bilde ich mir das auch nur ein – aber nach einem Teller Nudeln bin ich so richtig angenehm bettschwer.
Ich bemühe mich redlich, nicht auf die anderen Mitstreiter zu hören. Wie sie das Lernpensum absolvieren bzw. versuchen, es in den Griff zu bekommen. Darauf kann man sowieso nichts geben. Wissen wir doch noch aus unserer Schulzeit: Es gibt den Jammerlappen, der ständig über sein Versagen parliert, und den Streber, der tatsächlich behauptet, nie auch nur eine Zeile zu lernen, und dann bei der mündlichen Prüfung alle neben ihm alt aussehen lässt. Oder den Nutznießer, der nie Zeit fürs Lernen hat und verlangt, dass man ihn bei Schultests abschreiben lässt, ihm Stichworte zuflüstert oder gar versteckte Botschaften auf der Toilette deponiert. Ich bin zwar kein »Bengel in der letzten Bank« gewesen und habe das trotzdem alles selbst erlebt.
Ich habe Angst vor dem Training und versuche, sie zu verbergen. Ich stelle mich der Angst, will wichtige Erfahrungen sammeln. Ich habe gelernt, dass ich der Angst ins Auge blicken soll. Im konkreten Fall habe ich mir ganz genau vorgestellt, wer mich schlecht beurteilen wird können. In erster Linie Tanzprofi Gerhard, dann Juror X oder Jurorin Y, das Fernsehpublikum, die Medien? Ich stelle mir vor, wo sich die Kritiker befinden, wenn sie mich aburteilen. Das macht die undefinierbare Angst greifbarer und nimmt ihr den Schrecken.
Ich bemühe mich, mir die Schrittfolge zu merken, ohne größeren Erfolg. Ich bin so mit anderen Dingen wie Kopfhaltung, Armhaltung, Handhaltung beschäftigt, dass ich mit meinen Füßen nur hinterherstolpere.
Als mein Tanzlehrer mir dann noch in gestrengem Ton befiehlt, dass ich die Choreographie bis morgen können muss, da ist es ganz aus. Müssen, müssen, müssen – ich muss gar nichts, nicht einmal tanzen lernen. Dabei fällt mir der Spruch ein:
»Das kleine Wörtchen ›muss‹
ist doch von allen Nüssen,
die Menschen knacken müssen,
die allerhärt’ste Nuss.«
Bis zum Schreiben dieses Buches wusste ich gar nicht, von wem dieses Zitat stammt, obwohl es mir so geläufig ist. Doch jetzt habe ich recherchiert und herausgefunden: Es stammt von dem deutschen Archivar, Märchensammler und Erzähler Ludwig Bechstein, der von 1801 bis 1860 lebte.
Wenn ich etwas tun muss, dann ist das für mich gleichbedeutend mit »nicht wollen«, keine Lust dazu haben.
In mir rebelliert es, alles in mir bäumt sich gegen dieses Wort »muss« auf – es klingt nach Zwang, nach Pflicht. Ich brauche kein muss, ich möchte tanzen lernen und ich will auch tanzen lernen. Es ist kein Zwang, es ist meine freie Wahl. Es gibt keinen Zwang des Müssens, sondern nur die Freiheit des Wollens. Ich möchte eine Lernmethode finden, die mir das Tanzen erleichtert. Aber wie nur?
Das kleine Wörtchen »muss« hat unabsehbare Folgen. Ich lerne meinen Ehrgeiz auch im sportlichen Bereich kennen. Es gilt, eine geeignete Lernmethode zu finden, und zwar rasch, denn die Zeit drängt.
Ich setze mich ans Telefon und hole mir Anregungen, Tipps und Ratschläge von Profis, Halbprofis und Laien, von Lehrern, von Coaches, von Ex-»Dancing Stars«-Kolleginnen und -Kollegen … Nicht alle haben meinen ausgeprägten Ehrgeiz verstanden, einer riet mir sogar, einfach auf ein Bier zu gehen und das Training sausen zu lassen …
»Das kleine Wörtchen ›muss‹ ist doch von allen Nüssen, die Menschen knacken müssen, die allerhärt’ste Nuss.«
Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Täglich strömen Informationen auf uns ein, die unser Gehirn verarbeiten muss, egal ob als Baby oder als Pensionist. Die unterschiedlichsten Theorien wurden von Forschern im Laufe der Jahre darüber entwickelt, wie wir Dinge lernen und welche Prozesse dabei in unserem Gehirn in Bewegung gesetzt werden.
