viertel vier über den Notruf gemeldet worden, rief sich Sandra in Erinnerung. Bäcker standen wohl auch samstags früh auf. Aber was hatte die überlebende Schwester mitten in der Nacht zu tun gehabt? War sie Frühaufsteherin, arbeitete in der Nachtschicht oder litt sie unter Schlafstörungen, überlegte sie.
»Was arbeitet die Dame denn nachts?«, sprach Bergmann ihre nicht gestellte Frage aus.
»Schneiderin«, antwortete der Landpolizist.
»Den Lex-Schwestern gehört die G’wandschneiderei in Aussee«, sagte seine Kollegin.
»Eine Schneiderwerkstatt?«, fragte Sandra nach.
»Und ein Trachtengeschäft.« Die Polizistin schien sich über ihre Frage zu wundern, als wäre die G’wandschneiderei über die Grenzen des Ausseerlandes hinweg weltberühmt.
»Die eine Chefin hat also geschlafen oder war bereits tot, als der Brand ausgebrochen ist, während die andere nachts in der Schneiderei gearbeitet hat«, fasste Bergmann zusammen.
Die Provinzpolizistin bestätigte das.
»Hat es in letzter Zeit Fälle von Brandstiftung bei euch oder auch in der näheren Umgebung gegeben?«, erkundigte sich Bergmann als Nächstes. Seine Hände waren tief in den Jackentaschen vergraben. Aus einer ragte zudem seine Taschenlampe.
»Die letzten Brandfälle hat’s gehäuft in Bad Mitterndorf gegeben«, erwiderte die Polizistin. »Im Frühjahr ist dort ein Hof samt Wohnhaus, Stallgebäude und Garagen ebenfalls in den frühen Morgenstunden abgebrannt. Am Grundlsee wüsste ich nicht.«
Der Kollege gab ihr recht.
»Konnte der Brandstifter von Bad Mitterndorf ausgeforscht werden?«
»Er verbüßt zurzeit eine Haftstrafe.«
»Und wie sieht es mit anderen Brandstiftern beziehungsweise Pyromanen aus? Wurde vielleicht kürzlich jemand aus der Haft entlassen?«
Den Landpolizisten war kein weiterer Fall aus der jüngeren Vergangenheit bekannt.
Bergmann zog seine Hand samt der Taschenlampe aus der Jackentasche, um damit die Umgebung auszuleuchten. Außer ein paar kahlen Büschen und Bäumen war nichts zu erkennen. »Hätte der Brand nicht schon früher entdeckt werden müssen?«, überlegte er laut, den Blick auf die Lichter am gegenüberliegenden Ufer gerichtet. »So eine gewaltige Feuersbrunst fällt doch auf. Überhaupt in der Dunkelheit.«
»Sollte man meinen«, stimmte ihm der Brandexperte zu.
»Jo mei, am Land gehen die Leute früher liegen«, meinte der Polizist.
»Weder diese Ecke des Grundlsees noch das Ufer direkt gegenüber sind stark besiedelt«, ergänzte seine Kollegin.
Sandra blickte in der Dunkelheit um sich. So abgeschieden dieser Ort auch lag, dass der Feuerschein in der Nacht nicht schon früher jemandem aufgefallen war, verwunderte auch sie. Vereinzelte Spätheimkehrer gab es doch immer. Noch dazu, wo gerade Weihnachtsferien waren. Oder Frühaufsteher beziehungsweise Leute, die nicht schlafen konnten. Möglicherweise hatte den Leuten die Silvesternacht so sehr zugesetzt, dass sie die folgende Nacht verschliefen. Bis auf den Bäcker, der aufstehen musste.
»Hier sagen sich vermutlich nicht einmal Fuchs und Hase Gute Nacht.« Bergmann sah sich ebenfalls um.
Die beiden Uniformierten warfen einander Blicke zu.
Wieder zwei Kollegen in der Provinz, bei dem sich der Chefinspektor als arroganter LKA-Ermittler aus der Landeshauptstadt unbeliebt machte, dachte Sandra.
Damit nicht genug, setzte er noch eins drauf. »Es heißt doch: ›Im Salzkammergut kann man gut lustig sein‹«, bezog er sich auf das bekannte Lied, das er vermutlich aus dem Film Im weißen Rössl kannte. Die gleichnamige Operette von Ralph Benatzky hatte er wohl kaum gesehen, vermutete Sandra. Zumindest nicht freiwillig. So gut kannte sie den Chefinspektor allemal.
Die beiden Landpolizisten ersparten sich eine Antwort. Aus ihren Gesichtern ließ sich dennoch einiges ablesen. Nur nichts Gutes. Wenngleich die Ausseer an Kummer mit Fremden gewöhnt waren. Ob es sich nun um Touristen oder Zweitwohnsitzer handelte, von denen die meisten aus Wien stammten.
