in der Mitte wieder – und bekommen das Etikett »gemäßigt« verpasst.
Doch das sind sie nicht. Sie sind bloß innerlich unsortiert. Sieht man sich diese individuellen Antworten einmal ganz genau an, dann findet man eine Reihe von Meinungen, die so gar nicht zum politischen Mainstream gehören. »Viele Leute sind der Meinung, wir sollten ein allgemeines Krankenversicherungssystem haben, das vom Staat geführt wird, wie die Briten«, erzählte mir Broockman. »Viele Leute sagen, wir sollten alle Einwanderer ohne gültige Papiere sofort und ohne ordentliches Gerichtsverfahren ausweisen. Man sieht des Öfteren, dass echt drakonische Maßnahmen gegenüber Schwulen und Lesben zwischen 16 und 20 Prozent Unterstützung bekommen. Diese Menschen wirken wie Gemäßigte, sind aber tatsächlich ziemlich extrem.«[17]
Wenn Polarisierung von der Bindung zu politischen Parteien angetrieben wird, kann sie mäßigend wirken. Politische Parteien wollen Wahlen gewinnen, daher versuchen sie, sich für Konzepte starkzumachen, die dafür sorgen, dass ihre Kandidaten an der Wahlurne keine vernichtende Niederlage einfahren. Menschen, die sich nicht an die eine oder andere Partei gebunden fühlen, haben die Freiheit, viel unpopulärere Meinungen zu haben.
Extremismus ist ein Werturteil. Für Amerikaner des frühen 20. Jahrhunderts wäre unsere heutige, weitverbreitete Akzeptanz von Mischehen und Homoehen extrem. Vielen von uns erscheint der ideologische Konsens, der erwachsene Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft oder desselben Geschlechts dauerhaft daran hinderte, ein glückliches, von Liebe geprägtes Leben miteinander zu führen, gemein und dumm. Heute werden Veganer als Extremisten verunglimpft. Ich hoffe, dass in Zukunft das Leid, das wir Tieren durch unsere hochindustrialisierte Landwirtschaft aufzwingen, als schockierende Position gilt. Wenn ich sage, die politischen Bündnisse sortieren und polarisieren sich stärker, dann meine ich damit nur: Es gibt weniger ideologische Überschneidungen, weniger von uns sind in der Mitte gefangen, und es herrscht mehr Spannung zwischen den Polen. Nichts an diesen Dynamiken macht die Meinungen, die Parteigänger 2020 haben, extremer als die ihrer Vorfahren. Banale Ansichten, die in der damaligen Zeit massenweise vertreten wurden, würden heute dazu führen, dass sie nicht salonfähig wären, und das zu Recht.
Gleichwohl bleibt festzustellen: Während der Grad an Extremismus in unserer Politik häufig überschätzt wird, wird der erstaunliche Umfang, in dem wir uns sortiert und polarisiert haben, oftmals unterschätzt und damit auch seine Implikationen für unsere Zukunft.
Eine sortierte Nation
Die Verabschiedung des Civil Rights Act läutete den Tod der Dixiekraten ein. Der Tod der Dixiekraten machte Konservativen aus den Südstaaten den Weg in die Republikanische Partei frei und Liberalen aus den Nordstaaten den Weg in die Demokratische Partei. Dies führte dazu, dass sich die Parteien ideologisch sortierten und dass es im Repräsentantenhaus keine Demokraten mehr gibt, die konservativer sind als jeder Republikaner und umgekehrt. Und mit dieser grundlegenden Klärung sortierten sich die Parteien auch um praktisch alles andere herum. Diese Transformation hat dafür gesorgt, dass die beiden Parteien von Koalitionen, die ähnlich aussahen, ein ähnliches Leben lebten und nur ein bisschen unterschiedlich dachten, zu zwei miteinander Krieg führenden Lagern wurden, die verschieden aussehen, verschiedene Leben an verschiedenen Orten leben und in einem ständig sich vertiefenden Dissens liegen.
In ihrem Buch Uncivil Agreement: How Politics Became Our Identity bietet die Politikwissenschaftlerin Lilliana Mason einen phantastischen Überblick darüber, wie sich die Parteien in den letzten Jahren verändert haben. 1952, schreibt sie, waren die demographischen Unterschiede zwischen den Parteien moderat. Mit Ausnahme der Südstaatler (die, wie wir gesehen haben, Demokraten waren) und der Protestanten (die den Republikanern zuneigten) gab es bei keiner der großen demographischen Gruppen »einen Unterschied von mehr als zehn Prozentpunkten zwischen dem in jeder der beiden Parteien vertretenen Anteil ihrer Mitglieder«.[18] Die Demokratische und die Republikanische Partei sahen also halbwegs ähnlich aus, was die Repräsentation von Afroamerikanern und Weißen, Frauen und Männern, verheirateten und unverheirateten Wählern betraf. Sogar Liberale waren in der Demokratischen Partei nur leicht stärker vertreten.
