Florian Steger

Disziplinierung durch Medizin


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einer Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskrankheiten in der Kleinen Klausstraße 16

      Anfang der 1950er Jahre wurden einige Änderungen im Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale) diskutiert und schließlich umgesetzt. Zu diesen Veränderungen gehörte einerseits, dass die „durchgeführten Grossrazzien auf Geschlechtskranke (…) aufgehoben und durch gezielte Lokalkontrollen ersetzt“68 wurden. Andererseits setzte sich eine neue Auffassung über Geschlechtskranke durch: Diese seien keine Prostituierten, sondern „Asoziale“, die erzogen werden müssten. Unterstrichen wurde hierbei die Auffassung, „daß unser fortschrittlich demokratischer Staat verpflichtet ist, alle Menschen zu erziehen, zum Schutze der gesunden Gemeinschaft besondere Fürsorge für die Gefährdeten zuwenden muß“.69 Darüber hinaus wurde mit dem Bauantrag (1949) und dem Bauschein (1950) für eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskranke in der Kleinen Klausstraße 16 die Grundlage für die geschlossene Venerologische Station in Halle (Saale) gelegt. Die neuen Lokalkontrollen, welche die bisher üblichen Großrazzien ablösten, wurden durch Mitarbeiter der Kreisgeschlechtskranken-Aufsicht in Begleitung von Volkspolizisten durchgeführt.70 Für diese mehrfach wöchentlich stattfindenden „nächtlichen Kontrollen“71 erhielten die Mitarbeiter eine Aufwandsentschädigung. Dieses System der nächtlichen Lokalkontrollen wurde in den folgenden Jahren ausgebaut. So findet sich ein Schreiben vom 26. Februar 1953, in dem die gezielten Kontrollen dargestellt werden. Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten seien laufend nächtliche Lokalkontrollen und -streifen im Stadtgebiet erforderlich, um die „HwG.-treibenden Personen zu erfassen und der entsprechenden Untersuchung zuzuführen. (…) Sie werden von den Gesundheitsaufsehern der Dienststelle zum Teil mit Amtshilfe der Kripo, Abt. KC 4, durchgeführt“.72 Nach der Registrierung wurden die aufgegriffenen Personen den medizinischen Versorgungseinrichtungen übergeben.

      Parallel zur Umstellung von Groß- auf Lokalrazzien änderte sich auch die Vorstellung von geschlechtskranken Mädchen und Frauen in der Verwaltung von Halle (Saale); von der Prostituierten zur „Asozialen“. Mit diesem Wandel deutete sich eine Umstellung im Umgang mit Geschlechtskranken an. Bis Ende der 1940er Jahre wurden geschlechtskranke Frauen mehr oder weniger als Prostituierte betrachtet, die sich aus der wirtschaftlichen Not heraus und infolge des Zweiten Weltkriegs prostituierten: „Wir wissen, daß in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch große wirtschaftliche Maß- und Notstände überwunden werden mußten. Die Not in der Ernährungslage bestimmte haltschwache und triebhafte Frauen, sich durch hemmungsloses Ausleben wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.“73 So heißt es in einer Vorlage für die Stadtverwaltung von Halle (Saale). Diese Frauen galt es zu registrieren, medizinisch zu versorgen und teilweise zu internieren.

