schon, Jethro!« schrie jetzt auch Kirk Gallagher in unverkennbarem Triumph.
In der nächsten Sekunde war es dann auch geschehen.
Der dünne, peitschende Knall des Gewehres unterschied sich deutlich von dem Krachen der Colts. Jethro schien sich im Sattel vorzubeugen. Aber da knallten mehrere Schüsse zur gleichen Zeit. Mit der schrecklichen Deutlichkeit eines Alptraumes sah John Gallagher das Gesicht des Schwarzen, das sich plötzlich zu entspannen schien. Ganz langsam sank der hünenhafte Neger nach vorn über den Hals des Pferdes, glitt ab und fiel in den Staub.
Mit einem Krächzen legte Kirk Galagher seinem Rappen die Schenkel an und jagte los. Ihm ging es um die Packpferde mit dem Villegas-Schatz. Doch da peitschten schon wieder die Gewehre. Das vorderste der drei Packpferde brach zusammen, keilte um sich und wälzte sich zur Seite. Im selben Augenblick vollführte auch Kirk Gallaghers Rappe einen Satz. Er bäumte sich auf und warf sich herum, so daß der Reiter ihn nicht mehr zu halten vermochte. Dann galoppierte er auch schon in Richtung Straße davon.
Der Schatz war verloren, jetzt ging es nur noch um das nackte Leben. Das erkannte Clayton Gunn mit einer Klarheit, die ihn zu ersticken drohte. Zuerst waren nur zwei Uniformkappen oben an dem Felsrand aufgetaucht, doch während Jethro stürzte, kam noch eine weitere hinzu, und nun waren es schon fünf. Allem Anschein nach hatte der Offizier der Patrouille doch nicht ganz so töricht gehandelt, wie es zunächst ausgesehen hatte. Offenbar diente die Attacke einzig und allein dem Zweck, seinen anderen Leuten, die von der Rückseite her den Felsrand erkletterten, zu einer Frist zu verhelfen. Nun waren sie in Stellung gegangen, und gegen das Feuer ihrer weitragenden Chassepot-Gewehre gab es kein Mittel. Clayton Gunn biß sich auf die Unterlippe, daß das Blut daraus hervortropfte.
»Weg hier!« schrie er John Gallagher an, der noch immer wie erstarrt im Sattel saß, während sein von einem Lanzenstich zerfetzter Arm schlaff herabhing. »Wollen Sie sich von diesen verdammten Greasern abknallen lassen?«
Ein paar Kugeleinschläge in nächster Nähe bewiesen, wie berechtigt
seine Frage war. Unaufhaltsam stieg ein Schluchzen in John Gallaghers Kehle auf. Aber dann zog auch er
sein Pferd herum und gab ihm die Sporen.
Sie wurden nicht verfolgt, als sie hinter Kirk Gallagher die Mulde durchquerten und in den steinigen, öden Geländefalten des Wüstenplateaus untertauchten. Nachdem der Offizier gefallen war und die Patrouille so starke Verluste erlitten hatte, war wohl auch so bald nicht mehr mit einer Verfolgung zu rechnen. Trotzdem legten die Männer die beiden nächsten Meilen im Galopp zurück und forderten den Pferden das Letzte ab. Dann begann Kirk Gallaghers Rappe plötzlich zu taumeln und fiel in Schritt, ehe er hinkend auf der Vorhand einbrach und mit einem menschlich anmutenden Seufzer ganz zum Stehen kam.
Mit einem Satz war Kirk Gallagher aus dem Sattel und starrte auf das rechte Vorderbein des schweißnassen Tieres. Oberhalb des Kniegelenks zeigte sich in dem schwarzen Fell eine tiefe, blutige Furche. Selbst ohne Belastung druch einen Reiter schaffte das Tier in diesem Zustand keine zehn Meilen mehr. Es war fast ein Wunder, daß es überhaupt so lange durchgehalten hatte.
»Aus!« sagte Kirk Gallagher heiser. »Jetzt ist alles zum Teufel, und wir werden bald in der Hölle sein.«
Auch sein Bruder hatte angehalten. Das Blut tropfte ihm von der Hand auf das Knie und bildete bereits einen großen Fleck auf seiner Hose. Doch in seiner dumpfen Betäubung schien John Gallagher gar nicht zu begreifen, was hier vor sich ging.
Clayton Gunn hatte eine undurchdringliche Miene aufgesetzt, und sein Gesicht glänzte von Schweiß.
