viel?«, keuchte Heinz.
»So viel Sie wollen. Was es Ihnen wert ist. Nach oben sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Nur Scheine sind schlecht, die schwimmen beim nächsten Regen weg …«, und als Heinz Baginski keine Anstalten machte, nachzufragen: »Wir warten nämlich immer, bis es geregnet hat, bevor wir die Schale leeren. Geldwäsche, Sie verstehen?«
Diesen Spruch musste wohl jeder Besucher über sich ergehen lassen, genauso wie das nun folgende schallende Lachen.
»Dann passen Sie mal gut auf, dass angesichts der aktuellen Finanzkrise heute Nacht kein Grieche in Ihrer Schale taucht«, kam es von hinten, was wiederum schallendes Gelächter auslöste.
Heinz drehte sich um und blickte in das Strahlen eines Familienvaters, dem seine Frau und drei Kinder wie eine Entenfamilie folgten. Derart angetrieben, warf Heinz Baginski schnell zwei Euro in die Schale und setzte seinen Weg fort.
»Moment«, rief der Kojenwärter hinter ihm her. »Nehmen Sie die Beschreibung mit, sonst wissen Sie doch gar nicht, wo Sie hin müssen, und am Ende verlaufen Sie sich noch.«
Er reichte Heinz ein in Klarsichtfolie verpacktes Blatt Papier, das auf der einen Seite die Geschichte des Entenfangs wiedergab, auf der anderen Seite eine Grafik mit der gesamten Boldixumer Vogelkoje und dem rot eingezeichneten Weg. In der Mitte der Anlage befand sich der quadratische Kojenteich, da wollte Heinz hin. Zuerst musste er links an einer sogenannten Pfeife vorbeigehen. Das war ein drahtummantelter geschwungener Wasserarm, der vom Hauptteich abzweigte und an dessen Ende ein Käfig angebracht war. Hier hinein sollten die von zahmen Artgenossen angelockten Wildenten schwimmen, um dann geringelt zu werden. Abgeschirmt wurde die Pfeife vom Weg durch schräggestellte Strohwände, hinter denen sich der Entenjäger verstecken konnte, bis die Wildenten weit genug geschwommen waren und durch sein plötzliches Auftauchen in den Käfig gescheucht wurden. All das entnahm Heinz Baginski der Beschreibung auf dem Zettel.
Am Ende der Pfeife, respektive an ihrem Anfang, befand sich also der Teich, den Heinz erreichen wollte. Dazu musste er ein paar Holzstufen erklimmen, um sich nun an einem Aussichtsplatz vom Niveau her leicht über dem Wasserniveau wiederzufinden. Links stand eine Bank, und dorthin verfrachtete er seine Kamera, froh, das Gewicht endlich nicht mehr am Hals zu haben. Nach so einem Ausflug war die ganze Massage vom Morgen gleich wieder beim Teufel; der leicht stechende Kopfschmerz, der seinen Ursprung im Nacken hatte, bestätigte das.
Aber für wehleidige Selbstbeobachtung war jetzt keine Zeit. Heinz Baginski klappte das Stativ auf, fuhr die Beine aus und zog die Mittelsäule hoch. Dann stellte er es an das Geländer vor dem Teich, nahm seine Kamera, schraubte die Stativklemme darunter und setzte sie auf das Manfrotto. Jetzt den Objektivdeckel ab, die Kamera einschalten und los geht’s. Dachte Heinz. Aber ganz so einfach war das nicht, denn zunächst einmal mussten Enten da sein, und die waren eben nicht da.
Hinter sich, am Fuße der Treppe und damit noch im Bereich der Pfeife, tönten laut die Stimmen der Familienmitglieder, die hinter Heinz in die Koje gekommen waren.
»Da sind Enten!«, schrie eines der Kinder und rannte offenbar mit seinen Geschwistern hinter ein paar Tieren her, die sich in der Pfeife versteckt zu haben schienen und jetzt von den kreischenden Stimmen aufgescheucht wurden. Denn nun hob ein vielstimmiges Geschnatter an, und mit heftigen Flügelschlägen liefen ein paar Enten regelrecht aus der Pfeife über das Wasser auf den offenen Teich.
Gute Kinder, dachte Heinz und legte mit dem Objektiv auf das Federvieh an, revidierte sein Urteil aber sofort wieder, als die schreienden Bälger, gefolgt von den ebenfalls begeisterten Eltern, die Treppe hinaufstürmten und sich an das Geländer warfen, um direkt vor Heinz’ Linse herumzuspringen. Die Enten quittierten das erneut mit heftigem Geschnatter, Flügelschlagen und übereilter Flucht in eine gegenüberliegende Pfeife, die den Blicken der Besucher verborgen und auch nicht öffentlich zugänglich war.