»Wenn du es lustig haben möchtest, musst du im Fasching wiederkommen«, meinte Sandra versöhnlich. »Der Ausseer Fasching ist sogar als immaterielles Kulturerbe ins Österreichische UNESCO-Verzeichnis eingetragen.« Dass in der fünften Jahreszeit drei Tage lang Ausnahmezustand im Ausseerland herrschte, war weit über die Grenzen der Region bekannt. Dann zogen die Maschkera – die Maskierten – durch die Straßen: die Trommelweiber in ihren Frauenmasken und weißen Gewändern, die farbenfroh glitzernden Flinserl und die Fetzen schwingenden Pless, die von den Kindern mit Schneebällen beworfen wurden, um den Winter symbolisch zu vertreiben. Allerorts wurde nach altem Brauchtum ausgelassen gefeiert.
»Bis zum Fasching wollte ich eigentlich nicht hierbleiben«, entgegnete Bergmann. »Eine Nacht sollte uns fürs Erste reichen.«
Allein für sein anzügliches Grinsen wäre ihm Sandra am liebsten an die Gurgel gesprungen. Vor den Kollegen schluckte sie ihre Antwort jedoch hinunter.
»Entschuldige, Sascha«, meldete sich der Brandexperte zu Wort. »Brauchst du uns hier noch? Wir würden sonst nach Graz aufbrechen.«
»Fahrt ruhig. Wir sehen uns beim Team-Meeting am Montag«, entließ er die Kollegen.
»Um welche Uhrzeit?«
»Miriam schickt den Termin rechtzeitig aus«, versprach Bergmann. »Ich hoffe zumindest, dass wir nur eine Nacht hier verbringen müssen.«
Das hoffte Sandra auch. Wenngleich noch nicht abzusehen war, wohin die Ermittlungen in den nächsten Stunden führen würden.
»Habt ihr ein Zimmer für uns organisiert?«, erkundigte sich der Chefinspektor bei den Landpolizisten.
»Zwei Zimmer«, zischte Sandra.
»Wir haben eine Ferienwohnung mit zwei Schlafzimmern für euch reserviert«, antwortete die Kollegin. »Was anderes war nimmer zu bekommen. Sind ja noch Ferien.«
Sandra bedankte sich einigermaßen erleichtert. Solange es eine Schlafzimmertür gab, die sie von Bergmann trennte, war ihr alles recht.
»Die Wohnung ist etwa fünf Minuten von hier entfernt und recht gemütlich«, versicherte ihr die Kollegin. »Es gibt sogar eine Sauna im Badezimmer, in der ihr euch aufwärmen könnts.«
Die Miene des Chefinspektors hellte sich augenblicklich auf.
Höchstwahrscheinlich dachte er an die Therme Loipersdorf, wo sie sich einmal unbeabsichtigt in der Sauna begegnet waren. Bergmann hatte ihr seinen Familienschmuck dermaßen breitbeinig präsentiert, dass Sandra dieses Bild bestimmt nie wieder aus ihrem Kopf bekommen würde. Auch jetzt wich sie seinem Blick aus und nahm den Wohnungsschlüssel entgegen, den ihr die Polizistin überreichte.
»Die Adresse und die Apartmentnummer stehen auf dem Schlüsselanhänger.«
Wie praktisch, dachte Sandra und steckte den Schlüssel ein. Wenn er in die falschen Hände geriet, wusste der potenzielle Einbrecher wenigstens gleich, wohin er fahren musste, um die Gästewohnung zu plündern.
»Ihr müsst’s nur dem Wegweiser zum Biobauernhof …«, setzte die Polizistin zu einer Erklärung an, als Bergmann ihr ins Wort fiel.
»Wie bitte?« Das Grinsen war ihm schlagartig vergangen. »Ein Bauernhof?«, fragte er entsetzt.
Alle Blicke richteten sich auf ihn.
Jetzt grinste Sandra in sich hinein. Mit Bauernhöfen hatte der Chefinspektor wahrlich nichts am Hut, wusste sie. Erst recht nicht, wenn dort Tiere gehalten wurden, die auch nach Tieren rochen. Schon einmal hatten sie in einer bäuerlichen Notunterkunft übernachten müssen, als sie während der Alpinen Ski-WM in Schladming in einem Mordfall ermittelt hatten und in der restlos ausgebuchten WM-Stadt kein Quartier mehr aufzutreiben gewesen war. Zwar herrschte in den Weihnachtsferien auch im Ausseerland Hochbetrieb, jedoch waren die Gästezahlen nicht mit jenen