und desinfizierte.
»Sie haben großes Glück. Die Arterie wurde nur um ein paar Millimeter verfehlt. Es wurden keine Sehnen durchtrennt, sollte also problemlos verheilen. Sie werden diese Woche nicht mehr Klavier spielen können, aber abgesehen von den Schmerzen bedeutet es auch nicht den Weltuntergang.«
»Ich bin erleichtert.«
»Ich gebe Ihnen etwas gegen die Beschwerden – und werde auch ein bisschen nähen müssen.«
»Nein, ist schon in Ordnung. Ich halte auch größere Schmerzen gut aus. Bringen wir lieber den schlimmeren Teil hinter uns.«
Er sah sie lange an. »Sind Sie sicher?«
»Kein Problem. Nähen Sie mich einfach zu, dann ist alles bestens.«
Fünf Minuten später war er fertig und hatte sie mit einem richtigen Mullverband versorgt. Sie hielt ihre Hand hoch und betrachtete den Verband mit zustimmendem Nicken.
»Haben Sie vielen Dank für alles. Es tut mir wirklich sehr leid, Sie um diese Zeit gestört zu haben. Ehrlich.«
»Die Freunde von Chloé sind auch meine Freunde. Außerdem hatten Sie Glück, mich noch anzutreffen, bevor ich ausgehe. Was ich jetzt auch tun werde.« Er sah sie noch einmal an und lächelte. »Kann ich Sie auf einen Cocktail am Strand einladen?«
Nach einigem Geplänkel schaffte sie es, höflich aber bestimmt abzulehnen, unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben – Roberto lehnte es ab, Geld zu nehmen, bestand aber stattdessen darauf, ihr seine Telefonnummer zu geben. Hätte sie momentan nicht um ihr Leben rennen müssen, wäre sie vielleicht sogar geneigt gewesen, mit ihm ein oder zwei Bier zu trinken, heute Abend jedoch ging das absolut nicht. Sie musste sich überlegen, wie sie von der Insel wegkam, solange es noch möglich war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei alles abriegeln würde.
***
Maya hielt ein paar hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt inne und sah sich nach Beobachtern um. Weiter die Straße runter bellte ein Hund – ein Pitbull, von dem sie aus Erfahrung wusste, dass man ihm besser nicht zu nahe kommen sollte. Das laute und aggressive Bellen ließ sie verharren – es klang ungewöhnlich alarmiert.
Die paar Autos im Viertel waren recht heruntergekommen und fielen dem Zahn der Zeit zum Opfer; die Karosserien waren rostig, wegen der salzigen Luft und jahrzehntelanger Vernachlässigung. Sie konnte keine unbekannten Fahrzeuge entdecken. Wenn ihre Verfolger also wussten, wo sie wohnte, beobachteten sie sie wohl nicht von der Straße aus.
Einige Verandalampen sorgten für ein bisschen Licht, denn die Straßenlaternen waren schon vor langer Zeit ausgefallen. Die Versprechungen der Stadtverwaltung, sie zu reparieren, waren genauso leer wie alle anderen Zusicherungen, dass sich etwas ändern würde. Maya bewegte sich vorsichtig in den Schatten. Ihre Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft. Da draußen waren noch der Typ aus der Bar und vielleicht sogar andere unterwegs, obwohl man normalerweise nur eine kleine Handvoll Killer schickte, um ein einziges Ziel zu eliminieren. Außerdem gab es die Chance, dass ihre Gegner sie weiterhin unterschätzten.
Sie kreiste um den Wohnblock, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen. Maya bezahlte ihre Miete immer jeden Monat bar – ohne Mietvertrag. Also konnte man sie hier nur aufspüren, wenn man ihr direkt folgte. Und das hätte sie längst bemerkt. Obwohl sie ein bisschen aus der Übung war, hatte sie immer noch diesen perfekt ausgeprägten sechsten Sinn für Verfolger. Viele der besseren Geheimagenten entwickelten diesen Instinkt mit der Zeit, und sie war die beste von allen.
Sie näherte sich ihrer Wohnung diesmal von der Rückseite des Gebäudes, indem sie über eine Mauer kletterte, welche die Stellplätze der Mülltonnen von denen der Nachbarn trennte. Ihr Appartement im ersten Stock war dunkel und es gab keine Anzeichen dafür, dass jemand hier gewesen war. Keine Beobachter in den Bäumen, keine verdächtig herumlungernden Gestalten.
Eine schwarzweiße Katze lief ihr fauchend vor die Füße. Erschrocken zückte sie die Pistole, bevor sie erkannte, dass es nur ein Tier war. Als das pelzige Wesen davonhuschte, atmete Maya erst einmal tief durch, um ihren Puls wieder zu beruhigen, der in ihren Ohren hämmerte.
