»Ich möchte dich sehen.«
Diese Selbstverständlichkeit in seiner Stimme. Sie war Eva schon bei ihren ersten Treffen aufgefallen. Die letzen vier Wochen war er bei seiner Familie in Buenos Aires gewesen. Wir telefonieren, hatte er gesagt. Eva ging das alles zu schnell. Sie hatte sich Zeit erbeten.
»Wie wäre es in der Mittagspause? Um zwölf im alten Waisenhaus?«
Eva strich mit der Hand über die Fransen des kleinen Wollläufers, der auf der Kommode lag. Einfach nein sagen. Einen Termin vorschieben. Behaupten, sie sei krank.
»Vor halb eins kann ich nicht.«
»Abgemacht. Ich warte auf dich – Eva?«
»Hmm?«
»Ich habe dich vermisst.«
Er war einfach da gewesen, an jenem Abend im November. Saß im Hotel Cortina an der Bar, vor sich ein Glas Bier. Die Jeans und das Hemd, das er trug, waren dunkel. Das einzige, was auffiel, waren die leuchtend gelben Turnschuhe. Eva trank Weißwein, obwohl sie den ganzen Abend noch nichts gegessen hatte.
»Er kommt nicht mehr, oder?«
Er nahm sein Bierglas und kam zu ihr herüber.
»Darf ich?«
»Bitte. Ja, vermutlich habe ich umsonst gewartet.«
Woran hatte er gemerkt, dass sie auf jemanden wartete?
»Wissen Sie, wie die Franzosen sagen, wenn jemand ganz lange wartet?«
Sie schaute überrascht auf. Dann lächelte sie.
»Ich weiß, es heißt faire le poireau, aber ich habe mich immer gefragt, wie sie auf Lauch kommen. Vielleicht, weil man, wenn man lange steht, aussieht wie eine Lauchstange?«
»Es gibt auch faire le pied de grue, das spielt auf den Kranich an, der ewig auf einem Bein steht.«
Eva drehte ihr Weinglas in den Händen und spürte, dass ihr der Kopf wehtat. Sie schloss kurz die Augen.
»Sie sollten etwas essen.«
»Ich glaube, ich gehe nach Hause.«
Vorsichtig stand sie auf. Er hatte sich ebenfalls erhoben.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein, vielen Dank. Gute Nacht.«
Eva bezahlte den Wein und verließ die Bar.
Zwei Wochen später sah sie ihn wieder. Er saß am gleichen Platz. Als sie hereinkam, hob er sein Bierglas und prostete ihr zu.
»Sie waren letzten Freitag nicht da.«
»Nein.«
Eva bestellte wieder Weißwein. Er saß ganz am Ende der Bar. Sie ließ vier Stühle Platz zwischen sich und ihm. Einen Moment schwieg sie, fuhr mit der Hand über das glatte Holz des Tresens.
»Letzte Woche war es Dienstag.«
»Und?«
Sie tat, als hätte sie ihn nicht verstanden.
»Ist er gekommen?«
Eva nickte wortlos.
»Na dann …«
Er bestellte ein zweites Bier. Wartete er auch auf jemanden? Jedenfalls schien er es nicht eilig zu haben. Eva schätzte, dass er ungefähr so alt war wie sie selbst, vielleicht etwas jünger, Ende zwanzig, Anfang dreißig. Wieder trug er ein dunkles Hemd zur schwarzen Hose. Die Turnschuhe waren diesmal hellgrün. Sie schaute auf die Uhr. Frank hätte schon seit einer Viertelstunde da sein sollen. Vielleicht hatte seine Sitzung wieder länger gedauert? Er würde kommen, ganz bestimmt. Freitags war es schwieriger als unter der Woche. Seine Frau wollte, dass er schon am Nachmittag zu Hause war, um mit der Familie das Wochenende zu beginnen. Aber wenn Eva und er es unter der Woche nicht geschafft hatten, sich zu treffen, schob er hin und wieder auch am Freitag Geschäftstermine vor, um mit ihr zusammen zu sein.
Zwanzig Minuten waren vergangen. Eva wurde immer unruhiger. Schließlich stand sie auf und ging mit ihrem Weinglas ans Ende der Bar.
»Warten Sie auch?«
»Nein. Ich bin einfach da. Ich heiße übrigens Ruben.«
Er machte eine einladende Handbewegung.
»Eva.«
Sie setzte sich neben ihn auf einen Hocker. Eine Zeit lang sagte keiner etwas. Eva nippte an ihrem Weinglas. Immer wieder blickte sie verstohlen zur Tür. Ruben trank einen Schluck von seinem Bier. Dann drehte er sich zu ihr.
»Ist er verheiratet?«
Eva spürte, wie sie rot wurde. Es war so offensichtlich. Treffen im Hotel. Warten. Immer wieder der ungewisse Blick zur Tür: Kommt er?
Sie nickte.
»Scheiße.«
Es kam so unvermittelt, dass Eva lachen musste.
»Das kannst du laut sagen.«
Er hatte es auf den Punkt gebracht. Ein Wort nur, aber Eva fühlte sich verstanden.
»Bist du … Sind Sie Künstler?«
Er lachte.
»Lass uns beim Du bleiben. Ich bin Theatermaler an der Oper. Daneben arbeite ich auch als freier Künstler. Und du?«
»Buchhändlerin.«
»Hier in Vaihingen?«
»Im Westen. Buchhandlung Keller in der Augustenstraße.«
Der Barkeeper nahm ihr leeres Glas.
»Darf ich Ihnen noch eines bringen?«
Eva zögerte. Sie schaute auf die Uhr.
Ruben machte eine auffordernde Handbewegung.
»Komm, ich lade dich ein.«
»Danke. Das brauchst du nicht. Ich muss jetzt auch los.«
»Mach ich doch gern.«
Er trank sein Bier aus und wandte sich an den Mann hinter der Bar.
»Rechnen Sie alles zusammen.«
Gemeinsam gingen sie nach draußen.
»Mein Auto steht gleich da drüben.«
Eva zeigte zum Parkplatz. Ruben machte eine Kopfbewegung zur anderen Seite.
»Ich bin mit dem Fahrrad da. Bis Rohr, wo ich wohne, ist’s nicht weit.«
Er holte einen Schlüsselbund aus der Tasche, machte aber keine Anstalten zu gehen.
»Vielleicht treffen wir uns hier mal wieder.«
Sie antwortete nicht.
»Im Übrigen hat Vaihingen auch noch ein paar nette Kneipen. Warst du mal im Krokodil?«
Eva lächelte.
»Lustiger Name. Nein, das kenne ich nicht.«
»Da musst du unbedingt hin. Hast du nächsten Freitag schon was vor?«
Eva schluckte. Suchte nach etwas, das sie sagen konnte.
»Guck nicht so verschreckt. Ich hab nicht vergessen, dass du auf ihn wartest. Und ich wünsche dir, dass er nächsten Freitag kommt. Wenn nicht, können wir ja immer noch ins Krokodil gehen. Also tschüss, mach's gut!«
Er schwenkte seinen Schlüsselbund, deutete ein Winken an und verschwand in Richtung Vaihinger Bahnhof.
Am Freitag saß Eva allein unten im Wohnzimmer. Im Fernsehen lief eine Quizshow. Sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Lustlos stocherte Eva in einem Teller mit Spaghetti, die sie in der Küche in einem Topf gefunden und aufgewärmt hatte. Ihr Vater war nicht da. Irgendeine Sitzung mit Gewerkschaftskollegen. Frank hatte sie am Mittwoch kurz getroffen. Er war übers Wochenende auf einer Familienfeier.
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