Simon Reynolds

Sex Revolts


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so sehr von Menstruation besessen, dass sie weibliche Fortpflanzung zweifellos als »die unschöne Wahrheit« betrachteten, einen Abgrund, in den die hochmütigen Ambitionen der Hochkultur abstürzen. Aus weiblicher Abjektion wird eine Waffe männlicher Empörung, und das mit Erfolg: Die »Pornography«-Ausstellung führte zu fassungslosen Schlagzeilen in der Presse und wurde sogar im Parlament debattiert.

       WOMAN-PIE

      Birthday Party trieben den sexuellen Horror des Punk in eine andere Richtung: rücklings entlang von The Stooges, The Doors, Rockabilly und Blues, um ihn schließlich wieder mit den fieberhaften Visionen spätromantischer Dichter wie Rimbaud, Baudelaire und Lautréamont zu vereinen. Nirgendwo im Rock blüht das Abjekte so abscheulich ausschweifend auf wie in Nick Caves Texten für Birthday Party (und später als Solokünstler). Auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum (1980) und dessen Fortsetzung Prayers on Fire (1981) spielt die Band Musik voller Beunruhigung, Schwindel und Unbehagen. In »King Ink« fühlt sich Caves Alter Ego, der klassische arrogante Antiheld der Rebellen-Folklore, als wäre er »a bug swimming in a soup-bowl«. In seinen Songs erfährt Cave Melancholie als Ertrinken und Ennui als Zähflüssigkeit. Auf Prayers on Fire ist das Auge verbittert, die Nase entsetzt, und die Texte verkörpern mit ihrer verkommenen Bildsprache ein Gefühl des Unwohlseins, das von stürmisch-schwermütigem Jazz-Punk begleitet wird.

      Auf ihrem nächsten Album Junkyard (1982) und den darauffolgenden EPs tritt Abjektion noch eitriger und gefräßiger in Erscheinung. »She’s Hit« ist ein Blues-Klagelied über die Verletzlichkeit von Frauen, das deren Neigung beklagt, zu »woman-pie« zu werden, wenn ein Mann an sie Hand anlegt. In »Deep in the Woods« (von der EP The Bad Seed, 1983) ritzen Würmer Muster in den Körper der dahingeschiedenen Liebsten und der weibliche Hang zum Sterben führt zu dem Schluss, dass sich nur Schwachköpfe verlieben. Oft vereinigt Caves Bildsprache Zersetzung und Perfektion. »Mutiny in Heaven« (von der EP Mutiny!, 1983) wagt einen Blick in einen verlausten, verseuchten, zugemüllten Himmel, was an Lautréamonts Die Gesänge des Maldoror von 1868 erinnert. Darin wird ein heruntergekommenes Königreich von einer korrupten, senilen Gottheit regiert, die auf einem Thron aus Exkrementen sitzt und Menschen in Blut kocht, um ihren perversen Appetit auf Fleisch zu stillen.

      The Cramps lieferten die Cartoon-Version der Sex & Horror-Masche von The Birthday Party. Als Rockabilly-Fundamentalisten widmeten sie sich der Wiederauferstehung des »wahrhaftigen Geistes« des primitiven Rock ’n’ Roll: die unkontrollierbaren Triebe und die aufgestaute Libido des 1950er-Rebellen. Im frommen Süden galt Sex als schmutzige Sünde und die Cramps gaben der Vorstellung von Rock ’n’ Roll als Teufelsmusik einen B-Movie-Twist. Mit Songs wie »What’s Inside a Girl«, »Smell of Female«, »Her Love Rubbed Off« etc. erklärten sie sich zu wiedergeborenen Sumpfwesen mit einer Vorliebe dafür, sich im »Goo Goo Muck« weiblicher Ausscheidungen zu wühlen. Sogar ihr Name zeigt, wie sehr sie von weiblicher Biologie fasziniert sind: »cramps« ist ein amerikanischer Slang-Ausdruck für Menstruationsschmerzen.

