hilflos ist und seine Karriere angeht, wie er seinen Tag beginnt – ohne Konzept. »Ich bin ein Späterwacher und ein Langsamstarter. Mit mir ist am Vormittag nichts anzufangen. Ich mache auch keinerlei Pläne. Ich gebe weder ein Interview, noch gehe ich ins Studio, noch komponiere ich. Ich gehe nicht Klavierspielen, ich mache gar nichts am Vormittag. Ich schlafe möglichst lange, gehe dann täglich in ein Dampfbad, und wenn ich das hinter mir habe, wird ausgiebig eiskalt geduscht und dann Zeitung gelesen. Ich lese pro Tag acht bis zehn Zeitungen. Das geht los bei der ›New York Harold Tribune‹ und endet bei der ›Neuen Zürcher‹ und der Münchner ›Abendzeitung‹, die besseren Boulevardzeitungen sind mit dabei, und dann bereite ich in Ruhe so eine Art Mittagsbrunch vor. Am Nachmittag beginnt für mich eigentlich der Tag. Am Vormittag bin ich nicht schlagkräftig.«
1963 wendet sich Udo Jürgens also an Hans R. Beierlein, der sich von den Qualitäten des Komponisten Udo Jürgens überzeugt zeigt, von denen des Sängers weniger. Sie einigen sich auf einen Kompromiss und produzieren eine Platte: Wird sie mehr als 25 000 Mal verkauft, machen wir weiter. Innerhalb kürzester Zeit werden 75 000 Stück mit dem Haupttitel, der Jürgens-Komposition »Tausend Träume«, abgesetzt.
Die Tatsache, dass Jürgens professioneller Klavierspieler ist, nutzt sein Manager Beierlein für seine Vermarktungsstrategien: »Er saß am Klavier, der einzige, der am Flügel gesessen war. Das Klavier ist also ein Imagebestandteil geworden für Udo […] Diese Klavierspielarie, die wir in den ersten Jahren außerordentlich gepflegt und gefördert haben, hat bei den Leuten draußen immer wieder den Eindruck erweckt, das ist nicht einer, der hingeht und mit Technik zum Singen gebracht wird, sondern einer, der es kann.«2
Das Entstehen eines Images im Spannungsfeld Medien – Fans – Star – am Beispiel Udo Jürgens ist sogar Thema einer Diplomarbeit von Christian Mädler. Und das, obwohl sich manche Menschen eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Interpreten aus dem Schlagergenre nicht vorstellen können. Die Arbeit bestätigt nicht nur das funktionierende Image des Künstlers, sondern liefert darüber hinaus Ansatzpunkte, die seinen lang anhaltenden Erfolg begreiflich machen.
Auch wenn es heißt, dass sein Image nicht »geformt« wurde, belegen Aussagen seines Managers Hans R. Beierlein, dass dieser an dessen Image-Gestaltung sehr wohl beteiligt war. Um die Unabhängigkeit von Udo zu seinem Management zu unterstreichen, wird ins Treffen geführt, dass der Star der Chef sei, weil er schließlich seine Leute bezahle. Doch Jürgens ist sich der Beziehung zwischen Manager und Star bewusst: »Künstler und Manager, Manager und Künstler – eine merkwürdige Mischung, doch man weiß, dass man sich gegenseitig auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Für keinen geht’s ohne den anderen. […] Ein Manager ist immer irgendwo auch ein Spieler. Was er auch tut, er setzt immer auf etwas, auf einen Sänger, einen Maler. Wie ein Spieler setzt er auf Zahl oder Farbe. Und immer liebt er eine Farbe ganz besonders – die des Geldes! Ja – ein Manager ist letztendlich einer, der aus den Hirnschalen der anderen Champagner trinkt und nicht nur nippt! Und wäre ein Manager nicht so, könnte kein Künstler mit ihm groß werden.«3
Christian Mädler führt in seiner Diplomarbeit weiter aus, dass biografische Fakten bis heute durch das Management in der Öffentlichkeit so eingesetzt werden, dass sie ein bestimmtes, durchgängiges und in sich konsistentes Image propagieren, das darüber hinaus auch noch gut zu den Songtexten passt. Die Wirksamkeit dieser Strategie zeigt sich an den Äußerungen der Fans, die Eigenschaften wie Talent, Persönlichkeit und Aussagekraft ihres Stars als besonders wichtig bewerten. Die Imagekonstruktion vor allem durch das Management ist niemals abgeschlossen. Heute wird hauptsächlich über die Programmhefte und die Homepage im Internet gearbeitet. Die Fans zitieren auffällig häufig bestimmte, zur jeweiligen Situation passende Textpassagen aus den Liedern von Udo Jürgens und verweisen zur Untermauerung ihrer Argumentation nicht selten auf die an den genannten Stellen veröffentlichten Statistiken und Umfragen des Managements. Die positive Resonanz auf das Image von Udo Jürgens äußert sich schließlich auch darin, dass sein Name als Werbeträger für bestimmte Produkte, u. a. für die Sektmarke Deinhard, den Baumarkt OBI oder für Produkte der Marke Abtei, fungiert, die als Sponsoren wiederum bei sämtlichen öffentlichen Aktivitäten des Stars anzutreffen sind.
