Claudia Rossbacher

Steirertanz


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übernachte ganz bestimmt nicht auf einem Bauernhof«, stellte Bergmann klar.

      »Aber wieso?«, fragte die Polizistin irritiert. »Ihr müsst’s am Biohof doch nur vorbeifahren. Und gleich nach der nächsten Kurve rechts zum Apartmenthaus abbiegen«, erläuterte sie.

      »Ach so …« Bergmann blies erleichtert Luft aus, die erneut vor seinem Gesicht verdampfte. »Dann ist es ja gut.«

      »Nimmer lang«, meldete sich der Landpolizist zu Wort.

      Bergmann sah ihn fragend an.

      »Das Apartmenthaus und das gesamte Grundstück dahinter wurden an eine Immobiliengesellschaft verkauft«, erklärte die Kollegin. »Anfang Februar wird das Haus abgerissen. Es soll dort ein luxuriöses Feriendorf mit 30 Chalets im Ausseerstil errichtet werden, das bis hierher zum Lex-Grundstück reicht.«

      »Schad’ um die Gegend«, meinte der Kollege.

      »Wieso schade? Wäre es nicht wünschenswert, wenn hier etwas mehr Leben einkehrt?«, fragte Bergmann. »Gegen höhere Tourismuseinnahmen habt ihr doch bestimmt auch nichts einzuwenden?«

      »Wir Ausseer bleiben aber lieber unter uns«, erklärte ihm der Provinzpolizist, was wahrlich kein Geheimnis war. Da er auf zahlende Gäste nicht angewiesen war, sondern auf ein sicheres Einkommen aus Steuergeldern vertrauen durfte, traf das auf ihn wohl ganz besonders zu.

      Prompt fiel Sandra der Brief wieder ein, den die Bürgermeister der Ausseerland-Gemeinden während des ersten Corona-Lockdowns an die Landesregierung geschrieben hatten, um ein Betretungsverbot für Zweitwohnungsbesitzer zu erwirken, obwohl ein solches in Österreich nicht vorgesehen war. Ausgerechnet vor der Osterwoche hatte dieses Ansinnen gehörig Staub aufgewirbelt und der Region keine Sympathien beschert.

      »Nicht, dass ihr glaubt’s, wir sind fremdenfeindlich«, sprang die Polizistin in die Bresche.

      »Großkopferte Weana Bazi und Zwoaheimische, die net ›griaß di‹, ›pfiat di‹, ›Danke‹ und ›Bitte‹ sog’n kennan, gibt’s bei uns scho’ gnua.«

      Das traf in allen Punkten auf den Chefinspektor zu.

      »Zweiheimische?«, wiederholte er.

      »Zweitwohnsitzer, die nur wenige Wochen im Jahr in ihren Häusern und Wohnungen leben«, erklärte ihm die Polizistin. »Die meisten kommen aus Wien.«

      »Wir leben und wir sterben von denen«, meinte der Kollege.

      »In der Gemeinde Grundlsee dürfen schon lange keine Zweitwohnsitze mehr errichtet oder verkauft werden«, erklärte die Polizistin. »Deswegen schmeißen sich die Immobilienentwickler zunehmend auf Tourismusprojekte.«

      »Und die Gemeinde unterstützt sie«, erklärte der Landpolizist wenig begeistert.

      Seine Kollegin warf ihm einen mahnenden Blick zu.

      »Bleiben wir doch bei diesem Haus hier.« Bergmann wies auf die Brandruine. »Sind die Lex-Schwestern Einheimische?«

      Der Polizist verneinte.

      »Die Villa hat ihr Ururgroßvater um die Jahrhundertwende errichten lassen. Damals durften Zweitwohnsitze noch gebaut werden«, erklärte die Kollegin. »Der alte Herr Lex war Fabrikant in Wien. Seine Familie hat die Ferien immer am See verbracht. Lilli und Luise Lex sind schon die fünfte Generation von Zweiheimischen. Aber die erste, die ihren Hauptwohnsitz hierher verlegt hat, seitdem sie in Aussee arbeiten«, erklärte sie.

      »Wenn sie ausschließlich hier wohnen und arbeiten, dann sind sie doch einheimisch«, meinte Bergmann spitzfindig.

