die nicht von selbst wieder vergehen würde. Hermann Mahnstein schienen die Beschwerden seiner Frau nicht zu kümmern.
Wenn es Auguste besonders schlecht ging, schlief er in der Wohnstube auf dem Sofa, um von den Beschwerden seiner Frau nicht belästigt zu werden. Hedwig und ihre Geschwister waren zum absoluten Gehorsam den Eltern gegenüber erzogen worden, so kam es keinem von ihnen in den Sinn, den Vater zur Rede zu stellen oder gar Kritik an seinem Verhalten zu üben.
Wochen vergingen, in denen der Zustand Augustes täglich schwankte. An manchen Tagen ging sie ganz normal ihrer Arbeit nach, sang dabei sogar, dann wieder konnte sie das Bett nicht verlassen und erbrach selbst dünne Hühnersuppen. Obwohl Auguste wenig aß, bemerkte Hedwig die Rundung der Leibesmitte ihrer Mutter, verschwieg es jedoch den Geschwistern. Sie als Älteste wusste genau, was das zu bedeuten hatte, die Jüngeren würden es nicht verstehen. Als sie und Auguste allein waren, bereitete sie einen Pfefferminztee zu und brachte die Tasse der Mutter ins Schlafzimmer hinauf. Heute war wieder einer ihrer schlechten Tage. Während Auguste an dem Tee nippte, sagte Hedwig ihr auf den Kopf zu:
»Du erwartest ein Kind, Mutter!« Augustes Wangen wurden noch fahler, ihre Unterlippe zitterte und Hedwig befürchtete, sie würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Wann ist es soweit?«
»In etwa drei Monaten«, flüsterte Auguste. »Wie hast du es bemerkt?«
»Ach, Mutter!« Hedwig lachte laut auf. »Ich lebe nicht hinter dem Mond, und die Anzeichen einer Schwangerschaft erkenne ich durchaus.«
Nun errötete Auguste bis über die Ohren. Ihre Töchter hatte sie nie aufgeklärt, in diesem Haus wurde niemals darüber gesprochen, was zwischen Mann und Frau vor sich ging. Als Hedwig noch klein gewesen war, hatte sie den Worten geglaubt, ein Storch habe die Mutter ins Bein gebissen, wenn diese immer dicker geworden war, schließlich für ein paar Tage das Bett gehütet hatte und dann ein neues Geschwisterchen angekommen war.
Störche gab es zuhauf in Ostpreußen, und warum sollten diese schönen, stolzen Vögel nicht die süßen Babys bringen? Hedwig erinnerte sich aber auch, dass die Mutter früher bei jeder Schwangerschaft rosig und gesund ausgesehen hatte, jetzt wirkte sie regelrecht krank.
»Du solltest zum Arzt gehen, Mutter, so schlecht ging es dir früher nie.«
»Was soll ein Arzt mir sagen, was ich nicht selbst weiß?«, antwortete Auguste. »Für ein weiteres Kind bin ich zu alt, nun ist es aber geschehen, und alles liegt in Gottes Hand.«
Hedwig teilte die Sorgen ihrer Mutter. Vor drei Wochen war Auguste vierundvierzig geworden. Auch wenn sie elf Kindern das Leben geschenkt hatte, stellte eine Geburt in diesem Alter ein Risiko dar.
»Du musst dich schonen, Mutter«, sagte Hedwig. »Ich werde dafür sorgen, dass es dir an nichts fehlt, dann wirst du es schaffen.«
Augustes Augen schimmerten feucht, als sie flüsterte: »Ich danke dir, Hedi. Du hast aber schon so viel Arbeit, und jetzt bürde ich dir noch mehr auf.«
»Ich werde Paula anweisen, sich um den Garten zu kümmern, und Karl kann neben der Schule ebenfalls anpacken.«
»Nein«, rief Auguste und stützte sich auf die Unterarme. »Die Kinder dürfen nichts erfahren. Erst, wenn das Baby da ist.«
»Aber warum ...?«
Augustes strenger Blick ließ Hedwig verstummen. Sie ahnte, warum ihre Mutter wollte, dass die jüngeren Geschwister über die Schwangerschaft in Unkenntnis gelassen werden sollten: Sie schämte sich, dass sie in ihrem Alter mit dem Vater immer noch auf eine Weise zusammenkam, aus der ein Kind entstand. Hedwig hätte am liebsten gelächelt, nur mit Mühe blieb sie ernst. Die hohen Moralvorstellungen Augustes mussten unter allen Umständen gewahrt bleiben.
Hedwig versprach ihrer Mutter, den Geschwistern zu sagen, sie litte an einer langwierigen Krankheit, würde aber bald wieder gesund sein. Auch gegenüber ihrem Vater sollte sie die späte Schwangerschaft ihrer Mutter nicht ansprechen, um diesen nicht in Verlegenheit zu bringen.