      Diese Perspektive, geschlechtskranke Frauen als Prostituierte zu betrachten, war in den verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung Halle (Saale) traditionell verankert. Bis Ende der 1940er Jahre existierte in der Kleinen Nikolaistraße ein bekanntes Rotlichtviertel, wie sich ein Zeitzeuge aus Halle (Saale) erinnert: Zu der damaligen Zeit war es dort „recht anrüchig, also alleine ging man da nicht rein. Ich musste einmal da rein. Jetzt lachen Sie nicht. Ich habe Zimmermann gelernt und eines Tages sagt der Geselle zu mir, so 1948, war im zweiten Lehrjahr, pack mal das Werkzeug ein, das und das, wir müssen morgen früh gleich in die Kleine Nikolaistraße, dort ist irgendwie, in Garagen ist eingebrochen worden, wir müssen das wieder dicht machen. Naja, da komme ich als 16-Jähriger nun da lang, naja man musste ja, durchgezogen sind wir ja schon mal als junge Kerle, aber in der Gruppe, es war ja ein bisschen gefährlich. So, naja, da hingen so ein paar Damen aus dem Fenster und das war so kurz vor 7 (…) und denn war da auch ein Gemüsegroßhändler und da kauften die Damen ein und naja, ich habe geguckt, die waren ja wirklich leicht angezogen“.74 Eine Anspielung auf diese Geschichte rund um die Kleine Nikolaistraße findet sich in der Oleariusstraße, Ecke Große Klausstraße in Halle (Saale) in einem Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955). Es wurde 1988 gemalt und 2002 überarbeitet bzw. erneuert und zeigt unter anderem Szenen, die auf die Straßenprostitution in Halle (Saale) anspielen (Abb. 2).

      Abb. 2 Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955) von 1988/​2002 (Ausschnitt aus Wandbild, 2014)

      Infolge dieses Wandels wird es nicht mehr um Prostituierte gehen, die sich aus wirtschaftlicher Not prostituierten, sondern um die sogenannten „Asozialen“77: „Es ist in Zahlen nachweisbar, daß ein bestimmter Teil von Frauen und Mädchen in den letzten 2 Jahren bis zu 10mal lang- und kurzfristiger stationärer Behandlung benötigten. Dabei sei aufgezeigt, in welchem Maße die Volksgemeinschaft durch das ungezügelte Triebleben asozialer Elemente gefährdet und belastet ist. Sie entziehen nicht nur dem Aufbau ihre Kräfte, sondern verursachen hohe Kosten, finanzielle Mittel, die wiederum dem Aufbau der Wirtschaft entzogen werden.“78 Für diese „triebhaften“, „asozialen“ und geschlechtskranken Mädchen und Frauen galt es, so sieht es das Diskussionspapier für die Stadtverwaltung vor, geschlossene Einrichtungen zu schaffen, in denen ihnen der Willen zu nützlicher Arbeit anerzogen werden sollte. Als pädagogische Grundlage für die Erziehung der gefährdeten Mädchen und Frauen sollten die Schriften des sowjetischen Schriftstellers Anton Semjonowitsch Makarenko (1888 – 1939) dienen.79 Im Diskussionspapier heißt es: „In seinem ‚Pädagogischen Poem. Der Weg ins Leben‘ schildert er (Makarenko, d. A.) die Erfolge seiner Erziehungsarbeit bei Jugendlichen, die verwahrlost sind. Unsere Zeit sieht den Sinn des Lebens im Einsatz für eine allgemeine, gleichmäßige Höherentwicklung der Gesellschaft und könnte auf dieser Grundlage das Problem der Gefährdetenbetreuung und im Großen gesehen das der Bekämpfung der Geschlechtskrankheit lösen.“80 Dieses Diskussionspapier beschreibt den grundsätzlichen Wandel im künftigen Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale): Nicht Arbeitslager, sondern geschlossene Einrichtungen für Gefährdete und deren pädagogische Unterweisungen stellten nunmehr das Maß der Dinge dar.

      Eine solche Einrichtung war die geschlossene Venerologische Station der Poliklinik Mitte in Halle (Saale). Bevor diese geschlossene Station im Jahr 1961 eröffnete wurde, sollte an gleicher Stelle, in der Kleinen Klausstraße 16, eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen eingerichtet werden. Die Institution der Beobachtungsstation für geschlechtskranke Mädchen und Frauen war in Halle (Saale) nicht neu. Eine Beobachtungsstation war bereits 1947 zur Unterstützung der Ambulatorien eingerichtet worden. Dorthin wurden viele durch die Polizeistreifen aufgegriffenen Mädchen und Frauen zur Untersuchung eingeliefert, wie Medizinalrat L. in seinem Vortrag im Polizeipräsidium von Halle (Saale) ausführte.81 Im Herbst 1949 liefen die Planungen für eine weitere Beobachtungsstelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen.

      Die Aufgaben dieser Beobachtungs- und Fürsorgestelle wurden