Dies ist, um es mal höflich auszudrücken, inzwischen nicht mehr der Fall. Bei den Präsidentschaftswahlen 1952 fand der American National Election Survey heraus, dass sechs Prozent der selbsterklärten Demokraten und zwei Prozent der selbsterklärten Republikaner Nichtweiße waren. 2012 kam die gleiche Umfrage zu dem Ergebnis, dass 43 Prozent der selbsterklärten Demokraten, jedoch nur neun Prozent der selbsterklärten Republikaner Nichtweiße waren.[19] Also war die Wählerschaft 2012 nicht nur ethnisch sehr, sehr viel diverser als die Wählerschaft 1952, sondern diese Diversität konzentrierte sich in der Demokratischen Partei.
Die Diversitätsdivergenz
Christina Animashaun. Quelle: Analyse der American National Election Studies, Daten von Alan Abramowitz, Emory University.
Die religiöse Spaltung ist ebenfalls extrem. Pew berichtete 2014, dass die größte religiöse Einzelgruppe im republikanischen Bündnis die der evangelikalen Protestanten sei. Und die Demokraten? Deren größte religiöse Einzelgruppe waren die konfessionell nicht Gebundenen, die »Nones«.[20]
Wie sich demographische Gegebenheiten ändern, so ändern sich auch Werte. 2002 waren 50 Prozent der Republikaner und 52 Prozent der Demokraten der Meinung, es sei nicht nötig, an Gott zu glauben, um eine moralisch integre Person zu sein. 2017 war der Anteil der Republikaner, die mit dieser Aussage übereinstimmten, auf 47 Prozent gefallen, und der Anteil der Demokraten, die mit dieser Aussage übereinstimmten, auf 64 hochgeschnellt.[21] Steven Levitsky und Daniel Ziblatt schreiben in Wie Demokratien sterben: »Die beiden Parteien sind jetzt nach Rasse und Religion getrennt – zwei stark polarisierende Themen, die mehr Intoleranz und Feindseligkeit schüren als traditionelle Politikthemen wie Steuern und Regierungsausgaben.«[22] Ich würde diese Aussage geringfügig anpassen: Die Parteien trennt zunehmend ein Streit um fundamentale Identitäten, die Intoleranz und Feindseligkeit schüren, und die Auseinandersetzungen um bestimmte Themen sind nur ein Ausdruck für diese Trennung.
Doch es geht nicht nur um Rasse und Religion. Wir sind auch nach geographischer Herkunft sortiert. In seinem Buch The Great Alignment: Race, Party Transformation, and the Rise of Donald Trump nimmt Alan Abramowitz eine Analyse vor, die ich schockierend fand. Er blickt auf die Präsidentschaftswahlen vieler Jahrzehnte zurück und zeigt, dass für die längste Zeit des 20. Jahrhunderts das Konzept von roten und blauen Staaten nicht viel Sinn ergeben hätte. »So gab es etwa nur einen sehr geringen Zusammenhang zwischen dem Muster der Unterstützung für George McGovern, einem stark liberal geprägten Mann aus South Dakota, 1972, und dem Muster der Unterstützung für Jimmy Carter, einen gemäßigten Mann aus Georgia, vier Jahre später«, schreibt er.[23] Die diesbezüglichen Zahlen sind verblüffend. Von 1972 bis 1984 betrug die durchschnittliche Abweichung im Abstimmungsverhalten eines Bundesstaates bei einer Präsidentschaftswahl im Vergleich zur nächsten 7,7 Prozentpunkte. Zwischen 2000 und 2012 waren es lediglich 1,9 Prozentpunkte. Wir sind politisch fest verortet.
Die Sortierung zieht sich bis weit unterhalb der bundesstaatlichen Ebene durch. In einer Analyse auf der Nachrichtenwebsite FiveThirtyEight betrachtete Dave Wasserman »Erdrutschsieg-Countys« – Landkreise, in denen der Gewinner der Präsidentschaftswahlen mindestens 60 Prozent der Stimmen bekommen hatte. 1992 lebten 39 Prozent der Wähler in Erdrutschsieg-Countys. Diese Zahl war bis 2016 auf 61 Prozent geklettert. Noch extremer wurden die Zahlen, als Wasserman sich Countys ansah, in denen der Gewinner mit einem Vorsprung von mehr als 50 Prozentpunkten gewonnen hatte: Der Anteil der Wähler, die in solchen »extremen Erdrutschsieg-Countys« lebten, hatte sich mehr als verfünffacht – von vier Prozent im Jahr 1992 auf 21 Prozent im Jahr 2016. Innerhalb von weniger als 25 Jahren hatte sich der Anteil der Wähler, die in einem Wahlbezirk lebten, wo beinahe alle Wähler politisch ähnlich dachten wie sie, von 1:20 auf 1:5 erhöht.
Man könnte sich eine Welt vorstellen, in der diese Daten nur wenig über die Orte aussagen würden, an denen Menschen leben – ja, wir waren politisch stärker sortiert, aber diese sortierten Räume waren willkürlich über das ganze Land verteilt. Die Welt, in der wir leben, sieht aber anders aus. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich