRLS MAKE GRAVES
»Im Höhepunkt der erotischen Hingabe, wenn die aktive, pulsierende Erektion des Mannes in Umarmung mit den passiveren Zuckungen innerhalb des Beckens der Frau abschwillt, sehnt sich der Mann danach, sich seinem passiven Kinderwunsch hinzugeben. Ein Mann jedoch, der diese Gefühle und Wünsche fürchtet, wird [seinen Penis] schnell wieder herausziehen. […] Für so einen Mann bedeutet die Erektion das Leben, Ejakulation und Abschwellung den Tod.«
Louise Kaplan, Female Perversions
Etwas Ähnliches wie das, was Louise Kaplan hier beschreibt, findet in »Ann« statt, einem der besten und verstörendsten Songs der Stooges und der Prototyp von »Submission«. Iggy fühlt sich, als würde er im »swimming pool« der geweiteten Pupillen seines Mädchens treiben. Es ist ein angenehmer Tagtraum und doch fühlt er sich schwach und bedrückt: Das Mädchen hat seinen Willen gebrochen. Es gibt eine ähnliche Szene in Sartres Geschlossene Gesellschaft, als Garcia Estelles Verführungsversuche von sich weist: »Ich werde mich nicht in deinen Augen verlieren. Du bist weich und glibberig. Igitt! Wie ein Tintenfisch […], wie ein Sumpf.« »Ann« ist eine Ballade, die Iggy wie ein bekiffter Sinatra in betörendem Gitarrendunst singt. Plötzlich steht er vor dem gleichen Dilemma wie ein Freikorps-Soldat vor einer drohenden Menschenmenge, von Theweleit umschrieben als »verschwinden oder töten«. Iggys Geschmachte wird plötzlich zu wildem Knurren und sein schummriges »I love you« verwandelt sich von amouröser Passivität in ein aktives Verb, wenn er den Kampfschrei »RIGHT NOW« hinzufügt. Plötzlich fängt der Song Feuer und die weiche, klare Gitarre erstarrt in einem Riff, das vor Bedrohung Funken versprüht. Die Idylle der Liebe wird zertrümmert, als phallisches Verlangen sein hässliches Haupt erhebt.
Songs, die vor dem »Abgrund« der weiblichen Sexualität zurückschrecken, gibt es im Rock zuhauf. Von John’s Childrens »Smashed Blocked« bis zu »You’re Too Much« von The Eyes: Der Freakbeat der 1960er war ein aufgedrehter Mix aus dringlicher Lust und der Furcht, sexuell verschlungen zu werden. In »You’re Too Much« kommt der männliche Protagonist mit einem Mädchen nicht klar, das ihm zu schnell und inbrünstig ist. Sie gehört einer jüngeren, wilderen Generation an als er und so ist er »starved of my relaxation« – eine seltsame Wendung, wenn man bedenkt, dass ein anderer Eyes-Song, »My Degeneration«, das für die 1960er typischere Szenario bemüht, in dem ein Junge auf ein Mädchen herabblickt, weil sie zu prüde, frigide und uncool ist, um befriedigt zu werden. Als die Gitarren gegen Ende von »You’re Too Much« in Flammen aufgehen, wird die Stimme des Sängers von einer Flut an Sounds überschwemmt: eine wunderschöne wie schreckliche sexuelle Apokalypse, die die Ohren überwältigt.
Anderthalb Dekaden später legten The Smiths mit »Pretty Girls Make Graves« (von The Smiths, 1984) ein ähnlich aufrichtiges Bekenntnis männlicher Schwäche angesichts weiblicher Unersättlichkeit ab. Morrissey mag den Ausdruck »Pretty girls make graves« von Jack Kerouac geborgt haben (es war eine seiner liebsten Redensarten), aber in dem Song geht es weniger um die Furcht davor, sich niederzulassen, als vielmehr um die schreckliche Angst, von den »girls« sexuell verschlungen zu werden. Morrissey will eine platonische, intellektuell wie spirituell anspruchsvolle Beziehung, das Mädchen seinen Körper. In dieser geistreichen Umkehrung des Mackertums der Rockrebellen ist es Morrissey, der das welkende Mauerblümchen spielt, während die Frau den ungeduldigen, sexuell frühreifen Grobian gibt. Sie verlässt einen verbitterten Morrissey für den ersten dämlichen, aber potenten Typen, der ihr über den Weg läuft. Vielleicht ist das »Grab« der hübschen Mädchen nicht einfach nur eine Grabstätte für die zerschmetterten romantischen Illusionen des Mannes, sondern vielmehr der Tod von »Ejakulation und Abschwellung«, der laut Louise Kaplan zur sexuellen Furcht des Mannes führt?
