Maximilian Medlitsch

Herz über ins Abenteuer


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vor mir, der wie ein Samsung Tablet wirkt und eine Unmenge an Filmen offeriert, verfolge ich die Flugroute in Echtzeit. Ein letztes Mal, bevor ich indischen Boden betrete, überlege ich, was mich wohl erwarten wird. Schon jetzt bin ich weiter von meinem Heimatort entfernt als je zuvor in meinem Leben.

      Indien kannte ich bisher vor allem aus Bollywood-Filmen und Berichten über bedrückende Armut. Ich weiß, keine guten Quellen um ein Land zu beschreiben. Beeindruckt hat mich eine Anekdote von Apple-Gründer Steve Jobs. Bevor er den Weltkonzern gründete, reiste er nach Indien, um sich für eine gewisse Zeit im Ashram Kainchi Dham in den nordindischen Bergen aufzuhalten. Eigenen Aussagen zufolge habe er dort die Inspiration gefunden, was er in seinem Leben erreichen wolle. Was Jobs in den darauffolgenden Jahren schuf, sollte das Leben von Hunderten Millionen Menschen verändern, durch die Entwicklung des Smartphones und so manches mehr. Es gibt noch einen weiteren ›Tech-Gründer‹, der in Indien seine Bestimmung fand. Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Als der Harvard-Student in seinen frühen Gründerjahren mit dem Gedanken spielte, seine Plattform zu verkaufen, wandte er sich an einen seiner Mentoren, Steve Jobs. Dieser riet ihm, einen bestimmten Tempel in Indien zu besuchen, er selbst habe dort seine Vision der Zukunft entwickeln können.

      Zuckerberg befolgte den Rat und entschied sich nach dem Tempelaufenthalt gegen den Verkauf. Diese Anekdote erzählte er dem damaligen indischen Premierminister Narendra Modi bei einem gemeinsamen Treffen 2015. Heute beeinflusst Zuckerberg das Leben von Milliarden Menschen und er hat die Art und Weise sozialer Interaktion für immer verändert.

      Auch wenn ich kein Mensch bin, der Spiritualität zu seinen charakteristischsten Wesenszügen zählt, so bin ich doch sehr aufgeschlossen gegenüber dem Neuen, dem Unbekannten. Diese Geschichten aus dem Leben zweier der größten Pioniere unserer Zeit finde ich beeindruckend. Ein etwaiger Hippie-Esoterik-Stempel ist somit kaum haltbar. Zum einen ist die indische Spiritualität jahrtausende-alt. Zum anderen stehen wenige Menschen so sehr für die Moderne wie Jobs und Zuckerberg und beide trafen nach einem Aufenthalt in Indien die folgenreichsten Entscheidungen ihres Lebens.

      Wie wird es mir selbst ergehen? Werde ich mich verändern? Es sind Überlegungen wie diese, die mich beschäftigen, als ich plötzlich durch eine etwas holprige Landung aus meiner Gedankenwelt gerissen werde.

      Jetzt bin ich da! Indien! Es ist 2.12 Uhr nachts Ortszeit. Ich kann meine Vorfreude kaum zurückhalten. Was ich selbst nicht vermag – das Bremsen der Emotionen –, schafft das indische Flughafenpersonal jedoch mit Leichtigkeit. Ab der ersten Minute bekomme ich einen Eindruck von der ›Effizienz‹ beziehungsweise dem kompletten Mangel an dieser grunddeutschen Eigenschaft. So dauert es sehr lange, bis wir das Flugzeug nach der Landung verlassen können. Aber egal.

      Indien! Endlich! Meine Freude wird auch nicht durch den etwas gewöhnungsbedürftigen Geruch getrübt, der in der Luft liegt. Nun geht es weiter zum Einreiseschalter. Nach einer weiteren Stunde, in der an drei Schaltern vielleicht gerade mal 20 Menschen die Einreise erlaubt wurde, stehe auch ich vor dem kleinen Mann von der Passkontrolle.

      Ich blicke etwas verdutzt, als sowohl mein Gesicht als auch mein Fingerabdruck biometrisch erfasst werden. Ein Vorgang, der etwa 15 Minuten dauert. Endlich darf ich passieren, während ich mich freue, diesmal nicht auf meine verlorenen Ausweisdokumente angesprochen zu werden. Auch bei der Auslieferung des Reisegepäcks zeigt sich die Abwesenheit jedweden Gefühls für Effizienz.

      Nachdem ich, wie auch der Rest der Mitreisenden, eine Stunde vergeblich auf meinen Koffer gewartet habe, beschließe ich schon einmal Geld zu wechseln. Für jeden Euro erhalte ich 66 Rupien. Das ist zwar deutlich weniger als der offizielle Wechselkurs, aber in Ermangelung von Alternativen mache ich diesen für mich sehr schlechten Deal wett, mit der Erkenntnis, so viel wie möglich mit Kreditkarte zu bezahlen, um den offiziellen Wechselkurs zu bekommen.

      War ich bei der Abgabe meiner Fingerabdrücke bei der Einreise nur ein wenig verwundert, staune ich nun umso mehr, dass ich sogar für das Wechseln von Geld eine Kopie meines Reisepasses dalassen muss, mit einem genauen Vermerk, wie viel Geld ich gewechselt habe. Da lobe ich mir doch die amerikanische NSA, also den US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst, deren Bespitzelung geschieht um einiges subtiler und vor allem unbemerkt.

