ein klares Verständnis unserer Gegenwart ist eine Entmythologisierung unserer Vergangenheit nötig. Doch ein ehrlicher Überblick über die Vergangenheit der USA greift die Geschichte an, die wir uns selbst erzählen, er greift unsere Wahrnehmung an, dass die USA eine echte Demokratie sind, und er greift das Gefühl der Demokratischen Partei für ihre eigene »ehrenvolle« Geschichte an.
Die Herrschaft der Dixiekraten
Den größten Teil des 20. Jahrhunderts über war die Herrschaft der Demokratischen Partei im Süden hegemonial. Zeitweise hatten Demokraten unfassbare 95 Prozent aller Wahlämter inne, und wie das auch für autoritäre Herrscher überall auf der Welt gilt, gelang ihnen dies zum Teil durch die Unterdrückung freier und fairer Wahlen. Afroamerikanische Wähler waren in vielen Fällen aufgrund gesetzlicher Regelungen von einer Stimmabgabe ausgeschlossen und wurden, als das nicht funktionierte, wegen des Versuchs einer Ausübung dieses Bürgerrechts verprügelt oder sogar getötet. Während der Kampagne zu seiner Wiederwahl 1946 sagte es der demokratische Senator Theodore Bilbo ganz offen, und seine eiskalten Worte lassen einem heute noch die Haare zu Berge stehen: »Sie und ich wissen doch, welches die beste Methode ist, den Nigger vom Wählen abzuhalten. Man macht es in der Nacht vor der Wahl. Mehr muss ich Ihnen dazu nicht sagen. Heißsporne wissen, was ich meine.«[5] Er gewann die Wahl.
Eine Gruppe aus 50 Mississippians argumentierte, Bilbo sollte das Amt nicht antreten, weil er die Androhung von Gewalt benutzt habe, um afroamerikanische Wähler von den Wahlurnen fernzuhalten. Der Senat berief einen Ausschuss ein, der aus zwei Republikanern und drei Südstaatendemokraten bestand, um Zeugen anzuhören, doch die Demokraten hielten sich an die Parteilinie und bestätigten Bilbos Wahl. »Alle Schwierigkeiten, die der Neger bei seinen Versuchen, sich für die Vorwahl am 2. Juli registrieren zu lassen und seine Stimme abzugeben, erlebte, resultierten aus dem traditionellen Verhältnis zwischen Weißen und Negern und ihrer unterschiedlichen Interpretation dessen, was die Gesetze dieses Bundesstaates in Bezug auf die Teilnahme von Negern an den Vorwahlen der Demokraten vorsehen«, so die mehrheitliche Meinung. »Egal, wer kandidiert hätte, es wäre immer dasselbe gewesen.«[6]
Die im tiefen Süden herrschende Mischung aus gesetzlich verankerter Diskriminierung und rassistischem Terrorismus funktionierte. Innerhalb von drei Jahren nach dem Ende des Bürgerkriegs »lag der Anteil der Schwarzen, die sich zur Wahl registrieren ließen, im Deep South zwischen 85 und 94 Prozent, und in der gesamten Region gaben beinahe eine Million freigelassener Sklaven ihre Stimme ab«,[7] notiert Mickey. Weniger als ein Jahrhundert später war diese fundamentale Freiheit zerstört. »1944 registrierten sich in den Staaten der alten Konföderation noch lediglich fünf Prozent der afroamerikanischen Einwohner im wahlfähigen Alter für die Stimmabgabe, was dazu führte, dass Millionen von Schwarzen bei der Wahl keine Stimme hatten«, schreibt Anderson. Die Unterdrückung war dort am schärfsten, wo man die politische Macht der Schwarzen am meisten fürchtete. 1953 ließen sich im sogenannten Black Belt – jener Region von Alabama, wo der Bevölkerungsanteil der Schwarzen größer ist als der der Weißen – »lediglich 1,3 Prozent der wahlberechtigten Afroamerikaner registrieren. In zwei Bezirken gaben überhaupt keine schwarzen Wähler ihre Stimme ab.«[8]
Es gab Ausbrüche von Gewalt, sogar Putschversuche. Wie etwa, als Mitglieder der White League in Louisiana 1874 New Orleans stürmten und versuchten, Gouverneur William Kellog, einen Republikaner, aus dem Amt zu werfen und seinen gescheiterten demokratischen Herausforderer John McEnery zu installieren. Die Rebellen übernahmen die Kontrolle über die Stadt, und Präsident Ulysses S. Grant sah sich gezwungen, Bundestruppen zu entsenden, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Als vielsagender Nachklapp wurde 1891 in der Stadt ein Denkmal errichtet, das an die White-League-Mitglieder erinnerte, die bei dem Versuch, die Macht zu übernehmen, ums Leben gekommen waren. 2017 wurde es endlich abgerissen.
