Gytha Lodge

Bis ihr sie findet


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»Und ich würde ihm trotz der knappen Zeit einen Kaffee mitbringen. Er wird nicht glücklich darüber sein, dass er an seinem freien Tag gestört wurde.«

      »Okay. Einfach … Filterkaffee? Keinen Latte oder irgendwas?«

      Lightman lachte. »Gott bewahre. Hast du noch nie eine von seinen Tiraden über Kaffeevariationen abbekommen?«

      »Nein, aber die sind bestimmt toll.« Sie hängte sich die Sporttasche über die Schulter. »Okay. Sonst noch was? Weißt du schon, um was es sich handelt?«

      Lightman schüttelte den Kopf. »Der zuständige Sergeant wird den Fall am Fundort dem Chief übergeben. Er wird euch berichten, was man bis jetzt weiß, aber wenn die Tat schon länger zurückliegt, wird es noch nicht viel sein.«

      Hanson nickte und unterdrückte ein Lächeln. Über die Nachricht von einem Mord sollte man nicht lächeln, selbst wenn er schon Urzeiten her war. Aber in Wahrheit freute sie sich darüber.

      Hanson war so aufgedreht, als sollte sie gleich ihre Prüfungsergebnisse erfahren. Sie plapperte auf Jonah ein, über die Sporttasche und den Kaffee, um dann, ohne Luft zu holen, nach den Überresten zu fragen. Jonah fand das irgendwas zwischen rührend und nervig.

      »Ben hat gesagt, es wäre vielleicht ein älterer Fall.«

      »Ich würde warten, bis die Forensiker eine Meinung äußern«, erwiderte er und trank einen großen Schluck Kaffee. »Die meisten Leute – mich eingeschlossen – haben keinen Schimmer, wie alt Knochen sind.«

      Nachdem er eben noch geschwitzt hatte, fröstelte ihn jetzt selbst in dem Anzug, den er sich in einer öffentlichen Toilette in Godshill angezogen hatte. Er starrte aus dem Fenster und hing seinen Gedanken von vor dreißig Jahren nach. Er unterbrach Hansons Redefluss und bat sie, die Heizung hochzudrehen. Als sie an dem Regler drehte, geriet der Fiat kurz ins Schlingern, stabilisierte sich aber rasch wieder.

      »Tut mir leid«, sagte sie.

      »Ich bin dankbar, dass Sie fahren«, sagte er und lächelte dünn. »Und der Kaffee war auch eine kluge Idee. Damit haben Sie meine Laune zumindest für ein paar Stunden erträglich gemacht.«

      »Hm. Ein paar Stunden. Dann muss ich vorher entweder einen Starbucks finden oder in Deckung gehen?«

      »So ungefähr«, sagte Jonah.

      Dann waren sie plötzlich in Brinken Wood. Auf einem gekiesten Parkplatz standen etliche Streifenwagen und uniformierte Beamte. Zwangsläufig erinnerte Jonah sich daran, wie es damals hier ausgesehen hatte. Der Parkplatz war noch nicht mit Kies, sondern mit Schlamm und Rindenmulch bedeckt gewesen, aber genauso überlaufen von Polizisten. Die Frisuren waren anders, die Gesichter irgendwie gleich.

      Als sie angehalten hatten, stieg Jonah mit dem Kaffeebecher in der Hand aus dem Wagen. Er hatte das Gefühl, in der Zeit zurückzureisen. So viele Monate hatten sie hier mit der endlosen Suche verbracht.

      Er ging auf den Sergeant zu. »DCI Sheens. Das ist DC Hanson.«

      Vor zwei Wochen hatte Hanson noch denselben Dienstgrad gehabt wie der Sergeant, aber wenn man sich zum Detective ausbilden ließ, musste man de facto eine Degradierung hinnehmen und wieder Detective Constable werden. Jonah erinnerte sich, dass er seinerzeit in der gleichen Lage nie gewusst hatte, wer mehr zu sagen hatte, und er fragte sich, ob es Hanson ähnlich ging.

      Am Haaransatz des Sergeants hatten sich Schweißtropfen gebildet. Seine Augen waren geweitet, sein Lächeln war knapp und nervös. Sein Police Constable, ein untersetzter Mann Mitte zwanzig, wirkte deutlich ruhiger.

