Alfred Bekker

Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten


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      „Suchen Sie was?“, fragte plötzlich jemand in Berringers Rücken.

      Der Detektiv drehte sich um. Ein rüstig wirkender Rentner stand dort mit einem hechelnden Münsterländer an der Leine.

      Berringer deutete mit dem Daumen über die Schulter und auf die Tür. „Niemand zu Hause?“

      „Sehen Sie doch.“

      „Und wer sind Sie?“

      „Ich bin der Nachbar und achte ein bisschen darauf, was hier so geschieht.“

      „Verstehe.“

      „Und Ihr Name? Oder rufe ich besser gleich die Polizei?“

      „Mein Name ist Berringer, und ich bin Privatermittler.“ Berringer zeigte dem Rentner seinen Ausweis. Dieser musste erst sehr umständlich eine Brille aus seiner Jacke hervorholen, sie mit dem Exemplar, das er bereits auf der Nase trug, austauschen und war dann endlich in der Lage, den Ausweis im Detail zu betrachten.

      „Es geht um eine Verkehrssache“, behauptete Berringer, was so weit von der Wahrheit nicht entfernt war.

      „Tut mir leid.“ Der misstrauische Nachbar deutete auf die Haustür. „Die beiden sind für ein paar Tage in Urlaub. Deswegen habe ich auch den Hund.“

      „Die beiden?“, echote Berringer.

      „Was weiß ich, ob sie verheiratet sind oder nur eine Lebensgemeinschaft führen, wie man das heute nennt.“

      „Ein Mann und eine Frau.“

      „Für 'n Privatschnüffler sind Sie aber schwer von Begriff. Kommen Sie morgen wieder.“

      „Bis dahin sind sie wieder zurück?“

      „Bis dahin sollte ich den Hund nehmen und mich um die Post kümmern, an die Sie mich jetzt bitte freundlicherweise mal ranlassen!“ Berringer trat beiseite und kündigte an: „Dann schaue ich morgen noch mal vorbei.“

      „Soll ich etwas ausrichten?“

      „Nicht nötig.“

      Es war gegen siebzehn Uhr, als Berringer in sein Büro zurückkehrte.

      Vanessa Karrenbrock war noch dort. „Du hast Glück, dass du mich noch erwischst, eigentlich ist längst Feierabend.“

      „Du weißt doch inzwischen wohl, dass es so etwas wie einen festen Feierabend in diesem Job nicht gibt“, entgegnete Berringer.

      Sie lächelte. „Für dich vielleicht nicht. Du bist schließlich auch der Chef. Als selbstständiger Unternehmer hast du rund um die Uhr für deine Klienten da zu sein.

      Aber für Angestellte gilt das ja wohl nicht.“

      „Das ist dein erster Job als Angestellte, oder?“

      „Ja.“

      „Na siehst du.“

      „Was soll das heißen?“

      Berringer grinste. „Natürlich, dass ich selbstverständlich von meinen Angestellten das gleiche Engagement erwarte, das ihnen ihr Chef vorlebt. Ist doch ganz einfach.“

      „Oh“, meinte sie.

      „Was heißt hier ›oh‹?“

      „Na, wenn das so ist, habe ich schon viel zu viel getan. Wird nicht wieder vorkommen, Robert. Versprochen.“

      Berringer lag noch eine bissige Erwiderung auf der Zunge, aber in diesem Augenblick ging die Tür auf, und Mark Lange schneite herein. Er hatte eine Kamera in der Hand. „Lasst mich mal an den Rechner! Ich hab vor Garol ImEx auf der Lauer gelegen und mir die Finger wund geknipst.“

      Mark Lange fuhr den Rechner, den Vanessa bereits abgeschaltet hatte, wieder hoch, nahm den Chip aus der Kamera und steckte ihn in die entsprechende Buchse des Rechners. Wenig später konnte man auf dem Schirm die Bilder sehen, die Lange geschossen hatte.

      Das Firmengelände von Garol ImEx lag in Hafennähe. Immer wieder fuhren Lastwagen mit rumänischen oder ungarischen Kennzeichen auf das Gelände. Hinter ihnen schlossen sich die Tore. Man konnte nicht sehen, was dort mit der Ladung geschah. Besonders aufschlussreich war es jedoch immer, wenn Personen das Gelände verließen oder dort eintrafen.

