»Ich denke, auf ihrem eigenen Zimmer. Beim Abendbrot machte sie mir einen etwas fahrigen Eindruck. Allerdings behauptete sie steif und fest, alles sei in Ordnung. Ich habe es darauf beruhen lassen und mich auf das Essen konzentriert. Es war übrigens recht gut, falls es dich interessiert«, erklärte Petra.
»Hast du nach ihr geschaut, bevor du zum Hafen gegangen bist?«, fragte Jörg.
Die Unruhe in seiner Stimme nervte sie. Sie wollte diesen Abend zu zweit verbringen und nicht zu dritt. »Nein. Warum sollte ich? Wenn sie krank ist, soll sie es sagen.« Petra stand auf und nahm ein Päckchen Kekse aus dem Nachtschrank. »Hier. Probier mal. Die sind echt lecker.«
Doch Jörg reagierte nicht. Fast regungslos saß er auf dem Sofa und starrte auf etwas, das wohl nur er an der Wand sah.
»Ich kann gleich mal nach ihr schauen, wenn dir das lieber ist«, sagte Petra versöhnlich, »aber erst bekommst du von mir meinen Tagesablauf.« Sie berichtete ihm ausführlich, was sie alles organisiert hatte. Den Teil mit den Haaren ließ sie allerdings aus und war heilfroh, dass er überhaupt nicht gemerkt hatte, dass ihre Haarfarbe um einiges heller geworden war, seit sie ihn am Festland zurückgelassen hatte. Typisch Mann. »Und morgen geht es weiter mit der Planung. Dann zu zweit.« Entschlossen schaute sie ihn an.
»Nachmittags habe ich aber eine Vorstellung im Kinderspielhaus. Da komme ich nicht drum herum.« Es fühlte sich warm an, als Jörg ihre Hand nahm und streichelte. »Und abends eine für Erwachsene.«
Tja, leider. Den Termin hatte er im Winter bereits mit der Kurverwaltung abgesprochen. Da war von Hochzeit überhaupt noch keine Rede gewesen. »Ich weiß«, seufzte sie, »das Plakat mit der Ankündigung hängt in allen Schaukästen. Aber dann geht es nur noch um mich und dich.« Eigentlich hätte sie zu gern gewusst, warum er einfach nicht ans Telefon gegangen war. Aber sie mochte die gemütliche Stimmung nicht kaputtmachen. »Prost, mein Schatz«, sagte sie und hob ihr Glas.
»Auf uns«, antwortete Jörg und lächelte.
*
Michael Röder war verwirrt. Das Klingeln hörte nicht auf. Er tastete nach seinem Wecker, drückte ein zweites Mal energisch auf die AUS-Taste, doch es half nichts. Es klingelte einfach weiter.
»Dein Handy«, murmelte Sandra undeutlich.
Verdammt. Es war nicht schön, wenn sie aufwachte, weil er nachts raus musste. Er hatte ihr neulich sogar angeboten, im Sommer im Gästezimmer zu übernachten, aber sie hatte nur gelacht.
»Wenn ich dich nicht jedes Mal wecken würde, wenn es klingelt, würdest du so ziemlich jeden Einsatz verschlafen«, hatte sie geantwortet.
Da meinte man es schon mal gut …
Wo war dies verdammte Handy?
Er stolperte über seine Hose und hätte sich beinahe zu Fall gebracht. Im letzten Moment konnte er sich an der Wand abstützen. Natürlich lag sein Telefon da, wo er es immer abends hinlegte. Auf dem kleinen Beistelltischchen. Aber er brauchte eben eine gewisse Zeit, bis sein Verstand vom Schlaf- in den Hellwach-Modus umschaltete.
»Polizeistation Baltrum. Röder.« Es war gar nicht so einfach, gleichzeitig eine Jacke anzuziehen und zu telefonieren. »Was sagst du? Am Strand? Wir sind unterwegs.« Röder stöhnte. Seit vier Nächten das gleiche Theater. Irgendwelche Rowdys, die den Hals nicht vollkriegen konnten, machten in den Strandkörben die Nacht zum Tage und hinterließen oftmals einen Scherbenhaufen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Er rief seinen Kollegen Geerd Ulferts an, der in der Dienstwohnung nebenan wohnte, und wiederholte, was Jan Immel, der Leiter des Jugendclubs, ihm gerade erbost erzählt hatte.
»Ich bin sofort bei dir«, sagte sein Kollege knapp.
Es dauerte nicht lange, da saßen sie auf ihren Rädern und fuhren gen Osten am Schwimmbad und weiter am Kiefernwäldchen vorbei. Hin und wieder überholten sie ein paar wenige Urlauber und wichen Kaninchen aus, die, vom Licht ihrer Fahrradlampen aufgeschreckt, planlos über die Straße hoppelten. Vor dem Wasserwerk bogen die beiden Polizisten links ab zum Strand. Schon von weitem hörten sie das Gegröle.
