Simon Reynolds

Sex Revolts


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Manifests benutzten, wenn sie verfügten und verurteilten. Das Manifest ist das vorherrschende Genre des phallokratischen Diskurses: Es ist prägnant und kategorisch, die Antithese zur Poesie und zu einer Sprache, die versucht, die Wirkung von Musik nachzuahmen. Ihre Songtexte waren demnach antimusikalisch, eine Montage von Slogans. Frauen haben nur selten strenge Manifeste veröffentlicht (mit Ausnahme von Valerie Solanas und ihrer Society for Cutting Up Men), polarisierte Stellungnahmen oder kategorische Aussagen traditionell eher vermieden und die Kanzel oder Tribüne den männlichen Predigern überlassen.

      Auf dem Album befand sich mit »Stay Beautiful« eine Hommage an die Jugend als den höchsten Zustand des Seins, mit ihrer (männlichen) Kameradschaft, ihrem Sinn für unbegrenzte Möglichkeiten und totale Verschwendung. Für die Manics hieß schön zu bleiben, jung zu sterben oder zumindest die Rockkarriere aufzugeben, bevor Senilität und Schande einsetzen. In Der Heros in tausend Gestalten hatte Joseph Campbell verkündet: »Der Held von gestern wird der Tyrann von morgen, es sei denn, er kreuzigt sich noch heute.« Die Manics planten ihr Märtyrertum im Voraus. Sie spielten die Bandgeschichte der Sex Pistols nach, einschließlich Johnny Rottens heldenhaftem Manöver, die Band zu zerstören, bevor diese zu einer grotesken, Geld abwerfenden Karikatur ihrer selbst wurde. Der Masterplan der Manics sah eine Kamikaze-Mission vor, im Zuge derer sie zur größten Rockband der Welt werden würden, nur um sich nach einem extrem erfolgreichen Album selbst zu zerstören. Sie wollten zum Mythos werden, verewigt als ultimative Geste der Zurückweisung. Doch zwangsläufig brachen sie ihren Selbstmordpakt und mühten sich mit mittelmäßigem Erfolg auf der altbekannten Route ab, auf deren Weg zahlreiche Gigs und Singles in zahlreichen Editionen lagen. Wie Berufssoldaten meldeten sie sich für ihren nächsten Einsatz.

       REBEL WITHOUT A PAUSE

      Public Enemy waren Pioniere des »Conscious« oder »Righteous Rap«. Sie eigneten sich die präpolitische Wut des Gangsta Rap an und gaben ihr eine politische Ausdrucksform, so wie die Black Panthers versucht hatten, die Kriminalität junger afroamerikanischer Viertel für die Mobilisierung zu nutzen. Mehr noch als The Clash wollten Public Enemy die männlichen Jugendgangs zu einer Armee vereinen. Schwarze Gangs sind wie militärische Truppen aufgebaut; Righteous Rap versuchte, diesen absurden, aber tödlichen Gang-Patriotismus (Crips, Bloods etc.) in schwarzen Nationalismus umzuwandeln. Warum sich gegenseitig bekriegen, wenn man sich gegen den wahren Feind vereinigen kann?

      Wo Gangsta Rap als tyrannisches »Ich« spricht, greift Righteous Rap zum totalitären »Wir«. Public Enemy versuchten, ein kollektives Bewusstsein/Gewissen zu verkörpern – eines, das weiter blicken würde als die kurzsichtige, schnell schießende Gangsta-Vision. Ihr Frontmann Chuck D rappte im Tonfall eines Predigers von der Befreiung der schwarzen Community. Die sexuelle Gier des Gangsta Rap wurde von der Lust auf Rechtschaffenheit ersetzt, aus seiner Misogynie wurde Militanz. Da sich Public Enemy als paramilitärische Kämpfer verstanden, die sich im Krieg mit der weißen rassistischen Gesellschaft befanden, hatten sie wenig Zeit für Frauen. Gangsta Rap würdigt Frauen als hinterhältige bitches und Mannsweiber herab, Righteous Rap marginalisiert sie aufgrund ihrer vermeintlichen Tatenlosigkeit. Nachdem Public Enemy wegen der chauvinistischen Aspekte ihrer Weltanschauung in die Kritik geraten waren, versuchte Chuck D in seinem Programm einen Platz für Frauen zu finden. Auf Fear of a Black Planet (1990) weist der Track »Revolutionary Generation« ihnen eine Rolle im Kampf zu: die Geburt und Erziehung guter Soldaten. Außerdem heuerten sie mit Sister Souljah eine weibliche Hilfskraft an – für öffentliche Auftritte und um die merkwürdige Losung auf Platte zu deklamieren.

