Andrew Hathaway

Der Geisterjäger Staffel 1 – Mystikroman


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kam es anders, als er erwartete.

      Joe Tiger wirbelte herum und riß sein Opfer mit sich. Wie ein Schutzschild hielt er Alf Clatter vor sich.

      In seinen Augen rührte sich nichts, als er mit heiserer Stimme rief: »Halt, keinen Schritt weiter!«

      Rick Masters und Hempshaw, der sich soeben wieder aufraffte, erstarrten.

      »Keine Bewegung«, warnte der Untote noch einmal mit seiner tonlosen Stimme. »Er stirbt, wenn ihr mir zu nahe kommt.«

      Rick begann zu ahnen, was hier vor sich ging. Der Untote hatte erkannt, daß er sich in Gefahr befand. Die Silberkugel konnte ihn vernichten. Deshalb nahm er den Manager als Geisel.

      »Was verlangst du?« fragte der Geisterdetektiv leise.

      Es war, als spreche ein Roboter. Nichts rührte sich in dem zerschlagenen Gesicht des ehemaligen Boxers, als er seine Forderungen stellte.

      »Verlaßt dieses Büro! Ich werde mit Clatter gehen. Er muß mich begleiten.«

      »Und dann?« warf der Chefinspektor ein. »Lassen Sie den Mann frei? Wann und wo?«

      »Ihr habt keine Bedingungen zu stellen«, antwortete der Untote in seiner holperigen Sprechweise. »Ich bestimme, ihr gehorcht! Weicht! Macht Platz dem Bösen!«

      Hempshaw wollte noch etwas erwidern, doch Rick gab ihm mit den Augen einen Wink. Daraufhin schwieg der Chefinspektor und beobachtete in erster Linie Rick Masters, um sich nach seinem Verhalten zu richten.

      »Gut, einverstanden«, sagte Rick, obwohl er ganz anders dachte. »Wir haben keine andere Wahl!«

      Ein Verbrecher hätte jetzt eine Regung gezeigt, Triumph, Schadenfreude oder auch Angst. Nicht so dieser Untote. Er schob den vor Entsetzen wie erstarrt in seinem Griff hängenden Manager vor sich her.

      Kaum hatte er sich einen Schritt von der Mauer entfernt, als Rick Masters handelte.

      Er explodierte aus dem Stand heraus und schleuderte seine Silberkugel.

      Dabei hatte er keine Chance, den Untoten direkt zu treffen, weil Joe Tiger vollständig durch den Manager gedeckt wurde.

      Rick zielte trotz der Eile so genau wie möglich, denn von diesem einen Versuch hing Clatters Leben ab. Einen zweiten Versuch konnte es nicht mehr geben.

      Die Silberkugel schlug hinter Tiger gegen die Wand, prallte davon ab und traf den Untoten am Hinterkopf.

      Im nächsten Moment prallte Rick gegen die beiden so ungleichen Männer. Seine Finger verkrallten sich in Clatters Kleidern. Durch den Schwung getrieben, riß er den Manager mit sich.

      Clatter kam tatsächlich aus den Griffen des Untoten frei. Tiger hatte nicht mehr die Kraft, seine Geisel festzuhalten.

      Der Manager wurde von Panik geschüttelt. Er schrie und wehrte sich gegen Rick. Er begriff nicht mehr, daß ihn der Geisterdetektiv gerettet hatte.

      Rick hielt den Mann eisern fest, wälzte sich auf den Rücken und beobachtete den Untoten.

      Noch stand Joe Tiger aufrecht, aber seine Haltung drückte eine unerträgliche Schwäche aus. Seine Schultern sackten herunter. Die Augen schlossen sich.

      Die Ausdruckslosigkeit war aus seinem Gesicht gewichen. Erleichterung breitete sich darin aus. Noch einmal bekam die wahre Natur dieses Mannes die Überhand. Es war für ihn nach seiner Ermordung eine Befreiung, daß das Böse seinen Einfluß verlor. Nun fand er endlich Ruhe.

      Im Zeitlupentempo sank der Untote zu Boden und rollte auf die Seite. Noch waren Reste des unnatürlichen Lebens in ihm, doch auch sie schwanden. Der Kontakt mit der weißmagischen Waffe vertrieb sie.

      Mit einem tiefen Seufzen rollte Joe Tiger auf den Rücken. Nun sah Rick auch die Stichwunde, die ihm jener andere Untote im Krankenhaus zugefügt hatte und an der Joe Tiger gestorben war.

      Ein letztes Zucken lief durch den Körper, dann lag der Boxer still.

      Er war zum zweitenmal gestorben, diesmal für immer.