Im Oktober 1921 wurde Auguste Mahnstein von einem gesunden Jungen entbunden. Die Geburt dauerte zwei Tage und Nächte, und alle schlichen während dieser Zeit auf Zehenspitzen durch das Haus. Die Hebamme und der sicherheitshalber nun doch hinzugezogene Arzt meinten, für eine Frau in diesem Alter verlaufe der Geburtsvorgang ohne Komplikationen, und Entbindungen zögen sich auch bei jungen Frauen häufig über mehrere Tage hin.
Der Junge wurde auf den Namen Siegfried getauft, bald aber nur von allen »Siggi« gerufen. Er war ein entzückendes Kind, mit hellblonden Locken, rosigen Wangen und einer tiefen, kräftigen Stimme.
Die Geburt hatte Auguste aber so angestrengt, dass sie erst Wochen später das Bett wieder verlassen konnte und niemals zu ihrer einstigen Kraft zurückfand. Das durch die Schwangerschaft eingelagerte Wasser in ihrem Körper wollte nicht weichen. Augustes Beine waren ständig geschwollen und jeder Schritt bereitete ihr Schmerzen. Hedwig musste ihre Mutter weiterhin pflegen, hinzu kam der Säugling, der sich zum Schreihals entwickelte und schon früh erkannte, wie er die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Trotzdem liebte Hedwig den kleinen Bruder, und das Nesthäkchen entwickelte sich schnell zum Sonnenschein in der Familie.
Vorsichtig, als handle es sich um die zerbrechlichen Flügel eines Schmetterlings, strich Hedwig über die roséfarbene Seide. Selten hatte sie einen feineren Stoff zwischen den Fingern gehabt. Seufzend reichte sie den Stoff der Frau zurück und sagte:
»Es tut mir sehr leid, aber ich kann keine Neuanfertigungen machen, Frau Girke. Mir fehlen die notwendigen Utensilien, wie zum Beispiel eine Nähmaschine und auch eine Schneiderpuppe.«
Die ältere Frau antwortete betrübt: »Das ist sehr schade, Fräulein Mahnstein, denn Sie sind mir empfohlen worden. Den Stoff hat mir eine Cousine aus Wien zum Geburtstag geschickt. Es ist gar nicht so einfach, in diesen unruhigen Zeiten eine solche Kostbarkeit zu bekommen. Wie ich bereits sagte, dachte ich an eine leichte Bluse, die ich zu besonderen Anlässen tragen kann.«
Frau Girke schlug eine mitgebrachte Zeitschrift auf und legte sie auf den Tisch. »Sehen Sie, ein solches Modell kann ich mir vorstellen, oder denken Sie, die Rüschen am Ausschnitt würden mir nicht stehen, Fräulein Mahnstein?«
»Sie passen hervorragend zu Ihnen, Frau Girke, aber es tut mir wirklich leid, ich kann es nicht machen«, wiederholte Hedwig und bedauerte es sehr, diesen Auftrag nicht annehmen zu können. »Sie sollten sich an die Schneider in der Stadt wenden.«
»Pah, bei denen war ich bereits!« Frau Girke, deren Mann eine Brauerei am Rande der Stadt besaß, winkte verächtlich ab. »Glauben Sie, ich gebe diese feine Seide in die groben Hände eines Mannes, damit sie zerstört wird?«
»Ich bin sicher, es handelt sich um hervorragende Schneider«, nahm Hedwig ihre Kollegen in Schutz. »Sie schneidern auch für Frauen, und ...«
»Nur eine Frau kann mir eine Bluse nach meinen Vorstellungen anfertigen«, beharrte Frau Girke. »Wenn ich jeden Tag zur Anprobe komme, dann benötigen Sie keine Schneiderpuppe, und früher, als es noch keine Nähmaschinen gab, wurden alle Kleider mit Hand genäht. Oder trauen Sie sich das nicht zu, Fräulein Mahnstein?«
Die Frau sprach die Wahrheit. Im ersten Jahr ihrer Lehrzeit hatte Hedwig ausschließlich mit der Hand genäht, da Fräulein Ballnus sich erst später eine Maschine angeschafft hatte. Hedwig hatte diverse Blusen und Hemden angefertigt, was jedoch einen großen Zeitaufwand bedeutete. Obwohl das Vertrauen der Brauergattin ihr schmeichelte, wollte Hedwig mit offenen Karten spielen.
»Ja, ich könnte Ihnen eine Bluse nach Ihren Wünschen nähen, allerdings wären die Kosten viel höher, als wenn es ein Schneider mit einer Maschine macht.«
»Das spielt keine Rolle!« Frau Girkes Augen leuchteten auf. »Können Sie gleich Maß nahmen und mit der Arbeit anfangen?«
»Langsam, langsam!« Hedwig lachte, wurde dann ernst und nannte einen Preis, den sie im Kopf unter Zugrundelegung der benötigten Arbeitsstunden überschlagen hatte. Frau Girke zuckte nicht zusammen, überlegte nur einen Lidschlag lang, dann nickte sie und sagte: »Einverstanden! Hauptsache, Sie sind zu Weihnachten fertig. Das Fest werden wir bei