Andrew Hathaway

Der Geisterjäger Staffel 1 – Mystikroman


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des Aufzugs, der auf diesem Stockwerk hielt. Er warf einen flüchtigen Blick zurück und sah eine jüngere Frau. Automatisch lächelte er, weil sie gut aussah und er an keiner hübschen Frau vorbeiging, ohne wenigstens einmal zu lächeln. Oft hatte das Erfolg, da er nicht schlecht aussah.

      Diesmal prallte sein Versuch jedoch von einem eisigen Panzer ab, der die Frau umgab. Sie hielt eine Aktenmappe unter dem Arm und wirkte wie eine Sekretärin. Diesen Eindruck hatte zumindest Joe Tiger.

      Gleich darauf verstand er jedoch überhaupt nichts mehr.

      Sie kam mit raschen Schritten direkt auf ihn zu. Er trat unwillkürlich zur Seite, um sie vorbeizulassen.

      Die Frau änderte die Richtung. Wieder strebte sie genau auf ihn zu.

      Unbehagen beschlich den jungen Boxer. Die Augen dieser Frau blickten so merkwürdig starr, als wolle sie durch ihn hindurchsehen. Und ihren Bewegungen fehlte die Geschmeidigkeit.

      »Miss, hören Sie…«, setzte er an, als sie nur mehr drei Schritte von ihm entfernt war.

      Er kam nicht weiter. Ein fürchterlicher Schlag traf ihn an der Brust und schleuderte ihn gegen die Wand. Joe Tiger hatte das Gefühl, sein Rücken würde zerbrechen. Benommen blieb er stehen. Seine schlimmsten Gegner im Ring hatten kaum diese Kraft aufgebracht.

      »He!« rief er. »Was soll das?«

      Die Frau kam näher. Ihre Augen hielten ihn umkrallt. Ihre Hände zuckten hoch.

      Diesmal war Joe Tiger gewarnt. Er hielt die Frau für eine Verrückte. Vielleicht war sie auch süchtig und hatte die Kontrolle über sich verloren. Jedenfalls meinte er, mit seinen Kräften eine Frau spielend abwehren zu können.

      Er nahm die Deckung hoch. Seine Fäuste besaßen einen beachtlichen Umfang. Joe Tiger war ein Muskelpaket.

      Doch ein kurzer Schlag der Frau, und seine Deckung brach auf. Ein zweiter Schlag, und er hatte das Gefühl, sein Kinn wäre explodiert.

      Vor seinen Augen funkelten Sterne. In seinem Kopf dröhnte es. Schwer angeschlagen lehnte Joe Tiger an der Wand.

      Nun merkte er, daß er zu sorglos gewesen war. Seine breiten Hände schnellten hoch.

      Er bekam die Handgelenke der Unbekannten zu fassen und schloß seine Finger in einem eisernen Griff. Kein normaler Mensch wäre fähig gewesen, sich jetzt noch zu befreien.

      Mit unwiderstehlichem Druck löste sich die Frau aus seiner Umklammerung und griff erneut an.

      Nun wußte Joe Tiger, daß er keine Rücksicht mehr nehmen durfte. Ob er nun durchtrainierter Boxer war oder nicht, hier ging es um sein Leben. Er fightete nach allen Regeln der Kunst, aber es half ihm nichts. Gegen einen überlegenen Gegner im Ring hätte er sich nicht verbissener wehren können als gegen diese Frau. Trotzdem ging er nach einer knappen Minute zu Boden, völlig ausgepumpt und zugerichtet, wie es in seinen schlimmsten Kämpfen nicht passiert war.

      Als kurz darauf der Manager Alf Clatter sein Büro zufällig verließ und seinen Boxer Joe Tiger in jämmerlichem Zustand auf dem Korridor fand, war von der Frau nichts mehr zu sehen.

      Joe Tiger wurde auf schnellstem Weg ins Krankenhaus gebracht.

      *

      Rick Masters machte sich keine lllusionen. In einem so großen Haus mit zahlreichen Mietern und Büroangestellten, mit unzähligen Besuchern und einem ganzen Stab an Personal war es so gut wie ausgeschlossen, einfach ins Blaue loszuziehen und nach Anhaltspunkten zu suchen.

      Andererseits mußte er etwas unternehmen, weil er sich sonst nutzlos vorkam. Er konnte nicht einfach irgendwo sitzen und darauf warten, daß wieder etwas passierte.

      Deshalb sah er sich im zweiten Kellergeschoß um. Im ersten waren die Privatkeller untergebracht. Hier unten jedoch brummten und stampften die Versorgungsmaschinen des Hochhauses, die Wasserpumpen, die Heizung und die Klimaanlage. Abwasser rauschte durch dicke Rohre. Elektrische Leitungen liefen, zu Bündeln zusammengefaßt, aus der Decke in den Boden und an den Wänden entlang und bildeten ein unbeschreibliches Gewirr.