Bei Starks Strandladen, hinter dem sich der Jugendclub befand, wartete bereits Jan auf sie. »Die haben den Vollschuss!«, sagte er aufgebracht. »Sollte mich nicht wundern, wenn die gleich ein Feuerchen machen. Wegen der Gemütlichkeit …«
»Wir schauen uns die Sache mal an«, erwiderte Michael Röder knapp.
Nach ein paar Metern hatten sie den Strand erreicht. Röder und Ulferts knipsten ihre Taschenlampen an. Immer lauter werdende Stimmen führten sie schnell zu einer Strandburg, in der ein paar Jugendliche feierten. Jede Menge Bier- und eine leere Bacardiflasche lagen neben ihnen im Sand.
»Was gibt das hier?«, fragte Ulferts.
»Paadddy!«, war die verschwommene Antwort.
»Ich fordere euch dringend auf, diesen Platz zu verlassen und nach Hause zu gehen. Schlaft euren Rausch aus. Dann werde ich mich nicht erinnern, heute Nacht hier gewesen zu sein«, bot Röder ebenso freundlich wie nachdrücklich an.
Vergeblich. Das war ihm vorher klar gewesen. Aber er wollte sich nicht nachsagen lassen, dass er es nicht im Guten versucht hätte. »Eure Ausweise bitte! Und zügig, meine Herrschaften!«
»Menno. Jede Nacht das gleiche Elend. Wir wollen einfach nur feiern«, maulte einer der Jungs.
»Klar«, sagte Ulferts. »Habe ich Verständnis für. Aber nicht auf Kosten anderer.« Sein Blick fiel auf ein kleines Häufchen Holzstöcke. »Wenn ich das richtig sehe, war das hier zum Beispiel mal ein Strandkorbgitter. Nicht billig, die Dinger. Sollte mich nicht wundern, wenn es genau zu diesem Korb gehörte.« Er zeigte auf einen Korb, in dem ein Pärchen eng umschlungen vor sich hin kuschelte. »Und ganz ehrlich gesagt habe ich nicht mehr die geringste Lust, nachts aus dem Schlaf geholt zu werden, nur weil eine Horde Bekloppter mit der Zeit nichts Besseres anzufangen weiß, als hier Randale zu veranstalten. Also los jetzt. Ausweise.« Seine Stimme war energischer geworden.
»Hab meinen nicht mit.« – »Ich auch nicht.«
Röder langte es. Immer das gleiche Theater. »So, meine Herrschaften. Es reicht. Wir gehen jetzt zur Wache und dann wollen wir mal sehen, ob wir nicht herausfinden, wer eure Eltern sind.«
Schallendes Gelächter war die Antwort. Eines der Mädchen rief: »Wie wollt ihr es zu zweit hinkriegen, uns mitzunehmen? Das möchte ich echt mal erleben. Wir bleiben hier sitzen und fertig.« Sie griff nach einer Flasche Bier, öffnete sie mit einem Feuerzeug und nahm einen tiefen Zug.
»Das dürfte kein Thema sein.« Er nahm sein Handy aus der Tasche. »Spätestens in zehn Minuten habe ich Amtshilfe von der Feuerwehr. Und glaubt mir: Die Jungs haben genau so wenig Bock, sich mit euch zu befassen, wie wir. Das könnte echt unangenehm werden.«
Plötzlich entstand Bewegung in der Runde. Die jungen Leute rappelten sich murrend auf. Es waren die altbekannten Gesichter, die er in den Nächten zuvor schon auseinandergescheucht hatte.
Bis auf eines. Der Mann schien um einiges älter zu sein, soweit Röder es im Licht seiner Taschenlampe erkennen konnte. Ehe er sich versah, hatte der Mann sich umgedreht, war mit einem Satz aus der Strandburg gesprungen und zwischen den Strandkörben in der Dunkelheit verschwunden. Geerd Ulferts schaute seinen Kollegen an, doch Röder winkte ab. »Den kriegst du sowieso nicht. Aber ich habe mir sein Gesicht gemerkt. Der läuft uns bestimmt noch mal über den Weg.« Er wandte sich an die Gruppe. »Wer war das? Kanntet ihr den?«
Die Jugendlichen schüttelten die Köpfe. »Der ist keiner von uns.« – »Der hat sich einfach dazugesetzt.«
»Der war total komisch. Aber er hat den Bacardi mitgebracht. Wenigstens das«, erklärte einer der Jungs.
»Also, meine Herrschaften«, mahnte Ulferts, »ich hätte gerne die Identitätsnachweise und Anschrift auf der Insel. Aber zügig bitte.« Nach und nach rückten die Jugendlichen ihre Ausweise raus. Er machte sich ein paar Notizen. »Ihr könnt euch die Papiere morgen auf der Wache abholen. Dann reden wir auch über