      *

      Chefinspektor Hempshaw war kreidebleich, als er sich über Rick Masters beugte und Clatter auf die Beine half. Der Manager hatte sich inzwischen einigermaßen beruhigt und wehrte sich nicht mehr. Er zitterte wie Espenlaub, und Hempshaw ließ ihn in einen Sessel gleiten.

      Rick stemmte sich auf die Beine und untersuchte den Toten. Er wollte ganz sicher sein, daß er von dieser Seite keine bösen Überraschungen mehr zu befürchten hatte.

      Hempshaw fand eine Flasche Whisky im Schreibtisch des Managers. Dazu stellte er drei Gläser auf den Tisch und schenkte ein.

      Clatter bekam am meisten. Da er mit seinen bebenden Fingern das Glas nicht halten konnte, führte Hempshaw es an seine Lippen. Clatter trank, hustete, trank weiter und lehnte sich mit einem leisen Stöhnen zurück.

      »Wenn mir das jemand erzählt hätte, wäre ich überzeugt gewesen, daß er lügt!« rief er aus. »Unfaßbar!«

      »Aber wahr«, bekräftigte der Geisterdetektiv. »Bewahren Sie absolutes Stillschweigen über diesen Vorfall. Der Yard bringt Ihr Büro wieder in Ordnung, damit niemand etwas merkt. Wo ist Ihre Sekretärin? Sie haben doch eine.«

      »Ich habe sie auf Tigers Verlangen weggeschickt«, antwortete Clatter.

      »Gut!« Hempshaw übernahm die Initiative. »Wenn sie wiederkommt, geben Sie ihr frei. Und sprechen Sie nicht über das Vorgefallene.«

      »Ich werde mich hüten!« Clatter schüttelte sich. »Daß mich die Leute auslachen!«

      Hempshaw telefonierte und bestellte seine Leute in das Büro des Boxmanagers. Danach zog er sich mit Rick in eine Ecke zurück, in der sie ungestört sprechen konnten.

      »Sie müssen diesem Spuk ein Ende machen, Rick!« sagte der Chefinspektor beschwörend. »Das darf so nicht weitergehen.«

      »Wem sagen Sie das.« Rick seufzte. »Aber finden Sie erst einmal heraus, wer in diesem Turm zu der Gegenseite gehört und wer nicht!«

      Hempshaw preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich kenne die Schwierigkeiten.«

      »Offenbar nicht ganz«, wandte Rick ein. »Dracula hat bisher immer lebende Leichen angezeigt. In diesem Fall hat er es bereits mehrmals nicht sofort getan. Wer immer hinter der ganzen Aktion steckt, hat seine Hilfstruppen sehr gut abgeschirmt.«

      »Dann müssen wir dem Problem kriminalistisch zu Leibe rücken«, erklärte Hempshaw.

      »Genau das wollte ich Ihnen eben vorschlagen.« Rick zuckte die Achseln. »Es wird schwer werden, aber es bleibt uns keine andere Wahl. Stellen Sie fest, wer hier im Haus wohnt und arbeitet und absolut allein lebt. Denn nur solche Personen kommen als Mordopfer und somit als Untote in Frage. Alle anderen würden zu schnell von ihren Verwandten entlarvt werden.«

      Hempshaw starrte seinen Freund entgeistert an. »Meinen Sie das im Ernst?« fragte er atemlos. »Wissen Sie, wie viele Leute wir überprüfen müssen?«

      Rick nickte ernst. »Ich weiß es. Kenneth, ich tue, was ich kann, aber in diesem Gebäude bewegen sich täglich Tausende Menschen. Darunter befinden sich etliche Untote. Sie können sich also ausrechnen, wie schnell ich Erfolg haben werde.«

      »Und der Mann oder die Frau im Hintergrund?« Hempshaw suchte noch immer verzweifelt nach einer Möglichkeit, einen derart aufwendigen Großeinsatz zu vermeiden. »Wie nahe sind Sie dem Drahtzieher gekommen, Rick?«

      Mit einem bitteren Lachen ging der Geisterdetektiv zur Tür. »Überhaupt nicht, Kenneth! Wie sollte ich? Ich versuche nur, die schlimmsten Auswirkungen zu mildern. Was sollte ich da sonst noch tun?«

      »Dann werde ich die Aktion anordnen.« Der Chefinspektor fügte sich seufzend in sein Schicksal. Er griff zum Telefon, das im selben Moment klingelte. Hempshaw meldete sich mit einem knappen »Hallo«, gab den Hörer an Rick weiter und fügte hinzu: »Für Sie!«

      Rick Masters konnte sich nicht vorstellen,