      Als wir nach zwei Stunden Wartezeit unsere Koffer endlich erhalten (ich verkneife mir jetzt einen Kommentar zu der Qualität organisatorischer Abläufe), dürfte unserer Weiterreise eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Eigentlich.

      Als wir uns sammeln und zu unserem Erstaunen feststellen, dass alle Koffer und diese heil angekommen sind, eine der größten Sorgen innerhalb der Gruppe, stellen wir darüber hinaus schockiert fest, dass Helga Weyer, die zunächst Probleme mit ihrem Visum hatte, immer noch nicht passieren durfte.

      Das Problem ist, die Reisepassnummer auf dem Visum stimmt nicht mit der tatsächlichen Reisepassnummer der Heilerin überein. Schuld war ein Zahlendreher. Dennoch wurde der Antrag vorläufig bearbeitet und das Visum bewilligt. Der Fehler hätte jedoch beim Boarding auffallen müssen, dennoch gab die Airline das Okay und laut den indischen Sicherheitsbehörden lag hier eine Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vor. Glück für die knapp 1,60 Meter große Ingenieurin aus der San Esprit Verwaltung, die nun passieren darf, wohingegen der Airline eine Geldstrafe auferlegt wird.

      Entgegen meiner scherzhaften Anmerkungen musste Helga die Zeit bis zur Klärung weder in einer Zelle verbringen noch wurde sie zurück geschickt. Stattdessen blieb die sympathische Frohnatur unter Zuhilfenahme der emotionalen Heilmethode SKYourself sehr entspannt. Damit meistert sie jede Stresssituation, wie sie mir verrät.

      Weiter geht’s! Ein Teil der Gruppe hat sich bereits aufgemacht, um die Shuttle-Busfahrer, die uns nach Pondicherry bringen sollen, davon abzuhalten, aufgrund der Verzögerung ohne uns loszufahren. Nun verlasse auch ich den Flughafen und steuere auf den Ausgang zu.

      Der Gestank schlägt mir unvermittelt brutal entgegen. Nie zuvor in meinem Leben habe ich einen solch penetranten und unangenehmen Geruch vernommen. Ekelhaft. Dazu noch die feuchte Luft. Das hat mich erst einmal umgewatscht, wie der Bayer sagt. Auch das Klima wirkt anfangs wie ein Schock, denn wenige Stunden zuvor habe ich mich noch über den Schnee auf meinem Auto geärgert, den ich von der Frontscheibe abkehren musste. Jetzt ist es über 30 Grad heiß. Wobei ich mich darüber nicht im Geringsten beschweren will. Aber dieser unfassbare Lärm. Ununterbrochen hupt es irgendwo. Das kann man sich nicht vorstellen.

      In diesem Moment erinnere ich mich zurück an die Ausführungen meiner früheren Neuropsychologie-Professorin zur raschen Adaption an neue Verhältnisse. Wir Menschen sind in der Lage, uns an sämtliche Gerüche innerhalb kurzer Zeit zu gewöhnen, so sehr, dass diese uns nicht mehr auffallen. Gleiches gilt für Geräusche. Ich bezweifle diese Erkenntnis, während ich meinen Koffer Richtung Bus schleppe, und bezweifle, dass die werte Frau Professorin je in Indien gewesen ist. Nun beginnt das Abenteuer also endgültig. Zwei indische Busse warten schon auf uns, einer für den Transport der Koffer und ein weiterer, um die Mitreisenden ans Ziel zu bringen.

      Drei mutige Heiler, überwiegend Frauen, erklären sich bereit, mit erstgenanntem Bus zu fahren, um eine sichere Ankunft des Gepäcks zu gewährleisten. Ich würde jetzt gerne behaupten, dass ich mit der großen Gruppe mitgefahren bin, um die Stimmung der Mehrheit besser einzufangen. Das war auch tatsächlich meine Absicht. Doch irgendwie bin ich aufgrund meines ausgezeichneten Schlafes, wie bereits eingangs erwähnt, prädestiniert für Reisen jeglicher Art und so habe ich die Hälfte der Zeit schnarchend mit dem Kopf an das Fenster des Busses gelehnt verbracht. Aber nur den Mittelteil der Fahrt!

      Niemals werde ich die ersten 45 Minuten Reise durch Indien vergessen und was sich dort zu sehen bot. Doch zuerst zu den wagemutigen Heiler. Um auf Nummer sicher zu gehen, fotografieren wir das Nummernschild des voranfahrenden Busses, falls etwas schief laufen würde. Da konnte einem schon mulmig werden.

       Sicher ist sicher: Noch wissen wir nicht, was uns erwartet Die Eindrücke, die sich uns auf der folgenden dreistündigen Fahrt bieten, sind für europäische Verhältnisse gelinde gesagt schockierend. Unbefestigte Straßen, Häuser, die mehr Bauruinen gleichen als Wohnunterkünften oder Geschäftshäusern. Derartige Szenerien sind eher die Regel als die Ausnahme. Was sofort auffällt, ist das pulsierende