Maximilian Medlitsch

Herz über ins Abenteuer


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ist bereits dort. Heute um 20 Uhr, sind wir zum Telefon-interview verabredet. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass der Zeitpunkt gekommen ist. Es klingelt pünktlich.

      »Hallo Max! Grüß dich! Na, wie geht es dir, bist du schon aufgeregt?«, eröffnet sie mir enthusiastisch das Gespräch. Das schätze ich sehr an der San Esprit Gründerin. Sie hat stets ansteckend gute Laune.

      »Hallo Neti, schön von dir zu hören. Mir geht es gut, ich bin schon sehr neugierig auf unsere Reise. Wie laufen die Vorbereitungen in Indien, hattest du eine gute Anreise?«, frage ich sie.

      Neti hält kurz inne, dann antwortet sie: »Eine Katastrophe. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit um drei Uhr nachts in Chennai gelandet bin, sollte mich eigentlich ein Fahrer abholen und in das wenige Stunden entfernte Pondicherry bringen. Leider war der Fahrer nicht vor Ort, als ich ankam. Ich wartete, aber er kam einfach nicht. Am nächsten Tag habe ich dann erfahren, dass er dachte, ich würde erst um 15 Uhr ankommen und hat die Nacht stattdessen im Bett verbracht«, scherzt Neti gewohnt locker.

      Das bewundere ich an ihr. Sie denkt positiv und ist optimistisch, bleibt in stressigen Situationen entspannt und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

      »Wie ging es weiter?«, frage ich neugierig.

      »Naja, irgendwie habe ich mir dann doch noch eine Fahrgelegenheit besorgt. Allerdings war es eine recht abenteuerliche Autofahrt. Sei gespannt auf Indien, Max!«, entgegnet sie mir und ich spüre, dass sie am anderen Ende der Leitung gerade schmunzelt.

      »Wie meinst du das?«, hake ich etwas verunsichert nach. »Sagen wir so, ich habe mir selbst verboten, aus dem Fenster zu sehen«

      »Bitte was!?«, frage ich verwirrt.

      Dann beginnt die reise- und lebenserfahrene Annette Müller damit, mir die indische Infrastruktur zu schildern. Das Straßenbild ist von Hunderten von Menschen erfüllt, die sich chaotisch ihren Weg bahnen, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Marode Straßen. Wellblechhütten. Absolutes Verkehrschaos ohne erkennbare Regeln.

      »Und dann war da noch dieser Mann, der mitten auf der Autobahn an der Leitplanke stand. Plötzlich kam ihm ein verbeulter, alter Bus entgegen, der kurz langsamer wurde. Dann ist der Mann einfach in das fahrende, nennen wir es Vehikel, reingesprungen. Unfassbar!«, bringt sie die Situation auf den Punkt.

      »Am Hotel angekommen«, fährt sie fort, »keine Reaktion seitens der Belegschaft. Also musste ich erst einmal vor der verschlossenen Türe warten. Nach weiterem Hin und Her konnte ich dann gegen sechs Uhr morgens ins Hotel, aber nicht in mein Zimmer. Das klappte dann erst gegen Mittag. Alles in allem … typisch Indien. Aber halb so wild, ich habe es mir am Pool gemütlich gemacht und dort eine Runde gedöst.«

      Bunt, chaotisch, laut! So in etwa habe ich mir Indien immer vorgestellt. Die Vorstellung ist eine Sache, die Realität allerdings eine andere. Ich weiß noch genau, wie schockiert ich im Alter von etwa fünf Jahren war, als mein Vater mich zu meinem zweiten Auslandsurlaub mitnahm, abgesehen von Österreich. Wir waren auf Kreta und die Zustände dort haben mich zumindest einmal verwirrt.

      Zugegeben, ich kannte zu diesem Zeitpunkt nur München, Tegernsee und Wien, da war Kreta schon etwas anderes. Trotzdem war es ein toller Urlaub. Aber genug des gedanklichen Abschweifens. Wie denn nun der erste Eindruck ist, möchte ich von Neti wissen.

      »Indien ist unglaublich laut«, setzt sie ihren Bericht fort. »Ernsthaft, es ist einfach immer ohrenbetäubend laut. Warte …«, sagt die San Esprit Gründerin, während sie ihr Hotelzimmer verlässt.

      Beim Betreten des Balkons vernehme ich sofort laute Hupgeräusche, krächzende Vögel und viele weitere Eindrücke, die ich nicht so recht einzuschätzen vermag.

      »Wow, das ist wirklich sehr laut!«, bestätige ich.

      »Und dabei bin ich noch in einer der ruhigeren Gegenden«, scherzt sie trocken.

      Ob man sich daran gewöhnt? Damals hatte ich noch keine Vorstellung davon, dass die wahre Herausforderung nicht der Lärm, sondern der Geruch sein würde.

      »Wie laufen denn die Vorbereitungen?«, möchte ich von ihr wissen.