      Die Uniformierten warfen einander Blicke zu. Der Ermittler aus der Stadt hatte nicht die leiseste Ahnung von der Mentalität der Ausseer. Selbst in der fünften Generation zählte man hier noch zu den Zwoaheimischen oder zu den Zuagroasten. Selbst wenn man Miteigentümer der Salinen war und halb Altaussee sein Eigen nennen durfte. Oder hier geboren war und Jahrzehnte später als Oscar-Preisträger, hochgelobter Schriftsteller oder erfolgreicher Unternehmer die dereinst verlassene Heimat besuchte beziehungsweise den Rest seiner Tage hier verbrachte. Bestenfalls wurde man als Heimischer akzeptiert, von den Einheimischen jedoch höflich auf Distanz gehalten oder schlichtweg ignoriert. An den Stammtischen durften nur Einheimische Platz nehmen. Ab und zu auch ganz besonders privilegierte Heimische, wenn sie dazu aufgefordert wurden. Das geschah jedenfalls unabhängig von Stand, Prominenz, Einfluss oder Geld. Wenn es denn überhaupt jemals geschah. Bei den Lex-Schwestern verhielt es sich vermutlich nicht anders. Umso bemerkenswerter fand Sandra, dass sich die beiden ausgerechnet in der Trachtenhauptstadt Bad Aussee an das traditionelle G’wand he­ran­wagten, was beinahe einem Sakrileg gleichkam.

      »Hatte Luise Lex Streit mit irgendjemandem?«, fragte der Chefinspektor weiter. »Vielleicht mit einem Mitbewerber, Angestellten oder Geschäftspartner? Oder auch mit einem eifersüchtigen Partner respektive Ex-Partner?«

      »In Aussee gibt’s schon einige Neidhammeln, die die Lex-Schwestern am liebsten zum Teufel jagen täten«, bestätigte die Landpolizistin, was Sandra vermutet hatte. »Habt’s ihr noch nie was von Lilli & Luise gehört?«, fragte sie die Ermittler aus Graz, als würden diese hinterm Mond leben. Was aus ihrer Sicht zutreffen mochte. Für sie war diese Region der Nabel der Welt. Tatsächlich war Bad Aussee der geografische Mittelpunkt von Österreich. Dennoch lag das Steirische Salzkammergut ziemlich abgeschieden, weshalb sich die eigentümliche Mentalität der Ausseer entwickeln hatte können. Auch der Salzabbau, der die Bevölkerung über die Jahrhunderte hinweg ernährt und ihr eine gewisse Unabhängigkeit beschert hatte, prägte den Charakter der Leute.

      »Die Lex-Schwestern sind eh andauernd in der Zeitung und im Fernsehen«, erklärte die Polizistin weiter.

      Sandra musste dennoch passen. Klatsch und Tratsch zählten ebenso wenig zu ihrem Metier wie Mode. Dazu konsultierte sie meistens ihre Freundin, die eine Boutique in der Grazer Altstadt führte. Ganz bestimmt kannte An­drea Lilli & Luise.

      Die heimischen Trachtenproduzenten waren allesamt nicht erfreut gewesen, als die zwei Wienerinnen die alteingesessene Trachtenmanufaktur übernahmen, erfuhren sie von der Polizistin. Noch dazu, wo sich die Lex-Schwestern kaum den traditionellen Schnitten, Stoffen und Mustern unterwarfen. Ihre Trachtenmode trug eine eigene Handschrift, die vor allem bei den Gästen des Ausseerlandes und außerhalb der Region sehr gut ankam, plauderte die Polizistin aus dem Nähkästchen. Dass der große Erfolg der Schwestern Neider auf den Plan rief, die sie zum Teufel wünschten, lag nahe. Aber hasste jemand sie so sehr, dass er eine von ihnen getötet hatte?

      »Kannst du mir eine vollständige Liste der Trachtenbetriebe im Salzkammergut zukommen lassen?«, fragte Sandra.

      Die Landpolizistin versprach ihr diese für den nächsten Tag.

      Sandra bedankte sich. »Und wie sieht es mit dem Privatleben der Verstorbenen aus?«, fragte sie weiter. »War Luise Lex liiert?«

      »Nicht, dass ich wüsste.« Die Uniformierte sah ihren Kollegen an.

      Ihr Kollege zuckte mit den Achseln.

      »Gibt es Kinder?«, fragte Sandra.

      »Zum Glück nicht.«

      »Zum Glück?«, fragte Bergmann.

      »Die Kinder wären jetzt ohne Mutter.«

      »Und Lilli Lex hat auch keine Kinder?«

      Die Polizisten schüttelten ihre Köpfe.

      »Die Lilli war vielleicht ein halbes Jahr verheiratet. Mit dem Sulzbacher Otto, einem Geschäftsmann aus Wien«, erzählte sie.

      »Auch ein Zweiheimischer?«, fragte Bergmann.

      Die Landpolizistin verneinte. »Der Otto war immer nur sporadisch da. Er hat was mit dem geplanten Chalet-Dorf zu tun. Was genau, weiß ich nicht. Du?« Sie warf ihrem Kollegen einen fragenden Blick zu.

      Der verneinte.

      »Fragt’s am besten die Lilli, die weiß bestimmt mehr.«

      »Waren die Lex-Schwestern auch in dieses Feriendorf-Projekt