So wäre es zum Beispiel undenkbar gewesen, Udo Jürgens mit einem Hammer in einem OBI-Baumarkt auftreten zu lassen. Es wurde an einer imagegerechten Lösung gefeilt. Udo schrieb ein Lied mit dem Refrain »Mehr als nur vier Wände«, das in allen Filialen lief. Im ganzen Lied kam nie der Name OBI vor.
Dabei wollte Udo Jürgens für OBI nicht komponieren. »Die Abneigung gegen Leute, die mit einem Koffer voller Geld ein Lied kaufen wollen«, erinnert sich der Gründer der OBI-Baumärkte Manfred Maus, »war spürbar.« Er habe vier Stunden lang mit Jürgens diskutiert. »Dann stand der Udo auf, gab mir die Hand und sagte: ›Du bist ein Pfundskerl, darf ich dich duzen?‹«
Udos späterer Manager Freddy Burger lehnte die Anfrage, Udo Jürgens für eine Waschmittelwerbung zu gewinnen, ab.
Komponist und Sänger
Udo Jürgens komponiert in den Sechzigerjahren für viele deutsche Musikstars, so für Gus Backus, Gerhard Wendland, Rex Gildo und für den Film Tanze mit mir in den Morgen. Stars wie Caterina Valente, Brenda Lee und Sacha Distel singen seine Kompositionen.
Am 20. Februar 1964 wird Sohn John, genannt »Johnny«, geboren. Udo ist auf einer Japan-Tournee. »Das hat mich später sehr belastet, weil ich berufliche Pflichten über die Familie gestellt habe. Aber ich bin so erzogen worden.« Einen Monat später, am 21. März 1964, startet Udo Jürgens beim 9. Eurovision Song Contest für Österreich in Kopenhagen.
5 Udo Jürgens mit seinem Erstgeborenen, dem einjährigen Johnny. Von Misstönen keine Spur.
6 Vom »ernsten Fach« zur »leichten Muse«: Die Sopranistin Anneliese Rothenberger entdeckt Udo Jürgens und nimmt seine Kompositionen »Wie schön ist diese Welt« und »So wie die Sonne für alle scheint« in ihr Repertoire auf.
Portugal nimmt zum ersten Mal am Wettbewerb teil. Aufgrund eines Künstlerstreiks pausiert Schweden. Als der belgische Beitrag vorgestellt werden soll, kommt es zu einem Zwischenfall. Mit den Worten »Nieder mit Franco, nieder mit Salazar« will ein Mann die Bühne stürmen und gegen die Militärregimes in Spanien und im erstmals teilnehmenden Portugal protestieren. Diese Protestaktion soll auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Aufzeichnung der Sendung vom Dänischen Rundfunk (DR) bis heute unter Verschluss gehalten wird.
Den fünften Platz erreicht Udo mit »Warum nur, warum?«. 1,5 Millionen Schallplatten verkauft Matt Monro mit der englischen Version »Walk away«, landet auf Platz Eins in der englischen Hitparade und auf Platz 2 in der USA. Der Song ist auf allen Hitlisten der ganzen Welt zu finden. Die deutschsprachige Originalversion avanciert in Frankreich zum Nummer-Eins-Hit.
In Frankreich nennt man Udo darum nur »Monsieur Warum«. Ein Kritiker schrieb: »Monsieur Warum ist der Mann, von dem Millionen Frauen träumen. Seine Mähne lässt auf viel Herz, Zärtlichkeit und Gefühl schließen.«
Der Entertainer bekennt: »Ich erinnere mich, ich habe einmal in Paris die ersten Takte von ›Merci Chérie‹ gespielt und die Leute haben zwei Minuten lang applaudiert, haben sich von den Sitzen erhoben, ich konnte gar nicht anfangen zu spielen, ich musste wieder aufhören. Da hat man natürlich so ein Glücksgefühl in diesem Augenblick, das macht einen stark. Wenigstens in diesem Moment spürt man plötzlich Kraft durch sich fluten und diese Kraft hält dann auch an, man weiß, da gibt es eine Möglichkeit, sich das wieder zu erkämpfen. Meine Lieder werden mich dorthin bringen.«
Für Frank Sinatra komponierte Jürgens »If I never sing another song«. Sinatra verordnete sich gerade eine Karrierepause und trat daher diesen Titel an seinen Freund Sammy Davis Jr. ab. Jedes Konzert und jeder Fernsehauftritt wurde von da an mit diesem Lied beendet.
»Die Rolle des Komponisten ist mir natürlich wichtiger als die des Sängers«, betont Jürgens immer wieder. »Ich habe mich noch