Am bekanntesten ist wohl die klassische Konditionierung, jene Lerntheorie, die von dem russischen Physiologen Iwan Petrowitsch Pawlow begründet wurde. Beim Futtergeben spielte er Hunden wiederholt einen Glockenton vor. Auf diese Weise konditionierte er die Tiere darauf, dass Glockenton und Futtergabe immer in Verbindung standen. Nach einer Weile lief den Hunden schon das Wasser im Maul zusammen, wenn sie nur die Glocke hörten, das Futter aber noch nicht erhalten hatten. Vom »Pawlow’schen Hund« zogen die Forscher Rückschlüsse auf uns Menschen. Auch wir werden auf gewisse Reaktionen konditioniert und erlernen sie somit. Ein Kind, das beim Arzt durch eine Spritze Schmerzen verspürt hat, schreit beim nächsten Arztbesuch vielleicht schon beim Anblick des weißen Doktorkittels.
Andere Wissenschaftler stellten fest, dass Menschen und Tiere durch Ausprobieren der Dinge, durch Versuch und Irrtum lernen. Das kenne ich: Ich fahre mit dem Auto, komme zu einer Kreuzung, biege zum Beispiel links ab und bin auf dem falschen Weg. Das wird mir nicht mehr passieren, weil ich gelernt habe, dass mich das Linksabbiegen auf den falschen Weg bringt.
Also versuche ich, die Tanzschritte richtig zu machen, doch es sind zu viele, ich habe mir all die Irrtümer nicht gemerkt. Auch das Lernen durch Einsicht bereitet mir Schwierigkeiten. Denn ich kann einen Sachverhalt, in meinem speziellen Fall die Tanzschritte, nicht verstehen und daher auch nicht nachvollziehen.
Und so komme ich mit diesen Forschungsergebnissen beim Tanztraining nicht weiter. Dann plötzlich, in einer ganz anderen Situation, fernab vom Trainingssaal, höre ich von der richtigen Lernmethode für mich.
Bei Gerhard und mir hat sich nach dem stundenlangen Tanztraining ein Ritual entwickelt. Durch einen der vielen Notausgänge im ORF-Zentrum gelangt man zu einem windgeschützten Plätzchen, hoch über den Dächern von Wien, fernab des Trubels. Einsam stehen da zwei Sessel in einem kleinen Stück Rasen – hier treffen wir uns, um durchzuatmen, den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen, einen Kaffee in aller Stille zu genießen und zu reden, zu diskutieren und zu plaudern.
Bei einer solchen »After-Work-Chillout-Session« bekomme ich die folgende Geschichte erzählt:
Ein Zweibein sitzt auf einem Dreibein und isst ein Einbein. Da kommt ein Vierbein und nimmt dem Zweibein das Einbein weg. Da nimmt das Zweibein das Dreibein und schlägt das Vierbein.
Jetzt soll ich die Geschichte nacherzählen, was ich auf Anhieb nicht schaffe, weil ich noch immer überlege, was wohl mit Einbein, Zweibein, Dreibein und Vierbein gemeint sein könnte. Und bei der Fixierung auf diese »Gebeine« ist der Inhalt an mir vorbeigezogen.
Dabei ist die Geschichte, so skurril sie auch beim ersten Erzählen anmutet, gar nicht so schwer zu verstehen und zu merken. Der Grund ist das bildhafte Denken.
Ein Mensch (Zweibein) sitzt auf einem Hocker (Dreibein) und isst ein Hühnerbein (Einbein). Da kommt ein Hund (Vierbein) und nimmt dem Menschen (Zweibein) das Hühnerbein (Einbein) weg. Da nimmt der Mensch (das Zweibein) den Hocker (Dreibein) und schlägt den Hund (Vierbein).
Es ist verblüffend: Diese Geschichte merke ich mir auf Anhieb. Ein echter Beweis, wie die rechte Gehirnhälfte, die für das bildliche Denken zuständig ist, das sprachliche Denken mit Sitz in der linken Hälfte unseres Gehirns unterstützen kann.
Jetzt hab ich’s – endlich kenne ich eine Lernmethode, die mir das Merken der Tanzschritte und vor allem der Choreographie wesentlich erleichtert.
Beim Tango machen wir die Probe aufs Exempel. Zur Musik von »Jealousy« erzählt mir Gerhard die ganz normale Geschichte eines Ehepaares (Ironie!):
Der Anfang, die 1. Szene:
Jealousy!
’Twas only through jealousy!
Our hearts were broken, and angry words were spoken.
Das Ehepaar, also Gerhard und ich, befindet sich im Wohnhaus. Wir streiten uns, weil er immer andere Frauen begehrt und betört. Er möchte auch mich, doch ich sträube mich.
2. Szene:
Now all I have is memory, to cherish so tenderly …
Wir gehen (tanzen) ein Stück des Weges, er zieht mich zu sich, ich stoße ihn weg.
3. Szene:
With ev’ry token you have given to me.
I love too well, for I doubted you in my heart …
Es