BODIES
Eine der extremsten Konfrontationen mit »maternalem Horror«, die sich im Rock ’n’ Roll finden lässt, liefern die Sex Pistols mit »Bodies« ab (von Never Mind the Bollocks, 1977), einem ihrer bedrohlichsten und uneindeutigsten Songs. Damals scheiterte die britische Musikpresse daran, das Anti-Abtreibungs-Statement, das der Song zu machen schien, mit ihrer Vorstellung der politischen Ausrichtung von Punk in Einklang zu bringen. Die Wut und der Ekel der Nummer positionieren »Bodies« am Abgrund der menschlichen Existenz, gleich neben »Belsen Was a Gas«. Wie auch dieser Song ist »Bodies« ein Rock-’n’-Roll-Song, der in ein schwarzes Loch übergeht – ein schwarzes Loch, das irgendwie lebendig geworden ist und nun in die Offensive gegangen ist. Rotten knurrt den katholischen Blues: Er lehnt sich gegen die Brutalität menschlicher Existenz und den Horror von Fleisch und Blut auf.
»Bodies« könnte kaum grausamer sein und Rotten gurgelt seinen Inhalt geradezu vor sich hin. Rottens Persona teilt sich zwischen dem Vater, der seine Verantwortung scheut, und dem Fötus, der schreit »Mummy, I’m not an animal«. Das Mädchen, Pauline, ist kaum besser als ein Tier. Dass sie in einer Fabrik heiratet, scheint die mechanische Natur der weiblichen Biologie zu betonen – wie ein Automat spuckt sie Leben aus. Der Fötus wird in einer Toilette abgetrieben, was uns daran erinnert, dass wir den Fäkal- und Harntrakt betreten haben. In »Bodies« wird der Mann von der weiblichen Biologie versklavt.
Später entwickelten die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle diese Verbindung zwischen den entmenschlichenden, maschinischen Qualitäten von Abjektion und der totalitären Natur industriellen Lebens weiter. Throbbing Gristle ging es darum, »allen Annahmen zu trotzen« und die Grenzen der Toleranz ihres Publikums zu testen. Ihre Musik spiegelte eine Welt unaufhörlicher Hässlichkeit, Entmenschlichung und Brutalisierung. Sie entwürdigten und verstümmelten Sounds und erreichten dabei Tiefen, die bis heute nicht unterboten worden sind. Throbbing Gristle definierten die Bandbreite der Obsessionen des Industrial-Genres: Serienmörder, Verschwörungstheorien, unbewusste Gedankenkontrolle etc. Mehr noch formten sie die Attitüde von Industrial: das Verlangen, den Körper der alltäglichen Realität aufzubrechen und seine verschmutzten Eingeweide offenzulegen. Ihr bevorzugtes Opfer für diese Vivisektionen war die Frau. »Slugbait« erzählt die geschmacklose Geschichte eines »wicked boy«, der einer Frau im siebten Monat ihrer Schwangerschaft den Fötus aus dem Leib zieht und dessen Kopf abbeißt (eine spätere Version dieses Songs sampelte die Audioaufnahme des Geständnisses eines Frauenmörders). »Hamburger Lady« beschreibt ein echtes Opfer schwerer Verbrennungen mit der Detailfreude eines gerichtsmedizinischen Berichts. Es gibt sogar einen Song mit dem Titel »We Hate You (Little Girls)«. Der Name Throbbing Gristle2 kombiniert phallische Anzüglichkeiten mit einem Gefühl des Abjekten in der Natur des Fleisches, eine Erinnerung daran, dass lebendig zu sein bedeutet, unfreiwilligen Prozessen (Exkretion, Fortpflanzung, Verfall, Tod) sowie der immer präsenten Gefahr von Gewalt ausgesetzt zu sein.
Throbbing Gristle sind aus der radikalen Kunstgruppe COUM Transmissions hervorgegangen. Bereits deren Tabubrüche speisten sich aus der Betonung der Widerlichkeit des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität. Ihre Tour de Force war eine Ausstellung am London Institute of Contemporary Arts im Jahr 1976 mit dem Titel »Pornography«. Pornohefte wurden eingerahmt und datiert wie richtige Kunstwerke. Auf jedem war COUM-Mitglied Cosey Fanny Tutte zu sehen, deren Kunstbegriff die Arbeit als Pornomodell miteinschloss. Ausstellungsstücke anderer Installationen waren etwa ein Abguss der Venus De Milo mit einem benutzten Tampon auf jedem Arm, eine Uhr im Art-déco-Stil, deren Inneres entfernt und durch die benutzten Tampons eines kompletten Monats ersetzt worden war,