      Jonah richtete seine Frage an die Lücke zwischen den beiden: »Wer hat die Überreste gefunden?«

      Der Sergeant antwortete. »Ein Arzt auf Zelturlaub mit seiner Familie. Genau genommen seine Tochter, aber er hat angeru fen.«

      »Wie alt ist die Tochter?«

      »Neun«, sagte der Constable. »Scheint ihr aber gut zu gehen. Den Vater hat es härter getroffen.«

      »Sind sie noch hier?«

      »Wir haben sie gebeten, an ihrem Zeltplatz zu warten. Er ist nicht in Sichtweite des Fundorts.«

      Jonah nickte und ließ den Sergeant vorgehen, obwohl er den Weg kannte. Es war der Platz, wo sich vor dreißig Jahren sieben Jugendliche zum Schlafen hingelegt hatten, aber nur sechs am nächsten Morgen aufgestanden waren.

      Dr. Martin Miller saß ein Stück abseits seiner Familie. Die Frau des Arztes sah dem Jungen zu, der auf einem iPad spielte. Das Mädchen wirbelte am Rand des Zeltlagers Staub mit den Füßen auf.

      Jonah sprach die Mutter an.

      »DCI Sheens.« Er lächelte. Er hatte lernen müssen zu lächeln, während sein Verstand von komplizierten und dunklen Gedanken beherrscht wurde, die sich wie eine gesprungene Scheibe zwischen ihn und die Welt schoben. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich kurz mit Ihrer Tochter spreche?«

      »Jessie!«, rief ihr Vater schrill und gereizt. »Hör auf, Staub aufzuwirbeln. Du machst alles dreckig.«

      Das Mädchen wirkte halb erschrocken und halb aufmüpfig. Sie schlurfte zu ihrer Mutter, setzte sich hastig und blickte zu Jonah auf, die Knie knapp unter dem Kinn.

      Ihre Mutter legte einen Arm um sie und drückte sie kurz. »Du hast doch nichts dagegen, mit der Polizei zu sprechen, oder Jessie?«, fragte sie ihre Tochter.

      Jessie schüttelte den Kopf.

      »Wir haben auch nur wenige Fragen«, sagte Jonah mit fester Stimme. »Nur ein paar Details zu dem, was du gefunden hast.«

      »Klar.«

      »Sie weiß gar nichts«, unterbrach ihr nicht viel älterer Bruder sie. Die Verachtung großer Geschwister war Jonah immer außergewöhnlich heftig vorgekommen.

      Er blickte zu dem Jungen, der sie jetzt beide mürrisch beobachtete, und überlegte, ihn wegzuschicken, ließ es dann aber.

      Er ging vor Jessie in die Hocke. »Also, ein paar Fragen an dich.«

      Das Mädchen sah ihn erneut argwöhnisch an und ließ den Blick dann weiter schweifen. Sie nahm einen Kieselstein und warf ihn zur Seite, dicht gefolgt von einem zweiten.

      »Jessie, Herrgott noch mal!« Wieder der Vater. Viel näher jetzt. »Hör auf, mit Sachen zu schmeißen, und guck den Polizisten an, wenn er mit dir redet. Das ist wichtig!«

      Jonah lächelte dem Arzt angestrengt zu. »Das ist schon okay, machen Sie sich keine Sorgen.«

      »Jessie!«

      Es war, als hätte Jonah gar nichts gesagt.

      Das Mädchen warf ihrem Vater einen aufsässigen Blick zu und schaute dann, so gut sie es zwischen den Fransen ihres geraden braunen Ponys hindurch konnte, zu Jonah auf. Der bemühte sich, ruhig zu bleiben, trotz der Unterbrechungen des Vaters, dem es keineswegs darum ging, der Polizei behilflich zu sein, sondern nur um Kontrolle.

      »Sind Sie ein Inspektor?«, fragte Jessie leise.

      Jonah lächelte. »Ja, sogar ein Detective Chief Inspector.«

      Jessies Blick blieb ein wenig misstrauisch. »Heißt das, Sie sind für alles zuständig?«

      »Ja.« Damit schien sie einigermaßen zufrieden, also sprach er weiter. »Kannst du mir sagen, was du gemacht hast, als du die Knochen gefunden hast?«

      Jessie blickte zu ihrem Vater und sagte leise: »Ich hab mich versteckt.«

      Jonah sah, wie ihre Mutter das Gesicht verzog, aber sie machte keinen Versuch, es zu leugnen.

      »Verstecken macht Spaß«, sagte er. »Diese Höhle unter dem Baum. War die schon da? Oder hast du die gegraben?«

      Jessie schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach reingegangen und hab mich hingesetzt. Dann hat mich was gepiekt, und ich hab es aus dem Boden gezogen.«

      Jonah nickte. »Klar. Und es ließ sich ganz leicht rausziehen?«