      »Gut, aber es ist sehr viel zu tun. Die Hotels der Delegation checken, Gespräche mit Ärzten vor Ort, Treffen mit den ortsansässigen Schreinern, um die benötigten Massagebänke zeitgerecht in Empfang zu nehmen, Besprechung mit Star-Architekt Prabhat Poddar, der uns vor Ort unterstützt, und das ist nur die Agenda für morgen. Aber ich bin mir sicher, dass hier alles gut organisiert sein wird, wenn ihr ankommt!«

      Egal was sie macht, sie macht es hundertprozentig und mit vollem Engagement. Das konnte ich in dem Jahr, dass ich Neti nun kenne, beobachten.

      »Ja und wie ist es sonst so, die Landschaft, die Architektur?«, frage ich sie neugierig.

      »Es ist auf jeden Fall ein echter Kulturschock. Hier fühlst du dich wie auf einem anderen Planeten, auch wenn Pondicherry sehr gepflegt ist. Es ist eine ehemalige französische Kolonie. Für indische Verhältnisse ist es hier relativ modern und man trifft viele westliche Ausländer. Das wesentliche Problem in Indien ist die Infrastruktur, es gibt kaum sichere Wege und Straßen. Das ist teilweise sehr gefährlich. Zudem gilt es, den Linksverkehr zu beachten«, erklärt die auslandserfahrene Heilerin, nicht ohne auch noch über das herausragende Essen zu schwärmen: »Die Küche hier ist übrigens phantastisch. In deinem Hotel gibt es jeden Tag ein hervorragendes französisches Frühstück, mittags und abends wirst du mit Köstlichkeiten der indischen Küche verwöhnt. Das wird dir gefallen. Außerdem wird die ›Tea Time‹ in Indien geradezu zelebriert. Hier wachsen fantastische Sorten.«

      Nach diesem Gespräch habe ich Feuer gefangen. Ich lasse die Bedenken hinter mir und möchte mich überraschen lassen. Zum Abschied bringt die Initiatorin der ›Heiler ohne Grenzen‹ noch einmal zum Ausdruck wie sehr sie sich auf das Projekt sowie meine Teilnahme freut. Mir geht es genauso. Ich kann es kaum mehr erwarten. In ein paar Tagen ist es endlich so weit.

       Das Tor zur Stadt

      Montag, 1. Januar 2018: Die Welt auf dem Weg nach Pondicherry

      Na, da hat sich 2018 ja etwas sehr Schönes ausgedacht, ich weiß nicht so recht, was ich von einem Jahr halten soll, das mit einem Montag beginnt. Glücklicherweise verzichtete ich am gestrigen Silvesterabend auf den Genuss von Alkohol und so fühle ich mich blendend.

      Während mich die Sonnenstrahlen durch den Vorhang meines Südbalkons wecken, suche ich mein Handy und schalte es ein. Dutzende neue Nachrichten aus unserer Healing Camp WhatsApp-Gruppe, die chronologisch von »Guten Rutsch!« bis hin zu »Frohes Neues!« reichen.

      So viele neue Menschen, das bereitet mir ein wenig Bauchschmerzen. Ich lebe gerne zurückgezogen, stehe ungern selbst im Mittelpunkt und genieße auch am liebsten das Wochenende allein mit einem guten Buch. Nun habe ich 14 Tage vor mir, in denen ich rund um die Uhr begleitet werde, oder vielmehr bin ich derjenige, der begleitet. Wie das wohl sein wird? Um das soziale Miteinander zu fördern, texte ich zum vermutlich zweiten Mal in die Gruppe: »Frohes Neues!«. Dazu einen Link mit einem VPN-Client. Der ist im Ausland sehr wichtig. Dort ist man die meiste Zeit auf mehr oder weniger öffentliches drahtloses Internet, kurz WLAN, angewiesen. Dass Hacker alles mitschneiden können, was wir dort virtuell tun, wissen die wenigsten. Ich gehe immer auf Nummer Sicher! Kurz darauf antwortet mir eine Eva-Maria mit den Worten »Danke, Maximilian«.

      Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie sehr mir diese Dame mit ihrer geraden, herzlichen Art in Indien ans Herz wachsen würde. Wenige Stunden später erhalte ich dann, der WhatsApp-Gruppe sei Dank, sogar ein Bild von Eva und ihrer Gefährtin Marianne. Die beiden Damen kommen aus Wien, haben sich während der Ausbildung an der École San Esprit kennengelernt und senden ihre Grüße aus dem Airport Hotel, also sind die ersten Heiler ohne Grenzen schon in den Startlöchern, während ich immer noch mit dem Packen beschäftigt bin und an der Auswahl verzweifle. 36 Grad! Das ist ordentlich, denke ich mir, während mein Blick aus dem Fenster auf den Schnee im Garten schweift. Was darf ich auf keinen Fall vergessen? Habe ich auch wirklich alles