»Wir?« krächzte er mit seiner gequetschten Stimme und blinzelte, weil ihm der Schweiß beißend in die Augen drang. »Das muß ein Irrtun sein, Gallagher. Mein Gaul läuft noch, und ich sehe keinen Anlaß...«
Während er sprach, hatte er die Veränderung erkannt, die jäh in Kirk Gallaghers Haltung vor sich ging, und als er die schattenhafte Bewegung des dunkelhaarigen Piraten erkannte, reagierte er mit der Instinktsicherheit eines erfahrenen Wolfes. Obwohl er im Sattel saß, brachte er den Colt noch rechtzeitig aus dem Halfter und schoß. Im selben Augenblick aber krachte auch Kirk Gallaghers Waffe.
»Du verfluchter...« stöhnte Clayton Gunn, dann fiel er schlaff zur Seite und klatschte auf den Boden.
Nur vier oder fünf Schritte von ihm entfernt brach zur gleichen Zeit Kirk Gallagher in die Knie. »John«, flüsterte er mit verzerrten Lippen, als er das fassungslose Gesicht seines Bruders vor sich sah, »jetzt – jetzt bist du nur noch übrig. Und – du hast – sogar noch Glück, du verdammter – Narr.« Mühsam deutete er mit dem Kinn auf den toten Banditen und fuhr abgerissen fort: »Der da ist – ist in den Staaten fünftausend Dollar wert. Bring ihn über – über die Grenze, dann hat wenigstens – einer von – uns...«
Sein Mund blieb plötzlich geöffnet, und sein Blick wurde starr. Dann sank sein Kopf auf die Brust, und er kippte kraftlos zur Seite.
*
Der Name der Stadt Nogales existiert nur einmal, und doch handelt es sich dabei um zwei voneinander völlig unabhängige Städte, beide unmittelbar an der Grenze und nur durch diese Grenze voneinander getrennt. Während die eine zu der mexikanischen Nordprovinz Sonora gehört, liegt die andere auf dem Territorium von Arizona, das erst viele Jahre später als Bundesstaat in die Union aufgenommen wurde. Die Behörden beider Städte hielten zueinander enge Kontakte, insbesondere jene, zu deren Aufgaben die Überwachung der Grenze gehörte.
Am 28. Juli 1887 ging bei der Ranger-Station von Nogales ein Bericht ein, der durch einen Boten vom Kommando der Rurales in der mexikanischen Schwesterstadt überbracht wurde. Diesem Bericht zufolge war wenige Tage zuvor eine Grenzstreife des Rurales auf einen Amerikaner gestoßen, der mit einem Handpferd bei mörderischer Hitze durch die Sonora-Wüste kam. Der Mann war halb verdurstet und befand sich wegen einer schweren Armverwundung im Fieberdelirium. Trotzdem hatte er auf dem Handpferd einen Leichnam transportiert, dessen Zustand darauf schließen ließ, daß er mehrere Tage damit unterwegs gewesen war. Er hatte die Rurales erst bemerkt, als sie unmittelbar vor ihm anhielten, dann aber sofort zur Waffe gegriffen. Daraufhin war er von einem der Rurales mit dem Karabiner in den Kopf geschossen worden. Das Kommando bedauerte den Vorfall, der sich am Camino del Diablo, unmittelbar südlich der Grenze abgespielt hatte. Anhand der Gravierung in seiner silbernen Taschenuhr habe man den Erschossenen als John Gallagher identifizieren können. Die Uhr und ein Betrag von vierzehn Dollar und zwanzig Cent waren dem Bericht beigefügt. Sonst habe der Amerikaner noch drei goldene Hundert-Peso-Stücke in der Tasche gehabt, die jedoch beschlagnahmt werden mußten, weil es sich um plumpe Fälschungen handelte.
»Die Yankees kommen! Holt eure Schießeisen!«
Laut gellte die Stimme des Mannes über die Straße und trieb die Menschen fluchtartig in die Häuser.
Drohend und wie ein Symbol der Gewalt tauchten die Reiter in ihren verwaschenen und vom Kampf zerfetzten blauen Uniformen auf, formierten sich und verhielten auf der Bodenwelle vor der Stadt. Aufgewirbelter Staub zog in Schwaden über Pferde und Reiter hinweg. Gezogene Kavalleriesäbel blitzten im Sonnenschein.
Die Straße war wie leergefegt.
Nun war der unselige Krieg auch nach hier gekommen.
In einem kleinen Haus am Stadtrand stand ein grauhaariger Mann und starrte aus dem staubbeschlagenen Fenster hinaus.
»Sam!« Die Stimme der Frau im halbdunklen Raum war voller Angst. »Geh nicht raus! Das ist nicht dein Krieg, Sam.«
Der Mann am Fenster drehte sich nicht um, als er mit spröder Stimme sagte:
»Es muss sein. Wir haben uns alle miteinander abgesprochen. Ich werde nicht der einzige Mann sein, der das Haus verlässt.«
Im Hintergrund des Zimmers stand Dave Long. Niemals in seinem ganzen Leben sollte er diesen schrecklichen Tag vergessen, niemals die Worte