      Insbesondere Scratch Acid schienen von allem besessen zu sein, was nicht nur das geistige Wohl, sondern auch die Zusammensetzung der menschlichen Form bedrohte. Auf Alben wie ihrem Debüt und Just Keep Eating (beide 1986) herrscht eine Bildsprache voller Verwesung und Verfall, die Musik scheint nach Tod zu stinken. »Holes« ist der Blues eines Mannes, dem aufgefallen ist, dass sein Leben nur ein kurzes Zwischenspiel ist, in dem er aus dem einen Loch (der Vagina) gezogen und in ein anderes (sein Grab) geworfen wird. In »Spit a Kiss« geht es um die Vorstellung, »a breeding ground for flies« zu werden, eine Brutstätte für Fliegen. Für diese Bands scheint es eine Verbindung zu geben zwischen der Furcht vor Verwesung und Verfall und dem Impuls, Frauen zu töten. Wegen ihrer Nähe zum Prozess der Geburt scheinen Frauen eine bedrohliche Macht zu haben, die nur entschärft werden kann, indem sie zerstückelt werden. Die Gefahr ist dadurch für den Augenblick gebannt und die Macht und Vollständigkeit des Mannes wiederhergestellt.

      Carcass, eine Band, die die carnographischen Tendenzen des Grindcore bewusst noch über die Grenzen der Selbstparodie hinaustrug, erreichten mit Songtiteln wie »Excoriating Abdominal Emanation« und »Crepitating Bowel Erosion« die schwindelerregende Grenze. Auf dem Cover ihrer LP Reek of Putrefaction ist eine Montage vivisezierter menschlicher Überreste zu sehen, während Symphonies of Sickness ein menschlicher Kopf ziert, dem die Haut abgezogen wurde. Ihre Musik war ähnlich chirurgisch veranlagt, ein Staccato-Feuer schneidender Klingen und löchernder Spitzen. Die Faszination des Grindcore für das Abscheuliche zeugt genauso sehr von der Bedrohung wie der nahezu erotischen Anziehungskraft des Abjekten. Skin Chamber zum Beispiel beschreiben Entmannung als »a blessing«, einen Segen: verstümmelt zu werden, bedeutet zu einer einheitlichen Pampe gleich der des Mutterleibs zurückzukehren.

       DAM THAT RIVER

      Ein elementarer Teil von Erziehung bestand immer darin, Kindern beizubringen, ihre Körperflüssigkeiten zu kontrollieren und das Innere des Körpers als Behälter bösartiger Schmutzigkeiten zu begreifen. In Männerphantasien legt Klaus Theweleit nahe, dass die Mühen, einen »heilen und sauberen Körper« aufrechtzuerhalten, für die Männer des Freikorps, die eine strenge Erziehung genossen hatten, eng mit dem Kampf für das Deutsche Reich verbunden war. In den Schriften der Soldaten findet sich die Idee, dass die (kommunistische) Arbeiterklasse Deutschland in eine Jauchegrube ziehen würde, in den verschiedensten Variationen wieder (wahlweise zogen sie Deutschland auch in den Schlamm, Morast, Abgrund, Latrine usw.). Für diese Protofaschisten waren die Massen buchstäblich revolting3. Und so wurde der Quasi-Bürgerkrieg, der auf den Ersten Weltkrieg folgte, an zwei Fronten ausgetragen: an einer großpolitischen – im Namen des (Volks-)Körpers – und an einer mikropolitischen – der des individuellen Körpers. Das Ziel: Die bedrohliche Flut ekelhafter Emotionen einzudämmen.

      Natürlich ist Erziehung von Kindern seit dem Ersten Weltkrieg deutlich lockerer geworden. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie sehr Rock ’n’ Roll vom Ekel vor Körperflüssigkeiten geprägt ist. Es gibt sogar ein paar Rocksongs über brechende Dämme – eine der liebsten Metaphern der Protofaschisten, wenn es darum geht, ihre Ängste zu verbildlichen. Der berühmteste davon ist »When the Levee Breaks« von Led Zeppelin, einer Band, deren hyper-phallischer Bombast und Wikinger-/Tolkien-eske Besessenheit von Kriegern schon damals von vielen Kritikern als protofaschistisch attackiert wurden. Bei dem Song handelt es sich um einen alten Blues-Klassiker, den Plant und Co. zu einem so feurigen Boogie aufbliesen, dass er das Ende der Welt begleiten könnte. Warum sich Plant und Band so sehr mit dem Szenario des Dammbruchs identifizierten (das für die schwarzen Bauern, denen der Song ursprünglich galt, eine echte Bedrohung