Unsere Weltsicht wird von zahlreichen Faktoren geformt. Bei der Entscheidung darüber, zu welcher Seite des Grabens man sich hingezogen fühlt, fällt einer jedoch stärker ins Gewicht als alle anderen: die Wahrnehmung, wie gefährlich die Welt ist. Angst ist unser vielleicht ursprünglichster Instinkt, also ist es nur logisch, dass das Angstlevel von Menschen ihre Lebensaussichten prägt.[33]
Verschiedene Studien kategorisieren Menschen auf verschiedene Weise, aber der gemeinsame Nenner ist der, dass Offenheit für Erfahrungen – und der Grundoptimismus, aus dem sich diese speist – mit Liberalismus assoziiert wird, während Gewissenhaftigkeit, eine Präferenz für Ordnung und Tradition, die Skeptizismus gegenüber disruptivem Wandel hervorbringt, mit Konservatismus in Verbindung steht. Menschen mit hohen Offenheitswerten genießen es mit größerer Wahrscheinlichkeit, unbekannte Speisen zu probieren, an unbekannte Orte zu reisen, in bunten Städten zu leben und einen zugemüllten Schreibtisch zu haben. Sie reagieren weniger sensibel auf bedrohliche Fotos und widerliche Bilder, selbst dann, wenn man subrationale Indikatoren wie Blickbewegungen und die chemische Zusammensetzung des Speichels misst. In Predisposed: Liberals, Conservatives, and the Biology of Political Differences schreiben John R. Hibbing, Kevin B. Smith und John R. Alford:
Zahlreiche Studien haben diese Persönlichkeitsdimensionen mit Unterschieden in der Mischung aus Geschmäckern und Präferenzen in Verbindung gebracht, die offenbar verlässlich Liberale und Konservative zu trennen scheinen. So neigen etwa Menschen mit hohen Offenheitswerten dazu, grenzwertige Musik und abstrakte Kunst zu mögen. Menschen mit hohen Gewissenhaftigkeitswerten sind mit größerer Wahrscheinlichkeit organisiert, treu und loyal. Eine Auswertung des riesigen Korpus entsprechender Forschungsliteratur ergab, dass Differenzen solcher Art in knapp 70 Jahren Studien zu Persönlichkeitsforschung durchgängig auftreten. Die Pointe liegt natürlich darin, dass dieselbe Literatur auch von einem durchgängigen Zusammenhang zwischen diesen Persönlichkeitsdimensionen und politischen Einstellungen berichtet. Menschen, die offen für neue Erfahrungen sind, hängen sich nicht nur Drucke von Jackson Pollock in ihre unaufgeräumten Schlafzimmer, während sie sich Technopop-Interpretationen von Bach durch experimentelle Jazzbands anhören. Sie bezeichnen sich auch mit höherer Wahrscheinlichkeit als liberal.[34]
Genau aus diesem Grund zeichnen die Standorte von Whole Foods und Cracker Barrel tiefe Gräben zwischen Parteianhängern nach. Das Angebot des Lebensmittelhändlers Whole Foods richtet sich an Kunden, die einen hohen Offenheitswert haben. Die Regale sind vollgepackt mit Ethnofood, ungewöhnlichen Produkten und Zeitschriften, die für östliche Spiritualität werben. Die Zielgruppe von Cracker Barrel dagegen bilden Kunden, die es gern traditionell mögen: Die Restaurants der Kette bieten trostspendende Lieblingsspeisen der Südstaatenküche an, die zwar köstlich sind, doch nicht überraschen. Bei beiden handelt es sich um riesige Unternehmen mit fachkundigen Teams, die neue Standorte zur Einrichtung weiterer Filialen sorgfältig auswählen. Ihre Entscheidungen zeichnen nicht deshalb eine Landkarte unserer politischen Einstellungen nach, weil sie versuchen, eine bestimmte Seite des politischen Grabens zu bedienen, sondern weil unsere politischen Einstellungen eine Karte unserer tieferen Präferenzen zeichnen und weil diese tieferen Präferenzen die Motivation für sehr viel mehr sind als nur unsere politischen Einstellungen.