Vielleicht war sie nicht nur ein bisschen aus der Übung.
Früher hätte das alles ihren Puls nicht einmal auf über achtzig beschleunigt.
Als sie ein paar leise Schritte weiter ging, bemerkte sie am Rande ihres Sehfeldes eine Bewegung. Beim Parkplatz funkelte etwas. Vielleicht eine Armbanduhr. Sie spähte in die Finsternis und ließ ihren Blick schweifen, konnte aber nicht mehr erkennen.
Egal.
Das reichte.
Da war jemand.
Der erste Schuss kam ohne Vorwarnung. Sie duckte sich hinter eine niedrige Betonziegelmauer und lauschte dem Sperrfeuer der schallgedämpften Pistole in gut dreißig Metern Entfernung.
Die Kugeln prallten wirkungslos gegen den Beton. Die Dunkelheit hatte sie gerettet. Gerade noch. Sie konnte sich endlich kurz ausruhen. Nun stellte sich die Frage: Kämpfen oder weglaufen?
Ihr Instinkt gebot ihr, zu kämpfen, aber sie wusste nichts über ihre Angreifer, wodurch sie klar im Nachteil war.
Sie feuerte siebenmal in die Richtung, in der sie den Schützen wähnte und sprintete dann Haken schlagend zur anderen Seite des Gebäudes. Dort war es dunkel und einigermaßen geschützt, sodass sie sich sicher fühlte. Der Schütze hatte wahrscheinlich die ganze Zeit gewartet, dass sie in ihre Wohnung ging, um sie dort auszuschalten – wenn er sie nicht sogar schon mit Sprengstoff präpariert hatte. Oder es wartete geduldig jemand darin, bis sie den letzten Fehler ihres Lebens machte.
Einen Augenblick später setzte Maya über die Mauer und schlängelte sich über das Grundstück. Sie hörte keine Schüsse mehr, was wohl bedeutete, dass ihre Feinde gerade wertvolle Zeit mit der Diskussion verschwendeten, was als Nächstes zu tun sei – Zeit, die den Unterschied zwischen Flucht und Tod ausmachte.
Sie rannte kraftsparend und ausbalanciert, um ihre Ausdauer gut einzuteilen. Falls nötig, konnte sie eine Stunde lang in diesem Tempo weiterlaufen. Das tat sie jeden Morgen, um fit zu bleiben.
Eine Kugel streifte ihre Schulter und schnitt durch ihren Deltamuskel, der sofort höllisch brannte – abrupt stoppte sie zwischen zwei kleinen Häusern. Als sie nicht mehr so außer Atem war, hörte sie Motorengeräusche näherkommen und das Quietschen abgenutzter Bremsen, gefolgt vom unverwechselbaren Klang zweier schlagender Türen. Ein zweites Auto kam mit quietschenden Reifen angefahren.
Sie sprang über einen Zaun und machte dann abrupt kehrt in die Richtung, aus der sie gekommen war, allerdings drei Häuser weiter weg von dem Ort, wo sie das Auto gehört hatte. Das letzte, was sie erwarten würden – dass sie zurückkam.
Drei Kugeln schlugen in die Wand hinter ihr.
In fünfzig Metern Entfernung sah sie ein Auto funkeln – eine schwarze Limousine mit heruntergelassenen Scheiben. Sie duckte sich und schoss die schallgedämpfte Pistole leer, während sie in Sicherheit kroch. Ein Geschoss pfiff an ihrem Kopf vorbei und sie sprang hinter einen eingemauerten Müllabladeplatz.
Jetzt ist es aber genug mit dieser Scheiße!
Sie ließ ihren Rucksack fallen, öffnete den Reißverschluss und schnappte sich die MP7. Noch eine Kugel fuhr in die Mauer, während sie den Schalldämpfer anschraubte. Dann steckte sie die Reservemagazine in ihre hinteren Hosentaschen, warf die Pistole in den Rucksack und legte ihn wieder an.
Maya rollte sich aus der Deckung der Mauern, zielte und setzte kurze Feuerstöße von je zwei Kugeln in die Limousine. Die panzerbrechende Munition der Maschinenpistole bohrte sich durch die Türen wie durch heiße Butter; die Hupe ertönte, als der Kopf des Fahrers auf das Lenkrad knallte. Die Schüsse aus dem Auto hörten auf.
Ein dunkler Ford Explorer kam quietschend um die Ecke und fuhr geradewegs auf sie zu. Sie konnte sehen, dass sich jemand mit einer Pistole aus dem Beifahrerfenster lehnte, da nutzte sie die größere Reichweite der MP7. Sie stellte die Waffe auf Vollautomatik und leerte