»Während manche Tag für Tag an diesen Denkmälern vorbeigefahren sind und entweder deren Schönheit bewundert oder sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben, nehmen unsere Nachbarn und Mitbürger sie sehr deutlich wahr«, sagte Mitch Landrieu, der Bürgermeister von New Orleans, in einer Rede, in der er seine Entscheidung erläuterte, die Denkmäler in der Stadt, die an die Konföderation erinnerten, abreißen zu lassen. »Viele sind sich der langen Schatten, die ihr Vorhandensein wirft, schmerzlich bewusst, und zwar nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne. Und sie verstehen die Botschaft, die die Konföderation und der Kult um das Verlorene ihnen zukommen lassen wollte, sehr wohl.«
Wie der Putsch von New Orleans nahelegt, zementierte die Demokratische Partei ihre Einparteienherrschaft auch, indem sie mit eiserner Faust weiße Republikaner niederhielt. »Demokraten kontrollierten alle Wahlgesetze und Wahlabläufe, und sie sorgten dafür, die Einstiegsbarrieren für potenzielle Opponenten unüberwindbar hochzuhalten«, schreibt Mickey. »Diverse Bundesstaaten hinderten per Parteidekret oder per Gesetz vormals illoyale Kandidaten oder solche, die sich nicht ausreichend deutlich zu den Werten der Demokratischen Partei bekannten, daran, sich um ein Amt zu bewerben – sogar als Unabhängige.«[9] Und so festigte die Demokratische Partei der Südstaaten erfolgreich ihre autoritäre Kontrolle über den Deep South.
Die Frage ist, warum der Rest des Landes – eines Landes, das, unvollkommen, aber dennoch unleugbar, unter einem liberal-demokratischen System operierte – dem Süden erlaubte, solche Art Spott mit Amerikas politischen Werten zu treiben. Ein Teil der Antwort liegt in dem Weg, für den man sich im Gefolge des Bürgerkriegs entschied, als Präsident Andrew Johnson, ein erbitterter Verfechter der weißen Überlegenheit, alle Erfolge, die im Bereich der ethnischen Gleichstellung erzielt worden waren, zurückdrehte und den Süden wieder unter weiße Kontrolle stellte. In einer Salve gezielter Schüsse gegen die vom Kongress verabschiedeten Reconstruction Acts warnte Johnson davor, diese würden es Schwarzen gestatten, »über die weiße Rasse zu herrschen, Bundesgesetze zu erarbeiten und umzusetzen, Präsidenten und Kongressabgeordnete zu wählen und in mehr oder weniger großem Ausmaß das künftige Schicksal des gesamten Landes zu formen. Wären ein solches Vertrauen und eine solche Macht in diesen Händen sicher?«[10]
Die De-facto-Wiedererrichtung der politischen Hierarchie der Konföderierten im Süden brachte das gesamte Land auf einen Weg, bei dem sich die Macht der weißen Überlegenheit mit der Macht des politischen Transaktionalismusi paarte. Auch wenn nationale Demokraten nicht von revanchistischen Rassisten angeführt wurden, wurde der Süden den Warlords aus denselben Gründen überlassen, aus denen auch sonst Territorien Warlords überlassen werden: Es diente den Interessen der aktuellen Machthaber. Nationale Demokraten sorgten sich um die Verabschiedung des New Deal, um Siege bei den Präsidentschaftswahlen, um Infrastrukturprojekte. Angesichts der Tatsache, dass sie die Wahl hatten zwischen der Zusammenarbeit mit einer Demokratischen Partei der Südstaaten, die ihnen unverzichtbare Wählerstimmen einbrachte, und der Herausforderung einer Demokratischen Partei der Südstaaten, die die nationale Agenda der Demokratischen Partei beschädigen und scheitern lassen konnte, entschieden sie sich für den Ausgleich.
Mehr noch, die totale Dominanz der Dixiekraten über den Süden versetzte sie auch zahlenmäßig in die Lage, die nationale Demokratische Partei zu dominieren. »Von 1896 bis 1932 stellten Südstaatler zwei Drittel der Mitglieder der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus; von 1933 bis 1953 fiel ihr Anteil zu keinem Zeitpunkt unter 40 Prozent«, schreibt Mickey.[11] Diese Zahlen unterschätzen den politischen Einfluss des Südens womöglich sogar noch. Im US-Kongress dieser Ära bedeutete Seniorität höheres Dienstalter, Macht. Und wegen der autoritären Strukturen, innerhalb derer die Demokraten des Südens zu Hause operierten, waren sie nur äußerst selten etwas ausgesetzt, das dem Druck durch bevorstehende Wahlen auch nur im Entferntesten nahekam. Was dazu führte, dass sich in ihren Reihen mehr Abgeordnete und Senatoren mit langer Dienstzeit tummelten als in den Reihen der gewählten Regierungsvertreter jeder anderen Region.
Ira Katznelson, Historiker an der Columbia University, schreibt 1933 in seinem Buch Fear Itself: The New Deal and the Origins of Our Time: »Südstaatler hatten den Vorsitz in 29 der 47 Ausschüsse des Repräsentantenhauses inne, darunter Appropriations (Investitionen), Banking and Currency (Banken und Währung; heute Finanzdienstleistungen), Judiciary (Justiz), Foreign Affairs (Internationale Beziehungen), Agriculture (Landwirtschaft), Military Affairs (Militärische Angelegenheiten) und Ways and Means (Mittel und Wege).« Außerdem dominierten sie, und das ist entscheidend,