»Oh, schade!«, rief die Mutter der ungezogenen Blagen. »Jetzt sind sie weg.«
»Komisch«, knurrte Heinz leise. »Wie das wohl kommt.«
Nun hieß es warten – darauf, dass die Kinder verschwanden, und darauf, dass die Enten zurückkehrten. Heinz Baginski ließ sich seufzend auf der Bank nieder. Er übte sich in Geduld und in der Bauchatmung, die Ronny Lange ihm beigebracht hatte, um sich im Extremfall selber wieder zur Ruhe bringen und Herzanfälle vermeiden zu können. Die Familie trat den Rückzug an, enttäuscht, dass es auf dem Teich nichts mehr zu sehen gab, und die Enten blieben da, wo sie sicher waren. Heinz Baginski wartete …
Als er schon kurz davor war aufzugeben, tauchten die Tiere wieder auf. Einträchtig schwammen sie ins offene Wasser hinaus und versenkten ihre Köpfe abwechselnd, um auf dem Boden des Teiches nach Algen zu gründeln. Heinz erkannte überwiegend Stockenten, nichts Besonderes also, denn die gab es auch in Bottrop in rauen Mengen. Aber ein Vogel war anders: pechschwarz mit weißer Brust. Eine Krickente, da war Heinz sich sicher. Sorgfältig richtete er seine Kamera aus, visierte das begehrte Objekt an und wollte gerade auslösen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte.
»Feierabend, junger Mann«, sagte der Kojenwärter. »Zwölf Uhr. Ich mache jetzt dicht.«
Es war zum Verzweifeln.
»Kann ich nicht noch eben …«, begann Heinz, aber der Kojenwärter winkte bestimmt ab und begleitete dies mit einem heftigen Kopfschütteln.
»Neenee, da müssen Sie morgen wiederkommen. Ich habe hier jetzt noch eine Menge zu tun.«
Was es angesichts der Handvoll Enten hier zu tun gab und inwiefern ein Besucher dabei störte, erschloss sich Heinz Baginski zwar nicht, aber da war wohl jeder Widerstand zwecklos, zumal das Federvieh dank der lauten Stimme des Kojenwärters bereits wieder in einer der Pfeifen verschwunden war. Also baute der Erfolglose seine Ausrüstung ab und hängte sich seine Geräte nach bewährter Art um den Hals.
»Gucken Sie doch mal am Vorland«, riet der Wärter noch, als Heinz durch den Buschtunnel zurück zu seinem Fahrrad trottete. »Da sind auch immer viele Möwen.«
Möwen, dachte Heinz, ich will keine Möwen, ich will Enten, und die kriege ich auch – und zwar heute, verlass dich drauf, du Kojen-Schimanski!
Er war selbst erstaunt, denn ihm hatte sich eine Idee eingeschlichen, ein Plan gar, und der sah so aus: Heinz Baginski würde nicht zurück nach Wyk radeln. Er würde, wie ihm der Kojenwärter geraten hatte, am Deich entlang zum Midlumer Vorland fahren und dort abwarten. Später, wenn der Kojenwärter sicher verschwunden war, würde er dann zur Vogelkoje zurückkehren und die Enten fotografieren. Das würde ihm morgen einen ganzen Vormittag sparen und dazu den erneuten Eintritt.
Henning Leander saß in der Küche seines kleinen Fischerhäuschens in der Wilhelmstraße mit einer Kaffeetasse in der Hand am Küchentisch und schaute in den Garten hinaus. Das heißt, eigentlich schaute er in die Wildnis hinaus, die sein Großvater dereinst als Garten angelegt hatte. Leander wohnte nun ein gutes halbes Jahr in diesem Häuschen, das seit dem Tod des alten Heinrich ihm gehörte, und in der ersten Zeit war der Winter sein Freund gewesen, wenn es darum ging, einen Grund zur Vermeidung der Gartenarbeit zu finden. Aber dieser Winter war, so unerbittlich und unwirtlich er sich diesmal auch in die Länge gezogen hatte, seit einiger Zeit vorbei. Der Frühling hatte für ein üppiges Pflanzenwachstum gesorgt. Dabei hatte Leander sich gezielt an den Blüten der Obstbäume erfreut, wenn er morgens durch das Küchenfenster geschaut hatte, und die Wiese, die Woche für Woche höher wurde, einfach ignoriert. Doch das ging nun nicht mehr: Der Sommer war gekommen, die Bäume hatten ihre Blüten gegen Fruchtknoten getauscht, die langsam zu ganzen Früchten heranwuchsen, und nichts mehr lenkte das an Ästhetik gewöhnte Auge von der Wildnis ab, die den Garten zu verschlingen drohte. Sogar die Holzhütte im hinteren Teil, zu der Leander im Schnee noch mühelos vorgedrungen war, wenn er Brennholznachschub geholt hatte, entschwand allmählich ganz dem Blick des Betrachters. So ging das nicht weiter.
Leander seufzte, schenkte sich aber zunächst noch einmal Kaffee nach, bevor er sich zu der unvermeidlichen Erkenntnis durchrang, dass die Ruhe nun ein Ende haben musste. Die Bürden des Haus- und Gartenbesitzers harrten seiner, und sie taten dies mit einer Unerbittlichkeit, derer er sich nicht länger erwehren konnte. Kurz und gut: An diesem Sommermorgen