      Das alles ändert nichts daran, wie gerechtfertigt der Wunsch von Public Enemy war, sich als junge Afroamerikaner unter dem Slogan »Fight the Power« zu organisieren, zu lehren und zu agitieren. Viel mehr als bei The Clash reagierten ihre quasimilitärische Rhetorik und Bildsprache auf tatsächliche Unterdrückung. Und doch stellt sich die Frage, ob ein Teil des Reizes von Combat Rock und Righteous Rap nicht darin liegt, wie sie den Kameradschaftsgeist der Jugendgang für einen höheren Zweck vereinnahmen und ihr die Erhabenheit eines politischen Zwecks verleihen. Im Fall von The Clash, Manic Street Preachers und Public Enemy bietet der »gerechte Krieg« eine Gelegenheit, der Anwesenheit von Frauen nicht nur zu entfliehen, sondern sie »aus gutem Grund« thematisch auszusparen und ihre Präsenz in der Welt zu ignorieren.

       HOLY WAR

      Ein wesentliches Element der menschlichen Existenz liegt in ihrem Verlustgefühl. Die Entwicklung von Sprache und Ich beendet die präödipale Phase der frühen Kindheit, in der das Kind sich keines Unterschiedes zwischen sich und seiner Mutter bewusst ist. Für den Säugling bedeutet diese selige Symbiose das Universum: Sie ist allumfassend, liebevoll, frei von Entfremdung. In einer Art, die wir kaum nachvollziehen können, fühlt sich ein Säugling wie Gott, unverwundbar und vollkommen sicher. Das Verlangen, zu diesem Zustand der Vollkommenheit zurückzukehren – was Jacques Lacan provokativ den »Phallus« nennt –, zieht sich durch einen großen Teil menschlicher Aktivität, von Mystizismus über Drogenabhängigkeit bis zu ideologischem Glauben.

      Die verlorengegangene phallische Kraft lässt sich im Vater oder in der Mutter wiederfinden. Die Combat-Rocker finden es in Ersterem, mit patriarchalen Werten: Die Utopie liegt irgendwo in der Zukunft als ein Ziel, für das es zu kämpfen gilt, dem man entgegenmarschiert. Eine andere Variante des Rock – die mystische, psychedelische Tradition, mit der sich der zweite Teil dieses Buches auseinandersetzt – wird mit Frauen in Verbindung gebracht: Die Utopie liegt irgendwo in der Vergangenheit (ein verlorengegangenes goldenes Zeitalter, Kindheit, das vorsprachliche Reich der Träume, das Unterbewusstsein).

      Der Ikarus-Komplex taucht im Rock ständig auf – wenn man weiß, wo man nach ihm suchen muss. Auf Songs wie »Eight Miles High« und Alben wie Younger Than Yesterday (1967) kombinierten The Byrds in den 1960ern Folk mit indischen Ragas, um einen himmelstrahlenden Sound zu erschaffen. Pink Floyds Cosmic Rock (»Astronomy Domine«, »Set the Controls for the Heart of the Sun«) ließ die Bodenhaftung des Blues hinter sich und griff nach den Sternen. Mitte der 1980er verschwanden Hüsker Dü in einem blendenden Blizzard lärmender Verzerrung, während R.E.M. Byrd’schen Folkrock mit vagen Bildern einer Wiedergeburt des amerikanischen Geistes kreuzten.

      U2 sind allerdings in dem Sinne einzigartig, dass sie diesen Gitarren-Transzendentalismus um einen explizit moralischen Aspekt erweitert haben. Um mit Bly zu sprechen: U2 versuchten, eine Welt zu erlösen, die wegen der Versäumnisse ihrer politischen Väter vor die Hunde gegangen war. Wie der Combat-Rock liefert der Kreuzritter-Impuls eine Fluchtmöglichkeit vor der banalen Ruhe der Häuslichkeit. Und wie The Clash sprachen U2 die Jungs an; auf andere, aber ähnliche Weise waren sie so sehr wie The Clash und die Manic Street Preachers auf den adoleszenten Jungen als Zenit des Lebens fixiert, denn er ist rein, idealistisch und bereit, sich selbst zu opfern.

      Obwohl ihre Gründung von Punk inspiriert war, waren U2 musikalisch nicht vom Kreissägenlärm englischer Bands beeinflusst, sondern von Television, der am wenigsten punkigen,