Wir glauben immer gerne, wir würden unsere politischen Einstellungen ausbilden, indem wir ganz langsam und methodisch eine Weltsicht aufbauen, diese Weltsicht nutzen, um Schlussfolgerungen im Hinblick auf ideale Steuerbelastung, ideale Gesundheitspolitik oder ideale Außenpolitik abzuleiten, und uns anschließend für die Partei entscheiden, die dazu am besten passt. Politikpsychologen sehen das aber ganz anders. Sie argumentieren, dass unsere politische Einstellung beinahe ebenso stark aus unserer psychologischen Verfasstheit resultiert wie unser Interesse fürs Reisen oder scharfes Essen oder das Bedürfnis, in großen Menschenmengen zu sein. »Bestimmte Ideen sind für einige Menschen attraktiv, während sie andere abstoßen, und dies bedeutet im Grunde genommen, dass Ideologien und Psychologien sich wechselseitig anziehen wie Magneten«, so John Jost, Politikpsychologe an der New York University.[35]
Als Obama die Worte »Hoffnung« und »Wandel« koppelte, drückte er damit etwas für die liberale Psychologie Fundamentales aus: Wandel löst bei einigen Menschen Ängste aus, doch innerhalb der liberalen Gesinnung trägt er die Hoffnung auf etwas Besseres mit sich. Die Menschen, die sich vom Liberalismus am stärksten angezogen fühlen, sind jene, die Wandel, Differenzen und Diversität aufregend finden. Ihre politischen Einstellungen sind nur ein Ausdruck dieser grundlegenden Gesinnung – einer Gesinnung, die sie womöglich dazu bringt, in polyglotten Städten zu leben, durch Europa zu trampen oder sich fremdsprachige Filme anzusehen. Der Job des Konservativen, schrieb William F. Buckley, Gründer des National Review, sei es dagegen, »dem Fortgang der Geschichte im Weg zu stehen und dauernd ›Stopp‹ zu brüllen«.[36] Sie sehen, wie attraktiv das womöglich für jemanden sein könnte, der dem Wandel misstraut, Traditionen schätzt und nach Ordnung strebt. Eine solche Person zieht es womöglich ebenfalls vor, in einer Kleinstadt zu wohnen, nahe bei ihren Verwandten, in eine Kirche zu gehen, die hingebungsvoll die alten Rituale pflegt, und ihren Geburtstag in ihrem Lieblingsrestaurant zu feiern, das sie schon lange kennt.
Abhängig davon, welcher Persönlichkeitstyp Sie sind, lesen Sie eine dieser beiden Beschreibungen womöglich als Kompliment und die andere als Anklage. Denken Sie nicht auf diese Weise darüber. Die Gesellschaft braucht jede Menge unterschiedliche Menschen mit jeder Menge unterschiedlicher psychologischer Verfasstheiten, um zu gedeihen. Es gibt Zeiten, in denen Misstrauen gegenüber Außenstehenden eine Notwendigkeit darstellt, damit eine Kultur eine Bedrohung abwehren kann. Es gibt Zeiten, in denen Begeisterung für Wandel das Einzige ist, das eine Gesellschaft vor der Stagnation bewahrt. Offen ist nicht immer besser als geschlossen. Gewissenhaftigkeit ist ein Charakterzug, kein Kompliment. Betrachtet man die Evolution, dann liegt die Kraft stets in der Mischung möglicher Perspektiven, nicht in einer bestimmten Perspektive – genau der Grund, warum diese psychologische Diversität bis heute überlebt hat.
Nicht unsere Psychologie verändert sich, sondern wie genau sie sich auf unserer politischen Einstellung und auch auf einer ganzen Reihe weiterer Lebensentscheidungen abbildet. Indem die Unterschiede zwischen den Parteien klarer werden, üben ihre Konzepte und Demographien eine immer stärkere magnetische Anziehungskraft auf jene aus, die psychologisch auf ihrer Linie sind – und ebenso eine magnetische Abstoßung gegenüber jenen, die psychologisch entgegengesetzt gestrickt sind.
In Prius or Pickup? benutzen Hetherington und Weiler eine psychologische Skala, die sie mit »fluid« und »fixiert« bezeichnen. Sie schreiben:
Menschen mit einer, wie wir sie nennen, »fixierten« Weltsicht haben mehr Angst vor potenziellen Gefahren und bevorzugen mit größerer Wahrscheinlichkeit klare und unverrückbare Regeln, die ihnen helfen, durch alle Bedrohungen hindurch zu navigieren. Dieses Mindset führt dazu, dass sie gesellschaftliche Strukturen unterstützen, in denen es Hierarchien gibt und Ordnung herrscht, damit besser sichergestellt ist, dass die Menschen nicht allzu weit vom geraden, eng gesteckten Weg abweichen. Im Gegensatz dazu haben Menschen mit einer, wie wir sie nennen, »fluiden« Weltsicht eine geringere Wahrscheinlichkeit, die Welt als bedrohlich wahrzunehmen.
Infolgedessen befürworten sie gesellschaftliche Strukturen, die es Individuen erlauben, ihren eigenen Weg durchs Leben zu finden. Sie tendieren stärker zu der Überzeugung, dass es für das Wohlergehen einer Gesellschaft erforderlich ist, den Menschen mehr Spielraum einzuräumen, sich selbst zu hinterfragen und zu erforschen und ihr authentisches Wesen zu entdecken.[37]
Mitte des 20. Jahrhunderts hat diese psychologische Dimension die amerikanische Politik offenbar nicht gespalten. So ist es zum Beispiel bemerkenswert, dass sich in den sechziger Jahren der Widerstand gegen den Vietnamkrieg etwa gleichmäßig auf beide Parteien verteilte. Noch bis 1992 zeigten die Fluiden und die Fixierten beinahe identische Zahlen dahingehend, für welche Partei sie sich entschieden. Heute allerdings bilden diese Psychologien die Trennlinie, an der sich in der amerikanischen Politik alles scheidet, zumindest unter weißen Wählern (mehr dazu, warum die psychologische Sortierung sich auf Weiße konzentriert und was das für die Politik bedeutet, später). Aufseiten der Fluiden waren 71 Prozent Demokraten und lediglich 21 Prozent Republikaner. Aufseiten der Fixierten waren 60 Prozent Republikaner und lediglich 25 Prozent Demokraten. Betrachtet man das