Maximilian Medlitsch

Herz über ins Abenteuer


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ihr wissen. Ohne lange nachdenken zu müssen antwortet sie: »Selbstverständlich! Mein erstes Mal in Indien war der wichtigste Aufenthalt in meinem gesamten Leben, weil ich hier erlebt habe, wie gut es mir eigentlich geht. Armut im Fernsehen ist etwas komplett anderes als über arme Menschen hinweg auf dem Bürgersteig gehen zu müssen. Menschen, für die es ein Luxus ist, einen Karton als Unterkunft zu besitzen. Das hat mir verwöhnte West-Göre den Kopf richtig zurechtgerückt. Als Teenager, der in gehobenen Verhältnissen groß geworden ist, war das ein einschneidendes Erlebnis. Das hat viel in mir verändert«, gibt die gebürtige Hessin preis. Da spricht sie etwas Wesentliches an. Ich finde es toll, wie offen sie mir aus ihrem Privatleben erzählt. Meine Arbeit wird das um einiges leichter machen und das Buch interessanter. »Da sprichst du etwas wirklich sehr Interessantes an. Ich glaube, das wird uns allen guttun, mir selbst sicher auch. Ich lasse mich jetzt einfach mal überraschen. In jedem Fall ist meine Vorfreude auf das Abenteuer kaum zu toppen. Jetzt muss ich nur noch die Nacht herumbringen und dann geht es los!« Nachdem mir Neti noch liebe Grüße und eine sichere Reise wünscht, beenden wir das aufschlussreiche Gespräch. Es wird mir nun immer stärker bewusst, welchen lebensverändernden Charakter solch eine Reise in sich birgt. Wird Indien auch mich verändern? Krähen überall

      Dienstag, 2. Januar 2018: Niemals: Das lasse ich mir doch nicht entgehen!

      Es ist sehr früh, als ich an diesem Morgen aufstehe. Normal brauche ich ewig, um aus dem Bett zu kommen. Unter 30 Minuten Wake-up-Time geht bei mir überhaupt nichts. Noch einmal umdrehen, vor sich hindösen. Die ersten freiwerdenden kognitiven Ressourcen nutze ich, um den Fernseher einzuschalten und Nachrichten zu hören, wie jeden Morgen.

      Doch nicht so heute. Ich wache 15 Minuten vor dem Weckton auf, hoch motiviert wie lange nicht mehr – INDIEN ruft! Jetzt geht es also wirklich los. Sogleich springe ich aus meinem Bett und unter die Dusche. Zum vielleicht ersten Mal in meinem jungen Leben fange ich unter ebendieser zu singen an. »In the jungle, the mighty jungle, the lion sleeps tonight ...« Immer noch summend ziehe ich mich an und mache mich für die Fahrt zum Flughafen fertig.

      Das erneute Schleppen meines Koffers (ich habe die Badehose trotzdem eingepackt) betrachte ich als morgendlichen Work-out. Endlich habe ich mein Auto erreicht, die Ankunft am Flughafen München wird in 50 Minuten sein, das Parken meines Wagens mit einkalkuliert –, die Zeit läuft und die Reise wird immer realistischer. Dabei klingelt mein Smartphone schon seit 5 Uhr morgens im Minutentakt. Die WhatsApp-Gruppe der Heiler ohne Grenzen hält alle über die individuelle Anreise der Teilnehmer auf dem Laufenden, die ersten schicken Fotos von ihrer nahenden Ankunft am Flughafen München, von dem aus die Gruppenreise startet. Es entwickelt sich eine einzigartige Euphorie, denn alle wissen, bald geht’s los. Auf nach Indien! In die weite Ferne! Als ich kurz nach 8 Uhr morgens die Eingangshalle des Flughafen Münchens betrete, sehe ich auf meinem iPhone schon die erste besorgte Nachricht: »Maximilian? Bist du da?« Sie stammt von einer gewissen Angelika Höhne, die mir in den letzten Tagen sehr behilflich war, als es um organisatorische Fragen ging.