      Rick Masters war zwar technisch begabt. Es blieb ihm jedoch immer ein Rätsel, wie sich Menschen in einer solchen Zentrale zurechtfanden. Die technische Seite interessierte ihn so sehr, daß er zu wenig auf seine Umgebung achtete. Erst ein leises Knurren seines Hundes machte ihn darauf aufmerksam, daß etwas nicht stimmte.

      Dracula hielt die für den kleinen Körper viel zu groß geratenen Ohren aufgestellt und lauschte nach allen Seiten. Das empfindliche Gehör des Hundes hatte offenbar etwas aufgefangen, was Rick verborgen blieb. Die ununterbrochenen Geräusche der Maschinen schluckten ohnedies alle anderen Laute.

      Rick nahm seinen Hund auf den Arm und beobachtete ihn, wurde daraus jedoch auch nicht schlau. Dracula konnte sich selbst nicht entscheiden, aus welcher Richtung sich jemand näherte.

      Dennoch blieb der Geisterdetektiv gelassen. Erstens war er gut bewaffnet und verstand sich auch auf verschiedene Kampftechniken. Und zweitens zeigte Dracula nur die Nähe eines Menschen an, nicht jedoch das Wirken einer magischen Kraft. Und mit einem menschlichen Gegner glaubte Rick fertig zu werden, auch wenn der unübersichtliche Keller einen Überfall leichter machte.

      Da sich innerhalb der nächsten Minuten nichts tat, beschloß Rick, sich so zu benehmen, als habe er nichts gemerkt. Er setzte seinen Rundgang fort, als wäre nichts geschehen. Möglicherweise war Draculas Warnung auch überflüssig. Hier unten mußten sich sogar Menschen aufhalten, eben die Wartungstechniker, die für die ausgedehnte technische Anlage verantwortlich waren.

      Dennoch wurde Rick ein unangenehmes Gefühl nicht los, und seine Aufmerksamkeit steigerte sich noch, als er sich der Heizung näherte. Die mächtigen Kessel boten ein besonders gutes Versteck.

      Tatsächlich! Er hatte sich nicht getäuscht.

      Für einen Sekundenbruchteil erkannte er eine Gestalt, die sich von einem Kessel zum anderen schnellte und dahinter in Deckung ging.

      Er wurde scharf beobachtet.

      Dracula knurrte wieder. Rick rief ihn zu sich und blieb stehen. Er wollte seinen Gegner zu einem Kampf herausfordern. Wenn es schon dazu kommen mußte, so war es besser, es passierte hier und jetzt, wo Rick Platz und Zeit bestimmen konnte.

      Umständlich kramte er in seinen Taschen nach den Zigaretten und dem Feuerzeug. Dabei fiel ihm ein, daß er Hazel anrufen wollte und bisher nicht dazu gekommen war. Das Feuerzeug hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt. Bei der nächsten Zigarette mußte er unbedingt daran denken und das nächste Telefon suchen. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen um ihn.

      Weiter kam Rick in seinen Überlegungen nicht. Er hatte nämlich kaum das Feuerzeug weggesteckt, als sich der Mann zeigte. Er trat offen hinter dem Heizungskessel hervor.

      Seine Arme hingen locker an den Seiten herunter, die Finger waren wie Klauen weggespreizt. Leicht geduckt schlich der Fremde näher.

      Auf den ersten Blick erkannte Rick Masters, daß er einen besonders gefährlichen Feind vor sich hatte. Er wußte, was dieser starre, leblose Gesichtsausdruck zu sagen hatte. Er deutete es auch richtig, daß die Augen des Mannes wie polierter Stein schimmerten. Und er sah schließlich die klaffende Halswunde, die kein Mensch überleben konnte.

      Ein Untoter!

      Blitzartig erinnerte er sich daran, was Chefinspektor Hempshaw über den Mord im Aufzug berichtet hatte. Dieser Mann mußte Benjamin Potter sein, der Wartungsingenieur der Aufzugsfirma.

      Dracula wich heulend in eine Ecke zurück und kroch unter ein dicht über dem Boden liegendes Rohr.

      Keine Sekunde zu früh.

      Im nächsten Moment griff der Untote an!

      *

      Aus dem Stand heraus schnellte sich der Untote wie ein Raubtier durch die Luft.

      Rick sah ihn kommen und ließ sich blitzschnell fallen. Der lebende Leichnam segelte über ihn hinweg und prallte gegen einen der Kessel. Ein Mensch wäre von dem Aufschlag betäubt gewesen, nicht so der Untote. Er wirbelte sofort