      „Das ist er!“, rief Vanessa plötzlich und zeigte auf einen grauhaarigen Mann im kobaltblauen Anzug und in einem mit Pelz besetzte Jacke, die vorne offen war. Die Rolex an seinem Handgelenk und die Jackettkronen, die sein Lächeln offenbarte, zeigten, dass es ihm wirtschaftlich nicht allzu schlecht ging. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein seriöser Geschäftsmann. Der Ohrring links und die tätowierte Träne knapp drei Zentimeter unterhalb des rechten Auges gaben seinem Erscheinungsbild allerdings etwas Halbseidenes.

      „Das ist Commaneci“, sagte Vanessa.

      „Bist du dir sicher?“, fragte Mark.

      „Ja, hundertprozentig. Er ist zwar faltiger im Gesicht geworden, aber ansonsten hat er sich im Verhältnis zu den Fotos, die ich im Internet von ihm gefunden habe, kaum verändert.“

      „Der Chef bei Garol ImEx ist aber ein anderer Mann. Nämlich dieser hier!“, berichtete Mark und öffnete ein anderes Bild. Es zeigte einen Mann mit hoher Stirn, gedrungenem Wuchs und sehr starken Augenbrauen.

      „Da ist Lajos Carescu“, meinte Berringer. „Ich weiß, dass er offiziell als Chef von Garol ImEx firmiert, aber es ist bekannt, dass er nur ein Handlanger ist.“

      „Ich schätze, das wird so leicht nicht zu beweisen sein.“

      „Im Moment ist noch gar nichts zu beweisen“, meinte Berringer resigniert. Nur nicht zu viele Hoffnungen machen, dachte er. Schon gar nicht darauf, dass die Eminenz vielleicht endlich enttarnt würde. Die Chance standen eins zu tausend.

      Berringer setzte sich vor den Rechner und sah sich die Bilder noch einmal an. Eines klickte er nicht nach ein paar Sekunden weg, sondern betrachtete es sich genauer.

      Eine Gruppe von Männern verließ das Firmengelände, und eines der Gesichter glaubte Berringer zu erkennen.

      Unmöglich!, dachte er.

      Alles in ihm sträubte sich dagegen.

      Er spürte plötzlich die sengende Hitze auf seiner Haut. Die Explosion ... die Flammen ...

      Berringer schluckte. Schweißperlen standen ihm mit einem Mal auf der Stirn, und er merkte, wie eine rätselhafte Starre seinen gesamten Körper befiel.

      Das ist er!, hämmerte es in ihm.

      Seine Gefühle waren sehr zwiespältig. Einerseits wühlte es ihn auf, dieses Gesicht endlich gefunden zu haben, nach all den Jahren. Andererseits führte ihn das wieder zurück in die Vergangenheit, ein Gebiet, das er meiden musste wie der Teufel das Weihwasser. Er stand am Rand der Klippe, und es genügte ein kleiner Schubs, um ihn in den Abgrund zu stoßen. Dann war alles aus. Vielleicht war dann Frieden. Wer wusste das schon ...

      „Hey, was ist los, Robert?“, fragte Vanessa.

      Berringer gab ihr keine Antwort. Hektisch hantierte er mit der Maus herum und vergrößerte das Bild. Er zoomte das Gesicht des einen Mannes so nah heran, dass die einzelnen Pixel sichtbar wurden und sich schließlich nur noch ein Teppich aus quadratischen Farbflächen zeigte. Es hat keinen Sinn, dachte er. Die Auflösung, die Mark gewählt hatte, ließ eben nur einen gewissen Zoom-Faktor zu, wenn man noch etwas erkennen wollte.

      „Wer ist dieser Mann?“, hörte er Vanessas Stimme wie aus weiter Ferne. Er achtete auch nicht auf sie, sondern war mit seinen Gedanken ganz bei diesem Mann, bei diesem Gesicht ...

      Berringer glaubte einen Mann an der Straßenecke gesehen zu haben, kurz bevor sein Wagen samt Insassen in die Luft geflogen war.

      Einen Mann, der genauso aussah wie der Kerl auf dem Bild.

      Berringer war schon