       Angi prüft ob alle da sind Noch bevor ich antworten kann, gleich ein Anruf von Neti Müller aus Indien: »Max, bist du schon auf dem Weg?« Ich entgegne ihr, dass ich gerade am Flughafen angekommen bin. »Puh, na da bin ich aber erleichtert. Ich hatte schon Sorge, du kneifst doch noch in letzter Sekunde und kommst nicht.« Schmeichelhafte Aufmerksamkeit, so früh am Morgen. Um auch die besorgte Angelika zu beruhigen, schicke ich ein Foto von der Reisegruppe, die ich soeben erblicke, per WhatsApp. »Wir dachten schon, du drückst dich«, entgegnet mir Annette Bokpe prompt schriftlich. »Niemals – das lasse ich mir doch nicht entgehen!« Endlich in der Reisegruppe angekommen, ich kannte den Großteil der Mitreisenden bislang nicht - erblicke ich zuerst Thomas Krack. Den hatte ich wenige Tage zuvor interviewt und dabei sehr viel Spaß gehabt. »Wir Männer müssen zusammenhalten«, »Ein paar gesellige Abende mit ein paar Bierchen sind ja sicher drin.« Von wem diese Aussage stammt, lasse ich an dieser Stelle offen. Dass unter uns ein gewisser Konsens besteht, liegt auf der Hand. Doch zu den Abenteuern des ›Wolfsrudels‹, wie ich das Gespann aus Thomas Krack, Gerhard Neugebauer und meiner Wenigkeit kurzentschlossen benenne, ebenfalls an anderer Stelle mehr. Jetzt müssen zuerst die übrigen Strapazen des Fernreisens gemeistert werden. Die Koffer müssen fernreisetauglich gemacht werden (dabei fällt mir ein, dass ich immer noch Thomas‘ Gepäckband habe, dass er mir freundlicherweise ausgeliehen hat). Nachdem der Koffer aufgegeben wurde, folgt die Passkontrolle. Dort muss ich einer bildhübschen, aber überraschend kritischen Bundespolizistin erklären, wie ich es geschafft habe, zwei Personalausweise zu verlieren. Die sind wirklich sehr gründlich. Nachdem ich scherzhaft versichere, dass ich künftig weniger schlampig sein werde, darf ich die Kontrolle passieren. Und dann geht alles ganz schnell. Security Check, der Weg zum Gate, das Einsteigen ins Flugzeug, in wenigen Minuten werden wir starten. Eine freundliche Dame setzt sich neben mich. Nachdem wir ein wenig geplaudert haben, stellt sich heraus, dass sie ebenfalls ein Mitglied der San Esprit Delegation ist und nach Indien reist. Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit war durchaus hoch bei so einer großen Gruppe, doch noch kenne ich bisher die wenigsten. Einer von ihnen ist Gerhard Neugebauer, den ich auch schon interviewt hatte. Kurz vor Abflug wuselt er sichtbar nervös in Richtung Toilette. Stimmt, da war was, er mag das Fliegen nicht so gerne. Während ich die meiste Zeit beim Fliegen tief und fest schlafe, denn ich habe einen hervorragenden Schlaf, konnte er während des Fluges kein Auge zumachen, wie er mir später berichten wird. Wie erwartet, schlafe ich bald ein. Als ich wenige Stunden später wach werde, fliegen wir gerade über das atemberaubend schöne Taurus-Gebirge der Türkei. Nachdem ich die ersten Eindrücke des Aufbruchs in die Ferne eifrig in mein MacBook getippt habe, fallen mir erneut die Augen zu. Ich bin wie gemacht fürs Fliegen. Foto - Taurus-Gebirge, Türkei Als wir gegen Abend den Persischen Golf erreichen, erstrahlt Dubai in seiner vollen Pracht. Ich habe noch nie ein derart eindrucksvolles Panorama einer Metropole gesehen. Schon von Weitem blinken die Lichter der Stadt, es ist gigantisch. Die aus dem Nichts geschaffene Stadt macht mir in diesem Moment den Einfluss des Menschen auf die Umwelt erst so richtig bewusst. So weit das Auge reicht, hell leuchtende Straßenzüge, Hochhäuser und die klar umrissenen Konturen einer Retortenstadt. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es hier nichts als Sand und Wüste, heute erstreckt sich dort ein imposantes Monument menschlicher Ingenieurskunst und Technik. Sofort fällt auf, dass selbst die fernen Autobahnen hell beleuchtet sind. Die dunklen Flecken der Wüste wirken aus dem Flugzeug wie riesige Seen und Teiche. Länger als gedacht dauert der Landeanflug über das Emirat, er kommt einem inszenierten Sightseeing-Flug gleich oder einer Machtdemonstration. Seht her – das ist Dubai! Landeanflug Dubai Nachdem wir bei der Zwischenlandung das Flugzeug verlassen haben, flaniere ich alleine durch den riesigen Flughafen Dubai. Dieser wurde seit seiner Errichtung 1960 imposant ausgebaut und ist mit einer Fläche von 1400 Hektar und mehr als 88 Millionen Passagieren jährlich der drittgrößte der Welt. Über 90.000 Beschäftigte kümmern sich hier um den reibungslosen Ablauf. Dubai ist eine Stadt der Hyperlative. Kaum vorstellbar, dass derzeit bereits der zweite, noch größere Flughafen in Dubai entsteht. Dieser soll dann endgültig der größte der Welt werden und dem Emirat die Vormachtstellung im internationalen Luftverkehr sichern. Ich bin schon von diesem hier überwältigt. Überall Lichter, multikulti und hochmoderne Gebäudekomplexe. Schnell macht sich trotz der guten Verpflegung an Bord bei mir Hunger breit und ich suche mir einen sympathischen irischen Laden, der schmackhafte Clubsandwiches anbietet. Ich erkenne in einer Gruppe aus drei Leuten Mitreisende der San Esprit Delegation wieder und bitte sie, Platz zu nehmen und mir Gesellschaft zu leisten. Während des Gesprächs stellt sich ein Verdacht, den ich seit kurzem hege, als richtig heraus. Der angesehenste Steuerberater meiner Heimatstadt, dessen Kanzlei ich selbst kenne, ist Heiler ohne Grenzen. Da er mich noch nicht persönlich kennt, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, mir einen kleinen Spaß mit ihm zu erlauben. Die meisten der Gruppe hatten bereits von dem mitreisenden Journalisten gehört, entsprechend ging im Zuge unseres Tischgesprächs auch der ein oder andere Scherz auf meine Kosten. Klar, über Stereotype kann man gut ins Gespräch